RG, 04.05.1880 - II 92/80

Daten
Fall: 
Fortführen einer erworbenen Handelsfirma
Fundstellen: 
RGZ 1, 260
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.05.1880
Aktenzeichen: 
II 92/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht Mannheim
  • Oberlandesgericht Karlsruhe

Darf derjenige, welcher eine alte Firma nach Artt. 22. 24 H.G.B. erworben hat, dieselbe nach Erlöschung des Geschäftes, zu dessen Fortführung er die Firma erworben, für ein neues fortführen?

Tatbestand

Bis zum 18. Oktober 1876 waren W. B. und A. M. Teilhaber einer offenen Handelsgesellschaft mit der Firma B. & M., deren Geschäftsthätigkeit in der Fabrikation von Maschinen bestand. An diesem Tage ist die Gesellschaft durch gegenseitige Übereinkunft aufgelöst worden, indem A. M. austrat und W. B. das ganze Geschäft mit Aktiven und Passiven übernahm. Dabei wurde vereinbart: daß W. B. berechtigt sei, das unter der Firma B. & M. in Mannheim betriebene Geschäft unter der gleichen Firma als Einzelkaufmann fortzuführen.

Auf Klage des A. M. hat nun das Landgericht Mannheim, Kammer für Handelssachen, mit Urteil vom 3. Okt. 1879 erkannt, daß der Beklagte die Fortführung der Firma zu unterlassen und solche im Handelsregister streichen zu lassen habe.

Auf hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht mit Urteil vom 7. Febr. 1880 bestätigt. - Dieses Urteil geht von folgenden Thatsachen aus:

Gegen den Beklagten wurde unterm 23. Febr. 1879 das Konkursverfahren eröffnet, dieses jedoch infolge eines vom Konkursgerichte bestätigten Zwangsnachlaßvergleiches wieder aufgehoben. - Seither hat der Beklagte zum Zwecke der Befriedigung seiner Gläubiger alle zum Geschäft gehörigen Liegenschaften, Gebäude, Maschinen und Vorräte verkauft; er betreibt nicht mehr ein Fabrikgeschäft, worin früher seine Hauptthätigkeit bestand, sondern vermittelt als Agent für Rechnung anderer Fabrikgeschäfte Bestellungen, welche bei ihm selbst unter der Firma B. & M. von auswärtigen Kunden, welche der Meinung sind, er führe das alte Geschäft fort, gemacht werden. - Er betreibt also anstatt einer Fabrik, in welcher die bestellten Maschinen gefertigt und sodann verkauft werden, ein Kommissionsgeschäft, in welchem für Rechnung von Auftraggebern Handelsgeschäfte abgeschlossen werden.

Das Oberlandesgericht nimmt hiernach - so besagen die Gründe - in tatsächlicher Beziehung an, daß der Beklagte das alte unter der Firma B. & M. geführte Geschäft aufgegeben und ein neues angefangen hat. Seine gegenwärtige Thätigkeit bilde nicht etwa eine Einschränkung des früheren ausgedehnteren Betriebes, sondern sei eine ganz andere, bei welcher der Beklagte, was jedoch unerheblich sei, allerdings aus seinen früheren Verbindungen, aus seinen erlangten Kenntnissen und Erfahrungen einen nutzbringenden Gewinn erziele.

Die gegen dieses Erkenntnis vom Beklagten eingewendete Revision wurde vom Reichsgericht aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

Gründe

"Das Oberlandesgericht zieht aus den von ihm festgestellten Thatsachen, ohne daß dabei eine irrtümliche Gesetzesanwendung erkennbar wäre, den Schluß, daß Revisionskläger das alte, unter der Firma B. KM. geführte Geschäft aufgegeben und ein neues angefangen habe, daß seine gegenwärtige Thätigkeit nicht etwa eine Einschränkung des früheren ausgedehnteren Betriebes, sondern eine ganz andere sei.

Wenn das Gericht bei diesen thatsächlichen Feststellungen zum Ergebnisse gelangt, daß die durch den Vertrag vom 18. Okt. 1876 dem Revisionskläger zur Fortführung gestattete Firma erloschen und demselben ihr fernerer Gebrauch zu untersagen sei, so kann nicht gefunden werden, daß die Entscheidung auf einer Gesetzesverletzung beruhe. Von den Rechtsausführungen mag zwar insbesondere die, daß die Firma eine Art Pertinenz des Geschäftes sei, nicht unbedenklich erscheinen, da ihr nicht nur die Definition in Art. 15, sondern auch die Artt. 22 u. 23 H.G.B. entgegenstehen. (Vgl. Entscheid. des R.O.H.G.'s Bd. 2 Nr. 8 S. 49 ff.) Folgende Erwägungen führen jedoch zu dem nämlichen Schlusse:

Im Interesse des Verkehres des Publikums geht das Handelsgesetzbuch von dem Principe aus, daß die Firma auf Wahrheit beruhen müsse. Artt. 15. 16. 17. 18. Hiervon hat der preußische Entwurf im Art. 26 (jetzt zum Teile Art. 22) eine Abweichung gestattet, indem er, wie aus den Motiven S. 18 hervorgeht, der Erfahrung Rechnung trägt, daß der einer Handlung gewährte Kredit zum großen Teile an der Firma hafte und mit derselben auf den Geschäftsnachfolger übergehe; es sollten deshalb die erheblichen Störungen der bestehenden Geschäftsverbindungen und die großen Schwierigkeiten verhütet werden, welche eintreten könnten, wenn demjenigen, welcher durch Vertrag oder Erbgang ein bestehendes Handelsgeschäft erwirbt, nicht zugleich die Fortführung der bisherigen Firma gestattet werden könnte.

Daneben wurde auch berücksichtigt, daß in der Handelswelt die Erhaltung alter berühmter Firmen für einen Ehrenpunkt gelte. Diese Begründung läßt unzweideutig erkennen, daß man mit Gestaltung der Fortführung der alten Firma durch einen neuen Geschäftsinhaber vorzugsweise das Handelsgeschäft in Betracht gezogen hat, für welches dieselbe seither geführt worden ist, dessen Kredit und Kundschaft gesichert werden sollte, und für welches allein die kaufmännische Anschauung vom Ehrenpunkte Berücksichtigung beanspruchen konnte.

Damit erklärt sich die Fassung des jetzigen Art. 22 H.G.B., welche nicht von Fortführung der Firma, sondern von Fortführung des bestehenden Handelsgeschäftes ausgeht, welches durch Vertrag oder Erbgang erworben worden ist. Wenn auch im Art. 24 H.G.B., um welchen es sich im vorliegenden Falle handelt, und welcher von der Nürnberger Kommission beigefügt worden ist, die Fortführung der Firma in den Vordergrund tritt, so beruht dieser Artikel gleichwohl als weitere Abweichung vom Principe der Wahrheit der Firma auf demselben Gedanken, daß solche für ein Handelsgeschäft erhalten werden solle, welches nur einen teilweisen Wechsel in den Personen erfährt, im übrigen aber dasselbe, das bestehende, Handelsgeschäft bleibt.

Diesem Gedanken hat die Kommission (Protokolle S. 41) dahin Ausdruck gegeben:

"Wenn ein bestehendes Handelsgeschäft sich infolge des Eintrittes oder Austrittes eines Gesellschafters ändert, so kann die ursprüngliche Firma trotz der erfolgten Veränderung fortgeführt werden."

"Es bestand (heißt es in den Protokollen S. 39 f.) kein Zweifel darüber, daß es sich nur um solche Fälle handeln könne, in welchen neben der Firma das Handelsgeschäft selbst, d. h. dessen Aktiva und Passiva ohne völlige Liquidation des letzteren von einem der mehreren Teilhaber allein übernommen,werden, oder, wo der einzige Inhaber einem Eintretenden einen Teil seiner Rechte einräumt, weil die Übertragung bloßer Firmen ohne das Handelsgeschäft durch Art. 27 (jetzt 23) verboten wird und das Geschäft bei förmlicher Liquidation zu bestehen aufhört, also nicht von Übertragung desselben auf einen Teilhaber, sondern nur von Begründung eines neuen Geschäftes die Rede sein kann, bei welcher die Frage über die Zulässigkeit einer Firma nach den über die Errichtung neuer Firmen bestehenden Rechtssätzen zu beurteilen ist."

Weiter, als es der Absicht und dem Zwecke des Gesetzgebers, Erhaltung des Kredites, der Kundschaft und des Ansehens des bestehenden Handelsgeschäftes, des gänzlichen oder teilweisen Wechsels der Personen ungeachtet, entspricht, dürfen diese Ausnahmen nicht ausgedehnt werden. Gewinnt es auch nach der Hervorhebung der Aktiven und Passiven in der soeben mitgeteilten Begründung den Anschein, als ob unter Handelsgeschäft nur der Vermögenskomplex verstanden werde, so würde doch eine solche enge Auffassung des Begriffes des Geschäftes, wobei dessen Wesen als eines organischen Ganzen, bei welchem die Produktivmittel nur durch den damit verfolgten Zweck, durch die Unternehmung, für welche sie bestimmt sind, Bedeutung gewinnen, völlig außer Betracht bliebe, mit dem Gedanken, welcher den Artt. 22 und 24 zu Grunde liegt, kaum vereinbar sein.

Abgesehen nämlich davon, daß eine solche enge Auffassung des Geschäftes von der Voraussetzung ausgehen müßte, daß jeweils sämtliche Aktiven und Passiven übertragen würden (welche Voraussetzung aber schon dann nicht zutrifft, wenn der austretende Gesellschafter aus dem Geschäfte abgefunden wird), könnte von einer Fortführung der Aktiven und Passiven schon der Natur der Sache nach, welche in dieser Beziehung einen ständigen Wechsel bedingt, kaum die Rede sein. Man kann auch nicht annehmen, daß der Übergang oder die Beibehaltung des bestehenden Handelsgeschäftes in dem angeführten weiteren Sinne nur eine Voraussetzung der Erwerbung der Firma sei, woraus allerdings nicht gefolgert werden könnte, daß dieselbe Voraussetzung auch eine Bedingung der Fortdauer sei, es muß vielmehr aus der entwickelten Absicht des Gesetzgebers um so mehr hergeleitet werden, daß die Fortführung des bestehenden Handelsgeschäftes unerläßliche Bedingung, sowohl des Erwerbes als des Verhaltens der Firma sei, als sonst durch eine dem Erwerbe früher oder später nachfolgende völlige Umwandlung des Geschäftes das Gesetz umgangen und für ein neu begründetes Geschäft eine alte (unwahre) Firma geführt werden könnte.

Hiernach kann diejenige Auslegung der Artt. 22 und 23 H.G.B., wonach die Erwerbung des Geschäftes keine Voraussetzung für Fortführung der Firma, sondern der Übergang des Handelsgeschäftes die gesetzliche unvermeidliche Folge der Veräußerung der Firma sei ( Thöl, Praxis des Handelsrechtes und Wechselrechtes S. 4 ff.), für die vorliegende Frage schon um deswillen keine Beachtung finden, weil dabei (vgl. a. a. O. S. 15) unter Handelsgeschäft weiter nichts verstanden wird, als die unter Gebrauch der bisherigen Firma begründeten Forderungen und Schulden.

Muß demnach angenommen werden, die Führung einer dem wahren Sachverhältnisse nicht entsprechenden Firma sei vom Gesetze ausnahmsweise nur unter der Bedingung gestattet worden, daß das Geschäft, für welches dieselbe bisher geführt wurde, im wesentlichen als dasselbe fortbestehe, und daß dabei unter Geschäft nicht bloß der Vermögenskomplex, sondern das kaufmännische Unternehmen zu verstehen sei, welchem jener dienstbar ist, so folgt daraus und aus der tatsächlichen Feststellung im angegriffenen Urteile, daß mit Recht das Erlöschen der vom Revisionskläger fortgeführten Firma angenommen worden ist.

Ist aber die Firma als erloschen zu betrachten, so kann von einer Unterscheidung in der Richtung, daß sie für die Liquidation des untergangenen Geschäftes gebraucht werde, um so weniger die Rede sein, als es sich um die Firma eines Einzelkaufmannes handelt, und auf ein solches Geschäft die Vorschriften der Artt. 133 ff. H.G.B. keine Anwendung finden."