RG, 08.12.1880 - V 537/80

Daten
Fall: 
Urkundenprozess
Fundstellen: 
RGZ 3, 377
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.12.1880
Aktenzeichen: 
V 537/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Beuthen
  • OLG Breslau
Stichwörter: 
  • Ergänzung einer in mangelhafter Fassung zugestellten Wechselurkunde durch Produktion des vollständigen Originals in zweiter Instanz eines Urkundenprozesses

Kann im Urkundenprozesse nach dem Systeme der deutschen Civilprozeßordnung die dem Beklagten in mangelhafter Fassung zugestellte Wechselurkunde durch Produktion des vollständigen Originals in zweiter Instanz ergänzt werden, nachdem der Beklagte den Mangel in erster Instanz gerügt hat?

Tatbestand

Die Klägerin - angeblich durch Blanko-Giro legitimiert - fordert aus dem Wechsel vom 20. Mai 1880 über 3000 Mark im Urkunden- und Wechselprozesse Zahlung von. der Beklagten, als Acceptantin. Die letztere - das Accept nicht anerkennend - hält den Urkunden- und Wechselprozeß nicht für zulässig, weil in der ihr, mit der Klage zugestellten Abschrift des Wechsels und Protestes das Giro, auf welches die Klägerin ihre Legitimation aus dem Wechsel gründet, fehlt. Sie hat daher die Abweisung der Klägerin in der gewählten Prozeßart beantragt.

Die Klägerin hat widersprochen.

Daß in erster Instanz der Original-Wechsel vorgelegt worden, ergiebt das Sitzungsprotokoll nicht. Die Klägerin ist aber - dem Antrage der Beklagten, gemäß - mit ihrem Anspruche abgewiesen worden.

In zweiter Instanz ist - auf die Berufung der Klägerin - dieses Erkenntnis mit der Maßgabe bestätigt: daß die Klage, als im Urkundenprozesse zur Zeit unstatthaft, zurückzuweisen. Das Sitzungsprotokoll enthält den Vermerk, daß der Vertreter der Klägerin den Klagewechsel und Protest mit seinen Handakten überreichte.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin die Revision mit dem Antrage eingelegt: das Urteil zweiter Instanz aufzuheben und unter Abänderung des Urteils erster Instanz nach dem Klagantrage zu erkennen.

Die Beklagte hat widersprochen, und das Reichsgericht hat die Revision zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Civilprozeßordnung hat den Urkunden- und Wechselprozeß nicht in Ansehung des äußeren Verfahrens, sondern in Betracht der Liquidstellung der Ansprüche für Klage und Einrede von dem ordentlichen Prozesse unterschieden, indem sie denselben nur gestattet, wenn der Anspruch auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder Leistung einer vertretbaren Sache gerichtet ist, und wenn sämtliche zur Begründung des Anspruches erforderlichen Thatsachen durch Urkunden bewiesen werden können (§. 555). In gleicher Weise ist das Einrederecht durch die sofortige Liquidstellung durch Urkunden und Eideszuschiebung begrenzt (§§. 558. 561). Mit dieser prozessualen Pflicht der Liquidstellung steht auch in Beziehung das Verfahren bei Mitteilung der Urkunden an die Gegenpartei. Während bei dem gewöhnlichen Prozeßverfahren die Antretung des Beweises durch Vorlegung der Urkunden (Produktion) - nach dem Grundsätze der Mündlichkeit und der Beweisverbindung - in der mündlichen Verhandlung erfolgt (§§. 385. 119. 251 flg. 255. 320. 399 C.P.O.) und die instruktionelle Vorschrift des §. 122 a. a. O., wonach dem vorbereitenden Schriftsatze die in Bezug genommenen Urkunden, nach Wahl der Partei, in Urschrift oder in Abschrift beigefügt und dem Gegner mitzugestellt werden sollen (§§. 155. 156. 173 a. a. O.), nur den Zweck hat, dem Gegner vorbereitende Gelegenheit zur Erklärung und zu dem Antrage auf Niederlegung der Urkunden auf der Gerichtsschreiberei zu geben (§. 125 a. a. O.), schreibt - in Würdigung des unterschiedlichen Zweckes der Urkunden für den Urkunden- und Wechselprozeß - der §.556 Abs. 2 a. a. O. vor, daß die Urkunden, welche zur Begründung des Klaganspruches dienen, in Urschrift oder in Abschrift der Klage beigefügt werden müssen. Die Existenz der Urkunden ist daher im Urkundenstreite - und durch die Wahl dieser Prozeßart unterwirft der Kläger sich dieser eigenartigen Einschränkung - Bedingung des klägerischen Prozeßrechtes und die Beifügung der Urkunden und die Mitteilung derselben an den Gegner dergestalt obligatorisch, daß eine Nachbringung der Urkunden in dem Prozesse - wenigstens wenn der Mangel gerügt (§.267) - unzulässig und der Urkundenprozeß daher - beim Mangel jener Voraussetzung - unstatthaft erscheint. Struckmann und Koch, Civilprozeßordnung 2. Aufl. S. 479, 482; Endemann, Civilprozeßordnung I. S. 539, 540; Petersen, Civilprozeßordnung II. S. 447; Hellmann, Civil-Prozeßordnung II. S. 511; v. Sarwey, Civilprozeßordnung II. S. 8; v. Wilmowski und Levy, Civilprozeßordnung S. 432.

Nun stellt der Berufungsrichter fest, daß die Klägerin zwar der Urschrift ihres vorbereitenden Schriftsatzes eine vollständige Abschrift des Klagewechsels und des Protestes - also einschließlich des auf dem Wechsel befindlichen, die Klägerin als Inhaberin legitimierenden Blanko-Giro - beigefügt hat, daß aber in der Abschrift des Wechsels und des Protestes, welche der Beklagten mit der Abschrift der vorbereitenden Klageschrift zugestellt worden ist, jenes Blanko-Giro des Ausstellers gefehlt hat. Und es muß dem Berufungsrichter darin beigetreten werden, daß diese Beurkundung eine mangelhafte war und nicht geeignet ist, den Anspruch der Klägerin zum Urkundenprozesse zu qualifizieren. Denn nach §. 555 a. a. O. müssen für diese Prozeßart alle zur Begründung des Klageanspruches erforderlichen Thatsachen durch Urkunden erwiesen werden, daher auch alle nebensächlichen Elemente, nicht bloß der Hauptanspruch, und somit insbesondere auch die Sachlegitimation der Klägerin, d. h. die Berechtigung der Klägerin zur Geltendmachung des erhobenen Anspruches. Die der Beklagten mit der Klage zugestellte Abschrift des Wechsels ergiebt - beim Mangel des Blanko-Giros - aber keinen urkundlichen Beweis für die Legitimation der Klägerin, als Inhaberin der Wechselforderung, und ein Urkundenbeweis ist daher nach dieser Richtung hin überhaupt nicht angetreten und nicht geführt (§. 560 a. a. O.). Die Pflicht zu dieser urkundlichen Liquidstellung war aber - abweichend von dem ordentlichen Prozeßverfahren - im Urkundenstreite schon zur Zeit der Klageerhebung, d. i. in dem Zeitpunkte der Zustellung des vorbereitenden Klageschriftsatzes an die Beklagte (§§. 230. 560 a. a. O.), vorhanden, und ob sie erfüllt ist, das läßt sich nur prüfen und beurteilen nach dem Inhalte der, der Beklagten - zum Zweck der Klageerhebung - zugestellten beglaubigten Abschrift des Schriftsatzes, nicht nach dem Inhalte der, der Beklagten nicht zugänglich gemachten Urschrift des Schriftsatzes (§5.152. 153. 155. 156 a. a. O.). Eine Ergänzung dieses mangelhaft, d.h. bei Erhebung der Klage durch Zustellung an die Beklagte nicht urkundlich erbrachten Beweises durch Produktion der vollständigen Originalurkunde in dem Termine zur mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz ist - es kann dahin gestellt bleiben, ob überhaupt, aber jedenfalls unzulässig, nachdem - wie feststeht - die Beklagte den Mangel der Beurkundung schon in erster Instanz gerügt hat (§. 267 a. a. O.).

Hiernach hat der Berufungsrichter die angezogenen gesetzlichen Vorschriften nicht verletzt. Es war daher die Revision als unbegründet zurückzuweisen."