RG, 29.12.1880 - I 268/80

Daten
Fall: 
Auflösung einer Aktiengesellschaft
Fundstellen: 
RGZ 5, 7
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.12.1880
Aktenzeichen: 
I 268/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Berlin
  • Kammergericht Berlin
Stichwörter: 
  • Auflösung einer Aktiengesellschaft - Schwebende Vertragsverhältnisse

Begründet die Auflösung einer Aktiengesellschaft unter Eintritt derselben in den Liquidationszustand für sich allein ein Recht vorzeitiger Lösung auf einen längeren Zeitraum eingegangener Vertragsverhältnisse seitens des Gegenkontrahenten der Aktiengesellschaft?

Tatbestand

Aus der Thatsache, daß sich die beklagte Versicherungsaktiengesellschaft aufgelöst hatte und in Liquidation getreten war, wollte Kläger, der bei ihr vor der Auflösung Versicherung für einen mehrjährigen Zeitraum genommen hatte, das Recht, den Versicherungsvertrag für aufgelöst zu erachten, herleiten und hatte auf Rückzahlung der Prämien, soweit sie auf die Zeit nach dem Auflösungsbeschlusse der Gesellschaft fielen, geklagt. Mit dieser Klage wurde er in beiden Instanzen abgewiesen und seine Nichtigkeitsbeschwerde wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Das Handelsgesetzbuch bestimmt weder ausdrücklich, daß bei Auflösung einer Aktiengesellschaft die von derselben für längere Dauer eingegangenen Verträge hinfällig würden, noch ist aus seinen Grundsätzen über Auflösung und Liquidation solche Hinfälligkeit zu folgern. Das Handelsgesetzbuch hat Vorsorge getroffen, daß trotz Auflösung der Aktiengesellschaft das Vermögen derselben und ihre Rechtspersönlichkeit, um den Gläubigern Befriedigung zu gewähren bezw. Rede zu stehen, erhalten wird, und den Vertretern derselben ist die Beendigung der laufenden Geschäfte und die Erfüllung der Verpflichtungen der Gesellschaft auferlegt. Es kann deshalb nicht von einer bloß fingierten Fortdauer der Gesellschaft gesprochen werden.

Ebensowenig kann der Gegenkontrahent der Aktiengesellschaft die Auflösung der Vertragsverhältnisse abstrakt daraus herleiten, daß mit dem Zwecke der Liquidation die Fortdauer von Vertragsverhältnissen unvereinbar sei. Wie die Liquidation auszuführen, das ist, vorbehaltlich der Einhaltung der gesetzlichen Kautelen, die Sache der an der Gesellschaft Beteiligten. Das Handelsgesetzbuch behandelt lediglich die Rechtsstellung der Liquidatoren gegen die Gesellschaft und ihre Legitimation gegen Dritte. Die Bestimmung in Art. 137 H.G.B., "die Liquidatoren haben die laufenden Geschäfte zu beendigen", hat nicht den Sinn, es müßten dieselben noch laufende Geschäfte in ihrem Laufe unterbrechen und zu vorzeitigem Ende bringen, am allerwenigsten in der Tragweite eines hierauf begründeten Rechtes Dritter. Falls es dem Wesen einer Liquidation nicht entspricht, daß Vertragsverhältnisse von nicht absehbarer Dauer und mit nicht absehbaren Folgen ausgehalten werden, so mögen die Aktionäre die Liquidatoren zwingen können, die Verwandlung jener schwebenden Verhältnisse in feste Lösungen zu versuchen. Ob die Gegenkontrahenten deshalb, weil sie mit einer Gesellschaft kontrahiert haben, gezwungen sind, bei erfolgender Auflösung derselben in Auflösung der Vertragsverhältnisse zu willigen, wenn ihnen ihr Interesse an Aushaltung der Verträge voll vergütet wird, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls können die Gegenkontrahenten nicht daraus ein Recht zur Auflösung der Verträge herleiten, daß nach ihrer Meinung eine solche im Interesse der Gesellschafter, bezw. Aktionäre, liegen müßte.

Daß im vorliegenden Falle eine Art der Liquidation in Ausführung gebracht sei, welche die vom Gesetze geforderte Sicherung der Gläubiger, also auch der Gegenkontrahenten der schwebenden Verbindlichkeiten, in betreff des vorhandenen Vermögens beeinträchtigt, ist vom Kläger nicht behauptet worden, sodaß auch nicht zu erörtern ist, ob in solchem Falle das Recht auf vorzeitige Lösung begründet wäre. Sieht man von demselben ab, so kann nur immer nach der Besonderheit des einzelnen in Frage stehenden Vertragsverhältnisses in Verbindung mit den maßgebenden Grundsätzen des betreffenden bürgerlichen Rechtes geprüft werden, ob durch den Fortfall der produktiven Seite der geschäftlichen Thätigkeit für die Zukunft, wie solcher allerdings bei Auflösung der Gesellschaft anzunehmen ist, eine wesentliche Voraussetzung des Vertragsverhältnisses eine erhebliche Änderung erleidet und danach einen Grund zu vorzeitiger Lösung des Vertragsverhältnisses giebt." ...