RG, 31.05.1880 - IV 501/80

Daten
Fall: 
Beschlagnahme von Grundstücken gegen Erben
Fundstellen: 
RGZ 2, 188
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
31.05.1880
Aktenzeichen: 
IV 501/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Meseritz
  • OLG Posen

Wie weit ist die Beschlagnahme auf Grund des §. 13 flg. der Verordnung von 24. Januar 1844 (Pr.G.S. S. 52) gegen die Erben des schuldigen Beamten zulässig?

Tatbestand

Der Magistrat zu Neu-T. behauptete Ansprüche an den Kämmerer F. aus angeblichen Kassendefekten desselben zu haben und erwirkte auf Grund der §§. 13.15 der Verordnung von 24. Januar 1844 gegen die Erbin desselben durch den Prozeßrichter die Beschlagnahme zweier von F. hinterlassener Grundstücke in der Art, daß der Grundbuchrichter um Eintragung einer Vormerkung zur Sicherheit dieser Ansprüche ersucht wurde.

Die Erbin des F. hat mit der vorliegenden gegen die Stadtgemeinde Neu-T. gerichteten Klage die Wiederaufhebung dieser Beschlagnahme beantragt und diesen Antrag unter anderm auch darauf gestützt, daß nach der gedachten Verordnung eine solche Beschlagnahme gegen die Erben des Beamten überhaupt unzulässig sei. Dies ist von Reichsgericht verworfen unter folgender Motivierung: Nachdem zunächst ausgeführt ist, daß die Aufhebung einer nach §.13 der gedachten Verordnung vor Erlaß des Defektenbeschlusses angeordneten Beschlagnahme im Prozeßwege an sich nur durch Anfechtung des demnächst zu erlassenden Defektenbeschlusses gesucht werden kann, wird fortgefahren:

Gründe

"Indessen es fragt sich:
ob nicht im Prozeßwege ausgeführt werden kann, daß nach der Verordnung von 1844 selbst die in casuangeordnete Beschlagnahme unzulässig sei?

Man wird die Frage unbedingt bejahen, wenn die Maßregel gegen eine dritte Person gerichtet ist. Denn die Verordnung spricht überall nur von Maßregeln gegen Beamte. Dies hat auch der preußische Gerichtshof für Kompetenzkonflikte durch Erkenntnis vom 20. Oktober 1855 (Justiz-Ministerialblatt 1856 S. 68) hinsichtlich des Bürgen und des Besitzers eines zur Kaution bestellten Grundstückes ausgesprochen.

Im vorliegenden Falle sind nun Klage und Revisionsbeschwerde darauf gestützt, daß jene administrative Maßregel auch gegen die Erben des schuldigen Beamten unzulässig sei, und beide Vorderrichter haben sich dieser Meinung angeschlossen. Indessen kann dem in dieser Allgemeinheit nicht beigetreten werden.

Die Verordnung bestimmt allerdings in §§. 10 flg., daß der Defektenbeschluß gegen die schuldigen Beamten gerichtet werden soll, und es ist auch nicht zweifelhaft, daß die Beschlagnahmen und Exekutionen sich nur auf das Vermögen und das Gehalt des Beamten erstrecken dürfen. Nach §.15 sind die Gerichts- und Hypothekenbehörden auch nur verpflichtet, auf Grund der Requisition der Verwaltungsbehörde die Exekution gegen die benannten Personen (d. h. die in der Verordnung bezeichneten Beamten) zu vollstrecken. Indessen, wie bei Lebzeiten das Vermögen der Beamten für den Defekt haftet und den provisorischen Maßregeln der Verordnung unterworfen ist, in demselben Maße und mit derselben Beschränkung erwirbt auch der Erbe dieses Vermögen als Erbschaft (A.L.R. I. 2. §§. 34. 85; I. 9. §. 350). Es gehört die Interessenforderung, welche aus der Verletzung der dem Erblasser der Klägerin obliegenden Beamtenpflicht für die Beklagte entstanden ist, die Forderung auf Ersatz des ihr durch das pflichtwidrige Verhalten des Erblassers entstandenen Schadens, zur Erbschaft, und zwar mit den besondern Rechten, welche ihr hinsichtlich der Sicherungsmaßregeln zustehen (§§. 361. 362 a. a. O.).

Dies ist auch in dem Erkenntnis des Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenz-Konflikte vom 17. April 1858 (Justiz-Ministerialblatt S. 243) bereits überzeugend ausgeführt, und es ist dort aus den Materialien der Verordnung nachgewiesen, daß nach der Ansicht des Gesetzgebers der Nachlaß des schuldigen Beamten den nach der Verordnung zulässigen Beschlagnahmen in derselben Weise unterliegen solle, wie das Vermögen des, noch lebenden Beamten. Wenn man erwägt, daß erfahrungsmäßig in vielen Fällen die Defekte erst mit dem Tode des Beamten ans Tageslicht kommen, so läßt sich kaum denken, daß der Gesetzgeber für diese Fälle nicht sollte Fürsorge getroffen haben, wenn er die Zulässigkeit der Beschlagnahme des Nachlasses nicht für selbstverständlich gehalten hätte.

Dem entgegen hat freilich das ehemalige preußische Obertribunal in dem Erkenntnis vom 4. September 1857 (Entscheidungen Bd. 36 S. 383) ausgeführt:

daß daraus, daß die Verordnung nirgends von Personen handelt, die nicht Beamte sind, notwendig folge, daß gegen die Erben eines ehemaligen Beamten die gedachte Verordnung durchaus keine Anwendung finden könne; daß mit seinem Tode jede Verpflichtung dieser Art aufhöre und ein Anspruch, welcher aus seiner Amtsführung her dann noch geltend gemacht wird, eine Entschädigungsforderung an seinen Nachlaß darstelle, daß aber dieser Forderung ein solches Vorrecht auf vorzügliche Befriedigung durch kein Gesetz beigelegt sei.

Indessen abgesehen davon, daß es sich hier gar nicht um ein Vorrecht auf vorzügliche Befriedigung, sondern nur um einen kürzeren Weg zur Befriedigung und um Sicherung des Anspruchs handelt, kann dieser Ausführung wenigstens insoweit nicht beigetreten werden, als es sich (wie in vorliegenden Falle) nur um eine Beschlagnahme von Grundstücken, welche unzweifelhaft zum Nachlasse gehören, handelt. Bei der Beschlagnahme solcher Gegenstände genügt es, daß die Zugehörigkeit zum Nachlaß feststeht; die selbstverständlich allein den Gerichten zustehende Ermittelung, wer der Erbe und ob dieser Erbe Benefizialerbe sei, ist dazu nicht erforderlich.

Steht hiernach im vorliegenden Falle die Klägerin, welche nur als Besitzerin der von der Beschlagnahme betroffenen Nachlaßgrundstücke durch die Beschlagnahme berührt wird, in Beziehung auf die ihr gegen die Beschlagnahme zustehenden Rechtsbehelfe nicht anders, als ihr Erblasser, so kann auch sie diese Beschlagnahme nur durch Anfechtung des Defektenbeschlusses mittels der in §.16 der Verordnung gegebenen Klage beseitigen. In dieser Weise ist aber die jetzt zu beurteilende, bereits vor dem Defektenbeschluß erhobene Klage nicht begründet worden."