RG, 25.05.1880 - III 148/80

Daten
Fall: 
Gemeines Recht über die Verkaufsselbsthilfe bei dem Handelskaufe
Fundstellen: 
RGZ 1, 355
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.05.1880
Aktenzeichen: 
III 148/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht Braunschweig
  • Oberlandesgericht Braunschweig

Annahmeverzug des Gläubigers. Anwendbarkeit der Vorschriften des gemeinen Rechtes über die Verkaufsselbsthilfe bei dem Handelskaufe. Aufrechterhaltung des Verkaufes aus dem Gesichtspunkte einer nützlichen Geschäftsführung. Die Bestimmung über den Umfang der Verpflichtung des Käufers in dessen billiges Ermessen gestellt. Beweislast bei der Untersuchung.1

Tatbestand

Kläger hatte sich kontraktlich verpflichtet, der Beklagten für die Kampagne 1878/79 ordnungsmäßig beworfene Rüben von ca. 100 Morgen Land gegen eine Vergütung von Mark 1,25 pro Zentner, falls er selber die Rüben anfahre, und von 90 Pfg. pro Zentner, falls Beklagte solche anfahren lasse, zu liefern. Letztere versprach außerdem die Rückgabe von 40 Proz. Preßrückstände (Schnitzeln). Nach der Schlußabrechnung hatte Kläger ein Guthaben von 31544 kg Preßrückstände. Nachdem Beklagte den Kläger vergeblich zur Empfangnahme dieser Schnitzeln aufgefordert hatte, ließ sie solche im Januar 1879 öffentlich meistbietend zu 35 Pfg. pro Zentner versteigern.

Nunmehr verlangte Kläger Herausgabe der Schnitzeln oder Erstattung des Wertes derselben mit 80 Pfg. pro Zentner. Zugleich verband er damit eine Klage auf Vergütung einer Mehrlieferung an Rüben, behauptend, daß er ein Bruttogewicht von 762640 kg kopffreie Rüben angefahren, Beklagte ihm aber ungerechtfertigterweise einen Abzug von 19 Proz., anstatt wie üblich von nur 9 Proz., gemacht habe.

Der Streit unter den Parteien drehte sich um die Fragen: Wer von ihnen im Verzuge gewesen sei; ob Beklagte die Preßrückstände, sowie geschehen, habe verkaufen dürfen; ob die von der Beklagten behauptete mündliche Übereinkunft, daß der Abzug für Schmutz, Blätter und Blattnarben an den Rüben von ihr, der Beklagten, festgestellt werden solle, rechtsgültig sei.

Die erste Instanz nahm an, daß der Vertrag über die Rückgabe der Preßrückstände als ein selbständiges Handelsgeschäft nach Art. 338 H.G.B. zu beurteilen, demgemäß aber deren Verkauf nach Art. 343 H.G.B. für ungültig zu erachten sei, und legte dem Kläger den Beweis auf, daß der Wert der fraglichen Schnitzeln 80 Pfg. pro Zentner betragen habe. Zum zweiten Klageanspruche verlangte sie sodann von der Beklagten den Beweis, daß der Abzug von 10 Proz. für Schmutz und Abfälle der Beschaffenheit der Rüben entsprochen habe.

Auf Berufung der Beklagten änderte die zweite Instanz das Erkenntnis dahin ab, daß zum ersten Klageposten Kläger sich mit dem Auktionserlöse von 35 Pfg. zu begnügen habe, wenn er nicht beweise, daß ihm nach dem stattgehabten Lieferungsangebote die Abfuhr der Schnitzeln verweigert worden sei, und daß zum zweiten Klageposten Beklagte zunächst die behauptete mündliche Nebenabrede und hiernächst Kläger darzuthun habe:"daß der von der Beklagten behufs Feststellung des Nettogewichtes der gelieferten Rüben gemachte Abzug von 19 Proz. der Beschaffenheit derselben nicht entsprochen"- letzteres mit der Maßgabe, daß dem Handelsgerichte der Ausspruch darüber vorbehalten bleibe, ob und in welchem Maße in jener Feststellung eine gröbliche Verletzung der Billigkeit zu finden sei.

Die von dem Kläger hiergegen ergriffene - nach älterem Prozeßrechte zu beurteilende - Revision wurde verworfen.

Aus den Gründen

I.

"Zur ersten Beschwerde ist zunächst der Ansicht der vorigen Instanz beizutreten, daß das ganze hier fragliche Vertragsverhältnis als ein Handelsgeschäft zu betrachten sei, wobei Kläger die Rolle des Verkäufers, Beklagte diejenige des Käufers und zwar unter der Abrede übernommen habe, daß die Gegenleistung der Beklagten teils in Zahlung eines bestimmten Kaufpreises, teils in unentgeltlicher Herausgabe der Schnitzeln bestehen solle. Für die rechtliche Beurteilung des Sach- und Rechtsverhältnisses bleibt es sich dabei gleich, ob man diese Abrede mit der vorigen Instanz als einen Nebenvertrag, oder, was richtiger zu sein scheint, als einen integrierenden Bestandteil des Hauptvertrages selber (I. 21 §. 4. Dig. de A. E. V. 19, 1) betrachtet.

Denn, was zunächst die Frage angeht, wer von den streitenden Teilen im Verzuge sich befand, so ist der Annahmeverzug des Klägers nach den Umständen des Falles jetzt schon liquid. Kläger war verpflichtet, die Schnitzeln auf der Fabrik abzuholen; er mußte solche je nach dem Vorschreiten der Rübenlieferungen im Interesse der Beklagten abfahren lassen, ist aber dieser Verbindlichkeit nur zum Teile nachgekommen, so daß bei Beendigung der Rübenanfuhr noch ein erhebliches Quantum Schnitzeln (31544 kg) auf der Fabrik lag; er ist einmal wenigstens an Ort und Stelle vergeblich zur Mitnahme von 60 bis 80 Zentner Schnitzeln aufgefordert und am 5. Dezember 1878 bei der Schlußabrechnung davon in Kenntnis gesetzt worden, daß jenes Quantum zu seiner Verfügung stehe. Da Kläger nicht am Fabrikorte wohnt und seinerseits nicht bestreitet, daß die Beklagte die streitige Quantität Schnitzeln am 5. Dezember 1878 wirklich vorrätig gehabt habe, da er ferner nicht im Zweifel darüber sein konnte, daß in jener Stellung zur Verfügung eine Aufforderung zum sofortigen Beginne der Abfuhr der Preßrückstände enthalten war, so bedurfte es einer weiteren Offerte der Beklagten nicht, um den Kläger in Annahmeverzug zu versetzen, vielmehr genügte dazu die unzweifelhaft vorhandene tatsächliche Erfüllungsbereitschaft der Beklagten, verbunden mit der erfolglosen Aufforderung an den Kläger zur Empfangnahme der Ware. Mit Recht hat daher der Appellationsrichter angenommen, daß der Kläger die Folgen des auf seiner Seite vorhandenen Verzuges nur dann von sich abwenden könne, wenn er darthue, daß er nach dem 5. Dezember 1878 von der Beklagten vergeblich die Übergabe der Schnitzeln verlangt habe.

Die vorige Instanz hat sodann weiter zutreffend ausgeführt, daß der von der Beklagten vollzogene öffentliche Verkauf der auf der Fabrik lagernden Schnitzeln nicht nach den Vorschriften des Art. 343 H.G.B., sondern nach denjenigen des genuinen Rechtes zu beurteilen sei. An sich ist dieser Verkauf um so weniger zu beanstanden, als Kläger zugiebt, daß es in der Fabrik der Beklagten an den erforderlichen Räumlichkeiten zur Aufbewahrung der Preßrückstände gebrach, als ferner die Niederlegung derselben bei einem Dritten nach den Umständen mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten und Kosten verbunden gewesen wäre, die Veräußerung endlich meistbietend erfolgte und Kläger die Höhe des Versteigerungserlöses jetzt nicht weiter bestreitet. Es fragt sich aber, ob die Beklagte diesen Verkauf vornehmen durfte, ohne den Kläger nochmals zu verwarnen und ihm dadurch die Möglichkeit zu gewähren, durch Abfuhr der Schnitzeln die Folgen des Verzuges zu beseitigen?

Würde man die Veräußerung unter dem Gesichtspunkte eines Selbsthilfeverkaufes aufzufassen haben, so wäre die Aufrechterhaltung des angefochtenen Urteiles zum mindesten bedenklich; denn es erscheint als ein Ausfluß der Billigkeit, daß der nichtsäumige Kontrahent, wenn er zum Verkaufe der Ware in seinem Interesse schreitet, nach Analogie der 1. 1 §. Dig. de peric. et com. 18, 6 den säumigen davon benachrichtige, sofern die Verhältnisse eine solche Mitteilung gestatten. Im vorliegenden Falle ist jedoch der Verkauf, wenn auch nicht ausschließlich, doch zugleich im Interesse des Klägers selbst erfolgt. Indem die Beklagte, unter den angeführten Umständen, die auf ihrem Hofe lagernden, mitten im Winter den Einflüssen der Witterung preisgegebenen Preßrückstände zu angemessenen Preisen meistbietend verkaufte, durfte sie unterstellen, daß dieser Verkauf dem Willen des Klägers entspreche. Sie führte also in der That dessen Geschäfte, und es ist der fragliche Verkauf nicht als ein einseitiger und eigenmächtiger, wenn auch im allgemeinen gesetzlich erlaubter Dispositionsakt der Beklagten anzusehen, sondern er begründet ein selbständiges Rechtsverhältnis zwischen den streitenden Teilen, in dessen Folge Kläger nur die Herausgabe des erzielten Versteigerungserlöses verlangen kann.

II.

Auch die zweite Beschwerde ist nicht gerechtfertigt.

Inhaltlich des schriftlichen Vertrages. vom 8. Februar 1878 hatte Kläger"ordnungsmäßig beworfene Rüben" zu liefern. Beklagte behauptet, es sei hierzu weiter mündlich vereinbart worden: "daß der Absatz an Schmutz, Blättern, Blattnarben u. s. w. seitens der Fabrik festgestellt werden und das Ergebnis dieser Feststellung für den Kläger maßgebend sein solle". Bei dem Widerspruche des Klägers hat das Oberlandesgericht zunächst auf den Beweis dieser Nebenabrede erkannt. Kläger bestreitet deren Rechtsgültigkeit, weil dadurch die Bestimmung der Gegenleistung in die Willkür der Käuferin gestellt werde, und weil solche nach den natürlichen Verhältnissen und bei der Unmöglichkeit einer Beweisführung undurchführbar sei.

In ersterer Hinsicht sollte jedoch, wie auch das angefochtene Erkenntnis annimmt, nach Maßgabe des Vertrages durch das billige Ermessen des Käufers festgestellt werden, welche Quantitäten der gelieferten Rüben ihrer Beschaffenheit nach zu Fabrikationszwecken sich eigneten, mithin anstatt des Bruttogewichtes ein Nettogewicht für die wirklich empfangbare Ware ermittelt werden. Daß ein solcher Vertrag über den Umfang der Verpflichtung des Käufers nach neueren, insbesondere handelsrechtlichen Grundsätzen vollkommen wirksam und bindend ist, erscheint nicht zweifelhaft. Vgl. I. 22 §. 1 Dig. de R. J. 50, 17.

Zu der zweiten Richtung der Beschwerde aber ist zu erwägen, daß der Kläger, wenn er es unterließ, bei der Abnahme der Ware bezw. der Feststellung des Nettogewichtes mitzuwirken, und damit thatsächlich auf die eigene Kontrolle im Vertrauen auf die Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit der verantwortlichen Organe der beklagten Fabrik verzichtete, auch das Ergebnis der Feststellung der letzteren so lange gegen sich gelten lassen, muß, als er nicht zu erweisen vermag, daß diese Feststellung eine offenbar unbillige gewesen sei, die Beklagte sonach eines Vertrauensmißbrauches sich schuldig gemacht habe; I. 75-80 Dig. pro socio 17, 2; I. 30 pr. Dig. de op. lib. N. 38, 1.

Daß eine solche Beweisführung bei der stattgehabten Verarbeitung des Materiales schwierig, oder gar, wie Revident behauptet, in gewissem Sinne unmöglich ist, rechtfertigt nicht den Antrag, die Beweislast der Beklagten aufzubürden."

  • 1. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 12 S, 131. Bd. 13 S. 326. Bd. 16 S. 427 fl.