RG, 02.12.1879 - II 44/79

Daten
Fall: 
Condictio indebiti
Fundstellen: 
RGZ 1, 198
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.12.1879
Aktenzeichen: 
II 44/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Gewerbegericht Köln.
  • Handelsgericht Köln.
Stichwörter: 
  • Condictio indebiti im französichen Recht - Irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld namens einer Aktiengesellschaft (AG)

1. Fordert das französische Recht für die condictio indebiti einen Irrtum des Zahlenden?1 Wer hat diesen Irrtum zu erweisen?
2. Fall, wo namens einer Aktiengesellschaft irrtümlich eine Nichtschuld gezahlt, jedoch der Irrtum durch wissentlich unrichtige Buchungen von Beamten der Gesellschaft veranlaßt war.

Tatbestand

B. stand im Dienste der Maschinenbau-Aktiengesellschaft X. und hatte zufolge seines Dienstvertrages 1 1/3 Prozent vom Reingewinne außer seinem Gehalte zu beziehen. Nachdem er aus dem Dienste getreten war, forderte die Gesellschaft im Jahre 1877 von ihm 5600 Mark mit der Behauptung, in der Bilanz des Geschäftsjahres 1872 sei infolge Irrtums der Reingewinn um 470 000 Mark zu hoch angesetzt und hiervon die Tantième gezahlt worden. Nachdem durch Sachverständige festgestellt war, daß infolge einer unrichtigen Art der Buchungen ein zu hoher Reingewinn berechnet worden sei, ließ das Gewerbegericht weiteren Beweis zu, daß diese Buchfehler absichtliche gewesen seien. Das Handelsgericht als Berufungsgericht verurteilte jedoch den Beklagten, und der erhobene Kassationsrekurs wurde verworfen aus folgenden Gründen:

Gründe

In Erwägung zur Behauptung, es ergebe sich aus den thatsächlichen Feststellungen des Handelsgerichtes nicht,

  • daß eine Nichtschuld aus Irrtum gezahlt sei;
  • daß in vorliegender Sache dahin gestellt bleiben kann, ob im Falle des Art. 1376 Code civ. Irrtum des Zahlenden notwendige Voraussetzung der condictio indebiti sei, oder ob etwa, wie von namhaften Schriftstellern angenommen ist, es im Sinne der Artt. 1235 und 1376 Code civ. genüge, daß eine Nichtschuld gezahlt sei, also der Empfänger das Gezahlte ohne Rechtsgrund in Händen habe;
  • daß nämlich für die Frage, ob irrtümlich oder wissentlich eine Nichtschuld gezahlt sei, jedenfalls nur das Zahlungsgeschäft für sich ins Auge zu fassen, sowie die Person, von welcher die Zahlung ausgeht, indem nur unter der Voraussetzung, daß in dem Willensakte, auf welchem die Zahlung beruht, sich die Absicht, eine Liberalität zuzuwenden oder auf Rückforderung zu verzichten, kund gibt, gesagt werden kann, die Zahlung sei nicht irrtümlich geschehen;
  • daß nun in vorliegendem Falle nur behauptet war und durch die angeordnete Expertise ermittelt werden sollte, daß die Buchfehler, auf welchen die Unrichtigkeit der Bilanz beruhte, nicht irrtümliche, sondern absichtliche gewesen seien, jedoch weder die Behauptung des Beklagten noch die Beweisauflage des ersten Richters die allein erhebliche Frage zum Gegenstande hatte, ob die Auszahlung der Tantième mit oder ohne Kenntnis der Unrichtigkeit der Bilanz bethätigt worden sei;
  • daß diese Sachlage bei Würdigung der Gründe des angefochtenen Urteiles ins Auge zu fassen ist, welche besagen:
    die Gesellschaft als solche sei, als sie auf Grund des festgestellten Reingewinnes dem Beklagten eine zu hohe Tantième gezahlt habe, jedenfalls im Irrtume gewesen, ob aber die Beamten und Organe der Gesellschaft, welche (durch die falsche Buchung) in ihr den Irrtum erregten, hierbei wissentlich gehandelt, sei gleichgültig;
  • daß hiermit zunächst ausgesprochen ist, die absichtlich falsche Buchung durch die Beamten und Organe der Gesellschaft, wie sie allein Gegenstand der Anträge und Behauptungen des Verklagten sowie der streitigen Beweisauflage bildet, sei unerheblich, und daß dieser Gesichtspunkt für sich allein als genügend erachtet werden kann, die Entscheidung zu rechtfertigen, da nach den die Materien beherrschenden, auch im Gebiete des französischen Rechtes geltenden Principien, die Nichtschuld vorausgesetzt, für den Irrtum die Vermutung streitet, also es Sache des Verklagten gewesen wäre, das Nichtvorhandensein eines Irrtumes bei der Zahlung bestimmt zu behaupten und zu erweisen;
  • daß aber das Handelsgericht, weiter gehend, erklärt, die Gesellschaft selbst habe die Tantième gezahlt, womit nur gemeint sein kann, die Zahlung beruhe auf dem Beschlusse der Generalversammlung, durch welche die Bilanz genehmigt, der Reingewinn und die Auszahlung der Dividenden definitiv festgestellt wurde, so daß es sich also bei Auszahlung und Erhebung der Dividenden und Tantièmen nur um Vollziehung dieses Beschlusses handelte;
  • daß von diesem Standpunkte auch die weitere Erklärung aufzufassen ist, die Gesellschaft sei, als sie zahlte, im Irrtume gewesen, diese Erklärung aber um so weniger Anlaß zur Anfechtung der Entscheidung geben kann, als es einer bezüglichen Feststellung gar nicht bedurfte, da es genügte, wenn wissentliche Zahlung einer Nichtschuld nicht anzunehmen war.
  • 1. Amtl. Anm.:
    Für Verneinung: Marcadé zu Art. 1376, - Massé et Vergé sur Zachariae t. IV. p. 10 N. 4. - Accolas, Manuel du droit civ. t. II. p. 974. - Colmet de Santerre t. V. p. 669-672. - Behaghel, bad. Landr. Bd. II. S. 58.
    Für Bejahung: Delvincourt t. VIII. p. 446. - Toullier t. XI. p. 60. - Zachariae §. 442 Note 4. - Aubry et Rau t. IV. p. 428. - Mourlou, Code Nap. t. II. p. 880. - Larombière, Oblig. t. V. p. 612, - Arntz t. II, p. 190. - Laurent t. XX. i,. 373.