RG, 26.11.1879 - I 16/79

Daten
Fall: 
Kontokorrent
Fundstellen: 
RGZ 1, 18
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.11.1879
Aktenzeichen: 
I 16/79 I 897
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgerichtsdeputation Myslowitz.
  • Appellationsgericht Ratibor.
Stichwörter: 
  • Merkmale des kaufmännischen Kontokorrents

Merkmale des kaufmännischen Kontokorrents.

Gründe

"Nach Inhalt des mit der Klage übergebenen Buchauszuges vom 29. März 1876 ... hat zwischen den Parteien seit dem April 1873 bis zum Schlusse des Jahres 1875 ein Gesellschaftsverkehr bestanden, welcher nach den Grundsätzen des kaufmännischen (sogenannten "eigentlichen") Kontokorrentverhältnisses zu beurteilen ist. -- Die Rechnung, welche der Auszug darstellt, hat die Form, in welcher der Banquier bei dem Bestehen einer kontokorrentmäßigen Geschäftsverbindung mit einer anderen Firma (dem Korrespondenten) die beiderseitigen Leistungen in Ziffern aufzustellen pflegt. Sowohl auf der Debet- als auch auf der Kreditseite stehen Barzahlungen, Valuten von Wechseln und Aktien, Preise von Waren etc.. Wenngleich alle Abschlüsse für die Klägerin Guthaben ergeben, so läßt sich doch nicht annehmen, daß, die im Credit gebuchten Leistungen zu dem Zwecke gemacht seien, bestimmte Schuldposten zu tilgen oder auch nur die Klägerin in betreff specieller (vorausgegangener) Leistungen abschlägig zu befriedigen, wie dies bei A-conto-Zahlungen in laufender Rechnung geschieht. Beispielsweise ..." (Es folgt eine thatsächliche Begründung dieser Auffassung. Dann heißt es weiter:) "Hiernach müssen die Posten der einen Seite der Rechnung, gegenüber denen auf der anderen Seite -- mögen auch einzelne von ihnen ersichtlich zu einander in der Beziehung einer Leistung zu der Gegenleistung stehen -- im allgemeinen als die Ergebnisse selbständiger Geschäfte und als beiderseitige, für sich bestehende Forderungs- resp. Schuldbeträge betrachtet werden. Abschlüsse sind gemacht per 30. Juni und 31. Dezbr. 1873, per 31. Dezbr. 1874 und per 31. Dezbr. 1875. Die Saldi, bestehend in den Resultaten einer nach Geschäftsperioden vorgenommenen Vergleichung der in diesen auf beiden Kontoseiten angesetzten Beträge nebst Zinsen sind vorgetragen -- d. h. in die Rechnung der nächstfolgenden Periode als erster Rechnungsposten übertragen -- mit Ausschluß des Saldo de 1875, mit welchem das Konto abschließt. Abschlußrechnungen hat Verklagter pro 1. und pro 2. Semester 1873 und pro 1875 erhalten. In dieser letzten Rechnung, dem Buchauszuge vom 2. Febr. 1876, sind die Zinszahlen zum Nachweise der ausgeworfenen Zinsensumme specifiziert. -- In Übereinstimmung mit seiner Form charakterisiert sich auch durch diesen seinen Inhalt der Buchauszug vom 29. März 1876 als Kontokorrent-Rechnung; und wenn anzunehmen ist, daß die Art der Rechnungsaufstellung auf Vereinbarung mit dem Verklagten beruht oder dessen Zustimmung erlangt hat, so ist ein durch ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärungen der Parteien zu Stande gekommener Vertrag, welcher ein kaufmännisches Kontokorrentverhältnis begründete, als vorliegend anzusehen. Denn es genügt zur Herstellung eines solchen Rechtsverhältnisses in dem Geschäftsverkehre zwischen Kaufleuten das Einverständnis, daß die gegenseitigen einzelnen Leistungen nicht zur Erfüllung korrespondierender Verpflichtungen beziehungsweise zur Tilgung einer gewissen (einheitlichen oder zusammengesetzten) Schuld dienen, sondern als unter sich und einander gegenüber unabhängige Kreditgewährungen gelten sollen bis zu einer, nach gewissen Zeitabschnitten behufs Ermittelung: auf welcher Seite sich ein Überschuß herausstellte und auf wie hoch sich dieser, als eine selbständige Forderung zu betrachtende, Überschuß beziffere, vorzunehmenden Aufrechnung der Beträge des von jedem der Kontrahenten Geleisteten und einer demnächstigen Vergleichung der beiden sich hieraus ergebenden Summen.

Durch die Häufigkeit der auf die vorstehend bezeichneten Zwecke gerichteten Vereinbarungen und zufolge der durch Handelsgebrauch erfolgten Sanktionierung der mit letzteren nach den Anschauungen des Handelsstandes verbundenen Rechtswirkungen hat das entsprechende Rechtsverhältnis unter dem Namen "Kontokorrentverhältnis" die Natur eines besonderen Rechtsinstitutes und seine gegenwärtig allgemein anerkannte Geltung erlangt. Hierin stimmt, mögen auch im übrigen abweichende Meinungen sich kund geben, die Auffassung in der Handelswelt sowie in der Judikatur und Wissenschaft überein.1 Namentlich steht mit der obigen Darlegung des ausreichenden, aber unbedingt notwendigen Inhaltes eines Kontokorrentvertrages, und somit der wesentlichen Merkmale des Kontokorrentverhältnisses, die Rechtsprechung des vormaligen Reichsoberhandelsgerichtes im Einklange, indem sie bezüglich des Begriffes des fraglichen Rechtsverhältnisses für maßgebend erklärt, daß in dem bezüglichen Geschäftsverkehre die einzelne Leistung keine eigentliche Entlastung des Leistenden, sondern eine Belastung des anderen Teiles bewirke, insonderheit die Absicht beider Teile darauf gerichtet sei, daß die beiderseitigen Leistungen auf jeder Seite innerhalb von Rechnungsperioden ein Ganzes bilden, also die einzelnen Rechnungsposten in den Abschlußsummen des Credit und Debet und zuletzt in dem durch deren Vergleichung zu ermittelnden Saldo aufgehen sollen.

Vgl. beispielsw. Bd. 6 (2. Aufl.) Nr. 60 S. 257 der Entsch. des R.O.H.G.'s." ...

  • 1. Red. Anm.: Zu vergl. Creizenach, der kaufmännische Kontok. u. s. w. S. 6 ff., 13 ff.; Geller, der Kontokorrentverkehr, in den Jurist. Blätt. Jahrg. 1879 S. 93.105 ff.; Grünhut, das Recht des Kontokorrentverkehrs in der Zeitschr. für das Privat- und öffentl. Recht u. s. w., Bd. III. S. 473 ff., 500 ff. 506 ff.; Levy, Rekening Courent, und dazu Labands Kritik in der Zeitschr. für das gesammte Handelsr. Bd. XIX. S. 656; v, Hahn's und Puchelt's Kommentare zu Art. 291 H.G.B. u. s. w.