RG, 25.11.1879 - II 20/79

Daten
Fall: 
Einziehung kirchlicher Umlagen zur Gehaltszahlungen an Geistliche
Fundstellen: 
RGZ 1, 161
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.11.1879
Aktenzeichen: 
II 20/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Friedensgericht Eupen.
  • Landgericht Aachen.

Kann der Kirchenvorstand einer katholischen Pfarrgemeinde Umlagen, denen der Regierungspräsident die Beitreibung im Verwaltungswege versagt hat, weil dieselben zu Gehaltszahlungen an Geistliche, bezüglich deren die Leistungen aus Staatsmitteln eingestellt worden, bestimmt sind, mittels gerichtlicher Klage einziehen?

Tatbestand

In das Budget der katholischen Kirchengemeinde zum heil. Joseph zu E. war in den Jahren 1877 und 1878 eine Summe von je 2700 Mark für persönliche Kultuskosten - Gehalt für den Pfarrer und zwei Vikare - aufgenommen. Der Regierungspräsident zu X. hatte genehmigt, daß der Betrag des Budgets zu gleichen Prozenten der direkten Staatssteuer ausschließlich der Gewerbesteuer - mit einer Modifikation bezüglich der den Klassensteuersatz von drei Mark Zahlenden - auf die Mitglieder der Kirchengemeinde bez. die Forensen umgelegt werde, zugleich aber verfügt, daß jene zu Leistungen an Geistliche, in betreff deren der § 10 des Ges. vom 22. April 1875 Anwendung fand, bestimmte Summe von 2700 M. im Verwaltungswege nicht beizutreiben sei.

Am 16. Juli 1878 belangte der Kirchenvorstand der genannten Gemeinde den Fabrikanten G. S. zu P., der für das Jahr 1877 und die erste Hälfte des Jahres 1878 an persönlichen Kultuskosten die Summe von 62 M. 5 Pfg. der geschehenen Verteilung gemäß zu entrichten hätte, auf Zahlung dieses Betrages bei dem Friedensgerichte daselbst.

Das Friedensgericht hielt den Rechtsweg für unzulässig, und in diesem Sinne erkannte auch das Reichsgericht unter Vernichtung des zweitinstanzlichen Urteiles, aus folgenden Gründen:

Gründe

"In Erwägung, daß die auch in der preuß. Rheinprovinz geltende Kabinets-Ordre vom 19. Juni 1836 bezüglich der in Nr. 1 derselben näher bezeichneten Abgaben und Leistungen an Kirchen und öffentliche Schulen, oder an deren Beamte, welche vermöge einer allgemeinen gesetzlichen oder auf notorischer Orts- oder Bezirksverfassung beruhenden Verbindlichkeit zu entrichten sind, . . . zur Beseitigung des Zweifels, ob bei Einforderung derselben die Exekution im gerichtlichen Wege oder von dem Regierungspräsidenten zu verfügen sei, bestimmt, daß die genannten Abgaben, soweit es sich um die laufenden Beträge und Rückstände bis zu zwei Jahren handelt, der exekutivischen Beitreibung durch die betreffende Verwaltungsbehörde unterliegen, zugleich in Nr. 3, was diese Abgaben betrifft, den Rechtsweg nur in den Ausnahmefällen des § 79 A.L.R. II. 14 und der §§ 41 und 42 der Verordnung vom 30. Dezember 1808 - wie bei Steuern - zulässig erklärt, in Nr. 4 und 5 dagegen die Einziehung der anderweiten näher angegebenen jährlichen Abgaben an Kirchen und Schulen, sowie aller sonstigen Forderungen der Kirchen- und Schulbeamten auf den Prozeßweg verweist;

  • daß sodann das Gesetz vom 24. Mai 1861 § 15 die Beschränkung des Rechtsweges in Nr. 3 der Kabinets-Ordre für alle die in Frage stehenden Abgaben und Leistungen, welche auf einer allgemeinen gesetzlichen Verbindlichkeit, bezüglich auf einer von der Aufsicht führenden Regierung in Gemäßheit gesetzlicher Bestimmung angeordneten oder exekutorisch erklärten Umlage beruhen, aufrecht erhält, und die Vorschrift in Nr. 1 derselben, welche die administrative Exekution zum Gegenstande hat, nicht berührt;
  • daß, wenn nun das Gesetz die Beitreibung von Abgaben der genannten Art mit Rücksicht auf ihre besondere steuerähnliche Natur den Verwaltungsbehörden zuweist, damit die Einziehung derselben im Wege des gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich ausgeschlossen erscheint, wie denn auch aus der Fassung der bezogenen Kabinets-Ordre die dahin gerichtete Absicht derselben klar hervortritt;
  • daß hiernach die Annahme des Landgerichtes, daß es für die vorliegende Zuständigkeitsfrage auf die berührten, vom ersten Richter zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Gesetze nicht ankomme, weil hier weder über die Beitragspflicht des Kassationsklägers zu den fraglichen Kultuskosten noch über die gesetzmäßig erfolgte Festsetzung der letzteren ein Streit obwalte, als rechtsirrtümlich sich darstellt.

In Erwägung, was sodann das Gesetz vom 20. Juni 1875, auf welches das angegriffene Urteil vor allem gestützt ist, angeht;

  • daß das genannte Gesetz, welches die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden reguliert, dem Kirchenvorstande die Befugnis giebt, mit Zustimmung der Gemeindevertretung sowie unter Genehmigung der staatlichen Aufsichtsbehörde behufs Deckung von kirchlichen Bedürfnissen Umlagen auf die Gemeindeglieder festzusetzen;
  • daß das Gesetz allerdings nichts darüber bestimmt, in welcher Weise solche Umlagen einzuziehen sind, daraus indes immerhin nur folgt, daß für diese Frage die allgemeinen Zuständigkeitsregeln als maßgebend zu erachten;
  • daß nun aber nach dem, was thatsächlich vorliegt, ein begründeter Zweifel darüber nicht obwalten kann, daß es sich hier um eine auf einer allgemeinen gesetzlichen Verbindlichkeit beruhende Abgabe im Sinne der Nr. 1 der bezogenen Kabinets-Ordre handelt, die Beitreibung derselben also nach Vorschrift der letzteren im Wege der administrativen Exekution stattfindet;
  • daß, wenn im gegenwärtigen Falle der Regierungspräsident für einen Teil der fraglichen Umlage die Vollstreckung im Verwaltungswege versagt hat, dies, wie tatsächlich feststeht, in dem Umstande seinen Grund hat, daß hier Leistungen an Geistliche, denen gegenüber §. 10 des Ges. vom 22. April 1875 Platz greift, in Frage stehen;
  • daß nun zwar §. 10 cit., welcher die administrative Exekution ausschließt, nicht, wie der Kassationskläger will, die Bedeutung hat, daß bezüglich solcher Abgaben und Leistungen die Rechtshilfe überhaupt versagt sei, indem in den Motiven zu dem entsprechenden §. 9 des Entwurfes hervorgehoben ist, daß durch denselben das privatrechtliche Verhältnis der berechtigten Empfänger nicht berührt werde und deshalb den ersteren der allgemeine Rechtsschutz vor Gericht verbleibe;
  • daß jedoch hier eine Klage aus einem privatrechtlichen Verhältnisse nicht vorliegt, die Einziehung der fraglichen auf öffentlichem Rechte beruhenden Umlagen aber, welche von dem Kirchenvorstande, wie geschehen, auf gerichtlichem Wege versucht worden ist, nach dem vorstehend Ausgeführten als unstatthaft erscheint."