RG, 07.02.1880 - Vb 143/79

Daten
Fall: 
Baugrund des Gebäudes
Fundstellen: 
RGZ 1, 178
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.02.1880
Aktenzeichen: 
Vb 143/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgericht Halberstadt
  • Appellationsgericht Halberstadt

Muß der Grundeigentümer nach §. 332 A.L.R. I. 9 dem Bauenden nur den Baugrund des Gebäudes oder auch solche Grundflächen gegen Entschädigung überlassen, welche mit dem Gebäude zwar nur äußerlich zusammenhängen, aber für den Gebrauch desselben unentbehrlich sind?

Gründe

"Die obige Frage ist von dem Reichsgerichte im Sinne der zweiten Alternative beantwortet aus folgenden, den Sachverhalt ergebenden Gründen:

Der Kläger ist eingetragener Eigentümer des Planstückes 138 der ... Flur, von welchem er dem Gastwirte K. eine an dessen Grundstück grenzende Fläche ... mündlich ohne Auflassung verkauft hat. Dieser bebaute davon 1,5 Quadratruten mit einem Teile seines Gasthauses und einem Aborte, verwandte 1,87 Quadratmeter als Senkgrube beziehungsweise Vorraum des letzteren und legte auf der Restfläche eine Kegelbahn an. Später wurde das K.'sche Gasthaus "nebst Zubehör" notwendig subhastiert und dem Beklagten zugeschlagen, welcher infolge dessen gegen die von dem Kläger erhobene Vindikation der verkauften Fläche einwendet, daß dieselbe durch Inädifikation und Zuschlag in sein Eigentum übergegangen sei.

Der Appellationsrichter hält den Einwand der Inädifikation nach §. 332 A.L.R. I. 9 nur bezüglich der bebauten 1,5 Quadratruten für begründet, weil der Erwerb durch Inädifikation danach nur soweit gehe, als die betreffende Fläche mit Gebäuden besetzt sei, und sich nicht auf die zu denselben führenden Wege etc. erstrecke. Er beschränkt also die bezeichnete Vorschrift grundsätzlich auf den Baugrund ( die area) der Gebäude.

Hierin ist ihm nicht beizustimmen.

Das gemeine Recht betrachtet die mit dem Boden fest verbundenen Sachen als notwendige Accessionen desselben, an denen ein getrenntes Eigentum rechtlich nicht denkbar ist, welche daher kraft des Gesetzes dem Grundeigentümer gehören. Infolge davon fällt auch das Eigentum an Gebäuden hier schlechthin zusammen mit dem Eigentume des Baugrundes (quod inaedificatur, solo cedit), 1. 29 Inst. de rerum div. 2, 1; 1. 7 §. 10 Dig. de acqu. rerum dom. 41, 1, ein Satz, welcher auf die naturalis ratio zurückgeführt wird. Gaji instit. 2 §. 73, I. 2 Dig. de superficiebus 43, 18.

Der Eigentumserwerb durch Inädifikation vollzieht sich danach zu Gunsten des Grundeigentümers mit Rechtsnotwendigkeit (als notwendiger Erwerb) unter Ausschluß aller Billigkeitsrücksichten.

Im direkten Gegensatze zu dieser formellen Strenge will das Allgemeine Landrecht, seinem Geiste vollkommen entsprechend, auch bei dem Baue auf fremden Boden die Billigkeit und daher vor allem den Willen der Beteiligten, sowie andererseits den bösen Glauben derselben berücksichtigt wissen.

Der grundsätzliche Ausschluß eines Sondereigentumes am Boden und an der damit verbundenen Sache ist dem Allgemeinen Landrechte fremd; vgl. z. B. §. 221. I. 9 daselbst. Dasselbe erkennt daher auch nicht bloß einen notwendigen, sondern in vielen Fällen nur einen "unmittelbaren" Erwerb der letzteren in dem Sinne an, daß derselbe erst durch ihre Besitznahme oder Zueignung, also durch einen besonderen Willensakt des Erwerbenden (des Grundeigentümers oder eines Dritten) vollendet wird, aber ebensowohl unterbleiben kann; vgl. §§. 5, 244, 246, 251, 263 a. a. O.

Namentlich ist die Möglichkeit eines getrennten Eigentumes am Gebäude und am Baugrunde nach A.L.R. I. 9 §. 98; I. 22 §. 243 nicht zweifelhaft und demgemäß auch der Erwerb durch Inädifikation in den §§. 327 fgg. I. 9 daselbst nicht als notwendiger, sondern nur als unmittelbarer Erwerb in dem gedachten Sinne behandelt.

Die bezeichneten Vorschriften gehen dabei von der Voraussetzung aus, daß das auf fremdem Boden errichtete Gebäude an sich Eigentum des Bauenden wird und das Eigentum des Baugrundes an sich unverändert bleibt. Allein sie bezwecken, das getrennte Eigentum beider Vermögensstücke durch die Beteiligten selbst, d. h. durch besondere hierauf gerichtete Willenserklärungen derselben, nachträglich in einer Hand zu vereinigen. Vgl. hierüber das Erk. des früheren preußischen Obertribunals in Striethorst's Archiv, Bd. 99 S. 213-215.

Der §. 329 a. a. O. erklärt in dieser Beziehung zunächst den Willen des Grundeigentümers für entscheidend, indem er diesem gestattet, das auf seinem Grundstücke errichtete Gebäude eines Dritten entweder sich selbst zuzueignen, also in sein Eigentum zu bringen, oder jenem "mit dem dazu gehörenden Grunde und Boden" zu überlassen, d. h. ihm diesen Grund und Boden eigentümlich abzutreten.

In beiden Fällen vollzieht sich der Erwerb des Gebäudes beziehungsweise des Bodens durch die hierauf gerichtete (ausdrückliche oder stillschweigende) Erklärung des Grundeigentümers, in beiden Fällen aber wird durch dieselbe nach §§. 330 und 331 zugleich der Erwerber zur Entschädigung des Gegners verpflichtet.

Der Grundeigentümer ist hiernach ... berechtigt, durch seine einseitige Willenserklärung den Bauenden entweder zur verkäuflichen Überlassung des Gebäudes oder zum käuflichen Erwerbe beziehungsweise zur Bezahlung des dazu gehörenden Grundes und Bodens zu nötigen.

Es fragt sich nun schon hier, ob das zuletzt bezeichnete Recht des Grundeigentümers auf den Baugrund des Gebäudes, also auf den von dem letzteren unmittelbar bedeckten Boden, zu beschränken sei.

Diese Frage würde zu bejahen sein, wenn dieses Recht auf demselben rechtlich untrennbaren Zusammenhange des Gebäudes mit dem Boden beruhte, aus welchem in gemeinem Rechte der notwendige Eigentumserwerb durch Inädifikation zu erklären ist.

Allein hieran ist nach dem Obigen nicht zu denken. Das Allgemeine Landrecht hat, die gemeinrechtliche Anschauung verlassend, das Recht der Inädifikation auf neuer Grundlage völlig neu gestaltet. Das bezeichnete Recht des Grundeigentümers bildet einen persönlichen Anspruch desselben gegen den Bauenden, welcher dem gemeinen Rechte durchaus fremd ist und allein auf den Rücksichten der Billigkeit beruht. Auch sein Inhalt darf deshalb nur nach diesen Rücksichten bestimmt werden.

Danach aber ist anzunehmen, daß dasselbe sich auch auf solche Grundflächen erstreckt, welche zwar nur äußerlich mit dem Gebäude im Zusammenhange stehen, aber für den Gebrauch desselben unentbehrlich sind.

Hierin liegt für den Bauenden, dessen eigenes Bedürfnis durch den Erwerb derselben befriedigt wird, nicht die mindeste Härte. In Ansehung des Grundeigentümers aber wird dadurch nur der augenscheinlichsten Billigkeit genügt. Denn das ihm eingeräumte Recht zur Abtretung von Grund und Boden kann nur auf der Erwägung beruhen, daß derselbe für ihn durch den Bau an Brauchbarkeit verloren hat, diese Erwägung trifft aber nicht bloß bezüglich des Baugrundes, sondern regelmäßig auch in Ansehung derjenigen Flächen zu, welche mit dem Gebäude zusammenhängen und für dessen Benutzung notwendig sind, mögen dieselben, wie häufig der Fall, von dem letzteren ganz, beziehungsweise teilweise, eingeschlossen sein oder nicht.

Die Absicht des Gesetzgebers, die Vorschrift des §. 329 auf diese Flächen mit zu beziehen, kann, da er durch dieselbe lediglich den Rücksichten der Billigkeit Rechnung tragen will, hiernach nicht bezweifelt werden. Die entgegengesetzte Annahme würde dem Geiste des Gesetzes geradezu widersprechen.

Jene Absicht hat auch in dem §. 329 selbst einen entsprechenden Ausdruck gefunden. Wenngleich nämlich unter dem zu dem Gebäude "gehörenden" Grunde und Boden an sich auch der bloße Baugrund verstanden werden könnte, so steht doch ebensowenig einer weiteren Auffassung dieses Begriffes etwas entgegen und, da der Baugrund am einfachsten als der "bebaute" Grund und Boden zu bezeichnen gewesen wäre, so liegt es nahe, unter dem gedachten Ausdrucke des Gesetzes solche Grundflächen mit zu begreifen, welche zu dem Gebäude tatsächlich in dem Verhältnisse eines bloßen Zubehörs stehen.

Von einer Zubehör-Eigenschaft im Rechtssinne kann hier freilich nicht die Rede sein, weil der Bauende in dem vorausgesetzten Falle nur Eigentümer des Gebäudes, aber nicht des Grundes und Bodens ist, mithin nicht als befugt erscheint, jenem einen Teil des letzteren als Zubehör zuzuschlagen; vgl. §. 108 I. 2 A.L.R.

Die bloße Bestimmung des Bauenden kann daher auch bei der Frage, wie weit sich im einzelnen Falle der Anspruch des Grundeigentümers erstreckt, nicht maßgebend sein.

Die für den Gebrauch des Gebäudes thatsächlich unentbehrlichen Flächen bilden jedoch ein Zubehör desselben im natürlichen Sinne, und aus diesem Grunde ist zur Bezeichnung derselben der Ausdruck des §. 329 allerdings vollkommen geeignet.

Abweichend von der Regel des letzteren, welche das Recht des Grundeigentümers bestimmt, soll dieser nach §. 332 a. a. O., wenn er der Fortsetzung des ihm bekannten Baues nicht sofort widersprochen hat, "mit der bloßen Entschädigung für Grund und Boden sich begnügen".

In dem gedachten Falle wird also, mit Rücksicht auf seinen bösen Glauben oder seine Nachlässigkeit dem Bauenden das entgegengesetzte Recht eingeräumt, das Gebäude zu behalten und dazu den Grund und Boden von ihm käuflich zu erwerben.

Daß der Ausdruck "Grund und Boden" hier ebenfalls nicht bloß den Baugrund, sondern alle im Sinne des §. 329 zu dem Gebäude "gehörenden" Flächen bezeichnen soll, kann nun aber nach dem Zusammenhange nicht zweifelhaft sein, da der §. 332 offenbar nur eine Umkehrung der in den Schlußworten des §. 329 enthaltenen Bestimmungen zu Gunsten des Bauenden enthält und unter dem "Grund und Boden" am natürlichsten der kurz vorher näher bezeichnete Grund und Boden zu verstehen ist.

Wie der Grundeigentümer nach §. 329 das Gebäude, ebenso kann daher der Bauende unter der Voraussetzung des §. 332 nicht bloß den Baugrund, sondern auch die mit dem Gebäude nur äußerlich zusammenhängenden, für den Gebrauch desselben notwendigen Grundflächen gegen Entschädigung sich zueignen, d. h. deren käufliche Überlassung von dem Grundeigentümer fordern.

Auch leuchtet es ein, daß diese Annahme den Rücksichten der Billigkeit, also der Absicht des Gesetzgebers, ebenfalls allein entspricht, weil der Zwang zu jener Überlassung in dem vorausgesetzten Falle für den Grundeigentümer umsoweniger eine Härte enthält, als er denselben durch rechtzeitigen Widerspruch abwenden konnte, während er andererseits von dem Bauenden nur zur Befriedigung eines notwendigen Bedürfnisses angewendet wird." ...