RG, 03.11.1880 - I 172/80

Daten
Fall: 
Teilzahlung auf die im Konkurs zu empfangende Dividende
Fundstellen: 
RGZ 2, 178
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
03.11.1880
Aktenzeichen: 
I 172/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Frankfurt a. M.
  • OLG Frankfurt a. M.
Stichwörter: 
  • Einfluss einer im Konkursverfahren von einem Mitschuldner geleisteten Teilzahlung auf die im Konkurs zu empfangende Dividende

1. Hat eine während des Konkursverfahrens von einem solidarisch verpflichteten Mitschuldner geleistete Teilzahlung Einfluß auf die im Konkurs zu empfangende Dividende?
2. Kommen die in dieser Hinsicht beim Konkurse geltenden Grundsätze auch bei einem zur Abwendung des Konkurses vereinbarten Liquidations- und Verteilungsverfahren in Anwendung?

Tatbestand

Die Beklagte schloß mit ihren Gläubigern einen "Moratorienvertrag", demzufolge ein außergerichtliches Liquidations- und Verteilungsverfahren stattfand, in welchem eine Dividende von 15 Prozent zur Auszahlung kam. Die Klägerin, welche als Indossatarin eine Wechselregreßforderung gegen die Beklagte als Indossanten hatte, verlangte 15 Prozent dieser Forderung. Beklagte machte hiergegen geltend, daß Klägerin nach Abschluß des Moratorienvertrages von dem Indossanten N. auf ihre Wechselregreßforderung eine Zahlung von 43 1/3 Prozent erhalten habe und deshalb nur von 56 2/3 Prozent dieser Forderung die Dividende von 15 Prozent verlangen könne. Die Klage auf Anerkennung der Verpflichtung der Beklagten, die Dividende von der ganzen Wechselregreßsumme zu berechnen und zu bezahlen, wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen, vom Reichsgericht dagegen für begründet erklärt.

Aus den Gründen

"Aus dem Vertrage selbst und den Akten geht hervor, daß die Beklagte, nachdem sie am 17. September 1877 ihre Zahlungen eingestellt und mit einem Teile ihrer Gläubiger einen außergerichtlichen Stundungsvertrag abgeschlossen hatte, infolge des Andringens eines demselben nicht beigetretenen Gläubigers bei Gericht die Zusammenberufung ihrer Gläubiger behufs Abschlusses eines gerichtlichen Stundungsvertrages erwirkte und mit der Mehrheit der Gläubiger, deren Beschlüssen die nicht erschienenen Gläubiger zustimmend erklärt wurden, den mit der Klage vorgelegten, unter dem 7. Januar 1878 gerichtlich bestätigten "Moratorienvertrag" abschloß. Es wurde mithin der zur Abwendung förmlicher Konkurse in der Frankfurter Reformation Teil II Tit. 27 §§. 8 flg. gestattete Weg eingeschlagen. Die Beklagte selbst bezeichnet die vereinbarte Maßregel in der Duplik als "ein Arrangementsverfahren zwecks der Abwendung eines Konkurses". Zu diesem Zwecke wurde aber, wenngleich die Vereinbarung nur als "Moratorienvertrag" bezeichnet ist, nicht bloß Stundung von den Gläubigern bewilligt, sondern zugleich ein auf Befriedigung der Gläubiger abzielendes Liquidations- und Verteilungsverfahren angeordnet. Ein Kurator und von den Gläubigern zu bevollmächtigender Gläubigerausschuß, dessen Anordnungen und Beschlüssen Beklagte Folge zu leisten hatte, sollte die von den Teilhabern der beklagten Handlung zu bewirkende Liquidation leiten und beaufsichtigen, die ihm cedierten sämtlichen Ausstände behufs Verwendung der Eingänge zum Besten der Kreditorschaft einziehen und den Zeitpunkt sowie die Höhe der zu verteilenden Dividenden je nach dem Stande der disponibeln Mittel bestimmen. Es war demnach der Wille der Vertragschließenden, daß unter Vermeidung des förmlichen Konkurses die Gläubiger wie im Konkurse gemeinschaftlich und nach Verhältnis der Höhe ihrer Forderungen gleichmäßig so weit befriedigt werden sollten, wie es die Aktivmasse gestatte. Hierin ist aber auch die Vereinbarung zu finden, die einzelnen Gläubiger an den Dividenden in dem Maße teilnehmen zu lassen, wie es im Konkurse der Fall sein würde ... ..

Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt mithin davon ab, ob nach den beim Konkurse geltenden Grundsätzen die Dividende von der gesamten Forderung der Klägerin oder von der nach Abzug von 43 1/3 Prozent verbleibenden Restforderung, derselben zu berechnen ist.

Die Vorrichter nehmen letzteres an im Anschluß an eine Entscheidung des vormaligen O.A.G.'s zu Lübeck vom 25. März 1825 (Jurisprudenz des O.A.G.'s der vier freien Städte Deutschlands in Wechselsachen 1858 S. 57).

Diese Entscheidung kann das Reichsgericht nicht hindern, einer abweichenden Rechtsansicht zu folgen. Daß die dadurch ausgesprochene Rechtsregel durch ein örtliches Frankfurter Gewohnheitsrecht festgestellt sei, ist von der Beklagten nicht einmal behauptet. Die Gründe der angeführten Entscheidung sind dem gemeinen Rechte entlehnt und beruhen so wenig auf dem Frankfurter Partikularrecht, daß sie vielmehr das gemeine Recht ungeachtet der anscheinend entgegenstehenden, damals noch geltenden Vorschrift des Art. 31 der Frankfurter Wechselordnung von 1739 zur Anwendung bringen. Auf die diesem Art. 31 gegebene Deutung zurückzukommen, liegt dermalen kein Anlaß vor, da derselbe durch §. 1 des Frankfurter Einführungsgesetzes zur deutschen Wechselordnung vom 10. März 1849 aufgehoben worden ist.

Es ist nun zwar anzuerkennen, daß die gedachte Entscheidung richtig erscheinen würde, wenn lediglich das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dessen Schuldner in Betracht käme. Daß durch die von einem Korreal- oder Solidarschuldner geleistete Zahlung die Forderung auch gegenüber den übrigen Korreal- oder Solidarschuldnern aufgehoben oder - sofern nur eine Teilzahlung geleistet worden ist - vermindert wird, unterliegt keinem Zweifel. Auch ist kein Grund abzusehen, in dieser Hinsicht zwischen Wechselschuldnern und anderen Solidarschuldnern einen anderen Unterschied anzunehmen, als daß eine auf dem Wechsel nicht abgeschriebene Zahlung die Wechselforderung nicht von selbst aufhebt oder vermindert, sondern nur eine nach Art. 82 W.O. zu beurteilende Einrede gegen dieselbe begründet, und daß ein Wechselschuldner nicht ohne weiteres jede von einem anderen Wechselschuldner geleistete Zahlung als auf seine Schuld geleistet und ihm zu gute kommend in Anspruch nehmen kann.

Dagegen erscheint bei der vorgedachten Entscheidung die Veränderung, welche durch den Ausbruch des Konkurses herbeigeführt wird, und das Verhältnis der Konkursgläubiger unter einander nicht genügend berücksichtigt. Wenn auch das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner durch den Ausbruch des Konkurses an sich in der Regel keine Veränderung erleidet, so verwandelt sich doch der Anspruch jedes einzelnen Gläubigers auf unbeschränkte Befriedigung aus dem Vermögen des Schuldners mit dem Eintritt des Konkurses in den gemeinsamen Anspruch aller Gläubiger auf verhältnismäßige Befriedigung aus der Konkursmasse. Wie die Entscheidung über die Priorität, so ist auch die Feststellung der Dividende, mithin die Ermittelung der Summe der Konkursforderungen und des durch Vergleichung derselben mit der Aktivmasse zu ermittelnden Prozentsatzes, eine das Verhältnis der Gläubiger unter einander angehende Angelegenheit. Es folgt hieraus, daß in betreff der Existenz und Höhe der zu summierenden Forderungen ein einziger Zeitpunkt für alle Forderungen gleichmäßig entscheidend sein muß. Es kann daher nicht auf die Zeit der Anmeldung der einzelnen Forderungen ankommen, welche verschieden sein kann. Vielmehr hat man nur die Wahl, entweder die Zeit der Konkurseröffnung oder die Zeit des rechtskräftigen Lokationsurteiles für entscheidend zu erklären. Gegen letztere von Renaud im Archiv für Wechselrecht Band 8 S. 296 befürwortete Annahme wird mit Recht eingewendet, daß das Lokationsurteil keine neuen Ansprüche begründet, sondern wie jedes Urteil nur die bestehenden feststellt.

Vgl. Goldschmidt in Zeitschr. für Handelsrecht Bd. 14 S. 435.

Dagegen rechtfertigt sich die Beurteilung nach der Zeit der Konkurseröffnung durch die Erwägung, daß durch diesen Akt wie die Notwendigkeit der gemeinschaftlichen Befriedigung, so auch der Umfang, in welchem dieselbe eintritt, festgestellt wird. Es ergiebt sich somit schon für das bisherige gemeine Konkursrecht der durch §.61 der R.K.O. ausgesprochene Satz, daß zwar die vor Eröffnung des Konkurses von einem Mitverpflichteten geleisteten, dem Gemeinschuldner zu gute kommenden Zahlungen an der im Konkurs geltend zu machenden Forderung abgehen, dagegen im Laufe des Konkursverfahrens erfolgende Zahlungen Mitverpflichteter keinen Grund abgeben, die Konkursdividende von einer geringeren als der im Konkurse angemeldeten Forderung zu berechnen.

Allerdings kann das Recht eines Konkursgläubigers auf Berichtigung der ihm zur Zeit der Konkurseröffnung zustehenden Forderung aus der Konkursmasse durch spätere Vorgänge ausgeschlossen werden, z. B. wenn er auf seine Forderung überhaupt oder auf deren Berichtigung aus der Konkursmasse verzichtet oder wegen der aus derselben zu empfangenden Dividende auf andere Weise befriedigt wird. Darin aber, daß ein Mitverpflichteter einen Teil der Forderung bezahlt, welcher den nach Abzug der Konkursdividende verbleibenden Teil derselben nicht übersteigt, kann eine Befriedigung des Gläubigers hinsichtlich der Konkursdividende nicht ohne weiteres gefunden werden. Es bleibt daher, wie nach §.61 der Konkurs-Ordnung, so auch schon nach bisherigem gemeinem Recht, dem Gläubiger ungeachtet der im Laufe des Konkursverfahrens empfangenen Teilzahlungen das Recht, bis zu seiner vollen Befriedigung den Betrag, welchen er zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens zu fordern hatte, aus der Konkursmasse in Höhe der ihm zukommenden Quote zu empfangen.

Daß die Motive zum Entwurf der Konkursordnung die Bestimmung des §. 61 durch die Hinweisung auf den Vorgang anderer Gesetzgebungen und auf Billigkeitsgründe zur Annahme empfehlen, schließt nicht aus, daß derselben auch Gründe zur Seite stehen, welche sich aus dem Zwecke und dem dadurch bestimmten Wesen des Konkurses ableiten lassen.

Aus dem Angeführten erhellt zugleich, daß die Berechnung der Dividende nach dem vollen Belauf der zur Zeit der Konkurseröffnung bestehenden Forderung nicht in Besonderheiten des Konkursverfahrens, sondern in dem materiellen Verhältnis der durch Unzulänglichkeit des Aktivvermögens des Schuldners veranlaßten gemeinsamen und verhältnismäßigen Befriedigung aller Gläubiger ihren Grund hat, mithin dieselbe auch außerhalb des Konkursverfahrens bei einem zu demselben Zwecke vertragsmäßig eintretenden Liquidations- und Verteilungsverfahren mit der selbstverständlichen Abweichung anwendbar ist, daß in letzterem Falle der volle Belauf der zur Zeit der Vertragsschließung bestehenden Forderung für die Berechnung der Dividende maßgebend ist."