RG, 04.06.1920 - II 568/19

Daten
Fall: 
Begriff des Gewerbetreibende
Fundstellen: 
RGZ 99, 189
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.06.1920
Aktenzeichen: 
II 568/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Berlin III, Kammer für Handelssachen
  • KG Berlin

1. Zum Begriff des Gewerbetreibenden in § 13 UWG.
2. Findet das Wettbewerbsgesetz Anwendung, wenn Nicht-Rechtsanwälte gegen Rechtsanwälte unlauteren Wettbewerb verüben?
3. Ist ein Anwaltsverein zur Klagerhebung nach § 13 UWG. berechtigt?

Tatbestand

Der Beklagte, der früher in der Steuerverwaltung als mittlerer Beamter tätig war. beschäftigt sich jetzt mit der Beratung in Steuersachen und bezeichnet sich in seinen Ankündigungen in Zeitungen, im Adreßbuch, im Fernsprechteilnehmerverzeichnis, auf Briefbogen usw. als "Steueranwalt". Der Kläger ist ein eingetragener Verein und hat nach § 1 seiner Satzungen den Zweck, "einen wissenschaftlichen und geselligen Vereinigungspunkt der Mitglieder zu bilden, die Standesehre zu wahren, die Standesinteressen und die Kollegialität zu fördern". Er behauptet, unter die zu wahrenden Standesinteressen gehörten namentlich auch die wirtschaftlichen und geschäftlichen Interessen der Rechtsanwälte. In der Beilegung der Bezeichnung als Steueranwalt erblickt er einen unlauteren Wettbewerb gegen die Rechtsanwälte und verlangt daher, daß dem Beklagten verboten werde, sich in seinen Ankündigungen Steueranwalt zu nennen.

Das Landgericht hat dem Klagantrage stattgegeben; das Kammergericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte Erfolg aus nachstehenden Gründen:

Gründe

"Das Berufungsgericht nimmt mit Recht an, daß der Kläger aus § 823 und § 826 BGB. keinen Anspruch auf Unterlassung herleiten kann. Es erachtet aber mit Unrecht die Aktivlegitimation des Klägers auch aus § 13 UWG. nicht für begründet, weil die Rechtsanwälte nicht als Gewerbetreibende anzusehen wären. Es könne dahingestellt bleiben, ob durch die Fassung des § 1 UWG. gegenüber dem früheren Wortlaut vom Gesetzgeber beabsichtigt worden sei, den Kreis der zu schützenden Personen über die im eigentlichen Gewerbeverkehr stehenden auszudehnen, die Aktivlegitimation nach § 13 jedenfalls stehe nur den Gewerbetreibenden zu. Zu diesen gehörten aber die Rechtsanwälte nicht. Ihre Tätigkeit stünde über dem Niveau einer Gelderwerbstätigkeit, sie unterfielen nicht, wie die Ärzte, der Gewerbeordnung, und die Regelung ihres Verhaltens erfolge ausschließlich durch die Rechtsanwaltsordnung.

Abzulehnen ist zunächst die Auffassung, als sei der Begriff des Gewerbetreibenden nach § 13 UWG. ein andrer und engerer als der nach § 1 und § 3. Wenn § 13 das Recht, auf Unterlassung unlauteren Wettbewerbs zu klagen, den dort genannten Verbänden in den Fällen der §§ 1 und 3 erteilt, so setzt er Verbände nun Personen voraus, die für sich selbst nach §§ 1 flg. klagberechtigt sind. Auch diese Einzelpersonen werden Gewerbetreibende nur in dem Sinne genannt, wie sie §§ 1, 3 darunter verstehen. Es wäre sinnlos, den Umfang der schutzberechtigten Personen in §§ 1, 3 weiter zu fassen als in § 13. Diese Annahme ist um so weniger berechtigt, als bereits in § 1 die Unterlassungsklage in vollem Umfange gewährt wird, der Kreis der Berechtigten aber nicht in § 13 für dieselbe Klage eingeschränkt werden kann. Ist also der einzelne Klagberechtigte nach §§ 1 und 13 begrifflich derselbe, so setzt sich auch der Kreis von Personen, die einen Verband im Sinne von § 13 bilden, nicht aus anderen Personen zusammen. Da der Verband gerade die Interessen seiner Verbandsangehörigen wahrnehmen will, darf sein Mitgliedbestand auch aus keinen anderen Personen als denen bestehen, die in §§ 1, 3 als Klageberechtigte in Betracht kommen. Zur Aktivlegitimation des Klägers genügt es daher, wenn der Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit gegen unlauteren Wettbewerb als Einzelner den Schutz der §§ 1, 3 anrufen kann, vorausgesetzt, daß der Verbandzweck auf Wahrnehmung auch dieser wirtschaftlichen Interessen, die allein nach §§ 1, 3 geschützt werden, gerichtet ist (vgl. RGSt. Bd. 45 S. 360). Hierüber hat das Kammergericht bislang eine Feststellung noch nicht getroffen. ...

Wird festgestellt, daß der klagende Verein auch die wirtschaftlichen und geschäftlichen Interessen seiner Mitglieder zu wahren sich zur Aufgabe gemacht hat, so hängt seine Aktivlegitimation davon ab, ob der Rechtsanwalt gegen Beeinträchtigungen seiner Tätigkeit, die sich als unlauterer Wettbewerb charakterisieren, durch die Vorschriften des Wettbewerbsgesetzes geschützt werden soll oder nicht. Hierbei ist möglicherweise wieder ein Unterschied dahin zu machen, ob die unlautere Beeinträchtigung erfolgt durch einen anderen Rechtsanwalt oder einen Dritten, der nicht Rechtsanwalt ist. Nur der letzte Fall steht hier zur Entscheidung und bedarf allein der Prüfung. Das Reichsgericht hat bisher zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen. Die Entscheidung in RGZ. Bd. 66 S. 143 betrifft nicht die Frage der Zulässigkeit der Vorschriften des Wettbewerbsgesetzes auf die Tätigkeit der Rechtsanwälte und Ärzte, und die darin geschilderte Tätigkeit beider als eine solche, die nicht als eine freie, dem Geldverdienen gewidmete, gewerbliche Tätigkeit angesehen werden dürfe, da sie vielmehr öffentlichen Zwecken diene, hat deshalb hinsichtlich der Ärzte das Reichsgericht nicht gehindert, ihre Tätigkeit in ständiger Rechtsprechung den Vorschriften des Wettbewerbsgesetzes zu unterstellen (vgl. RGSt. Bd. 37 S. 173; RGZ. Bd. 74 S. 169; RG. II 240/06 v. 18. Dezember 1906. J. W. 1908 S 249; 2 D. 929/10 v. 13. Dezember 1910 u.a.). Im Schrifttum ist die Frage bestritten.1 Gegen die Anwendung : Finger, S. 28, 78, 79; Kohler, S. 100, 101 (die von ihm angeführten Entscheidungen passen aber nicht); Remelé, S. 7: Rosenthal-Wehner, S. 22, 23. In Abhandlungen haben sich noch näher mit der Frage beschäftigt Fuld in JW. 1911, S. 13 und Rosenthal ebenda S. 178, beide ihre oben erwähnte Ansicht verteidigend. Lobe hat in "Unl. Wettb. als Rechtsverletzung" S. 19 nur ausgeführt, daß Rechtsanwälte eine Tätigkeit ausüben, die eine doppelte Natur hat, einmal zur Erfüllung staatlicher Aufgaben dient, sodann auch echte Erwerbstätigkeit, wenn auch nicht im Sinne der Gewerbeordnung.

Daß die Gewerbeordnung eine Definition des Begriffs "Gewerbe" und "Gewerbetreibende" nicht gibt und nicht hat geben wollen, ist anerkannt (RGZ. Bd. 66 S. 145); ebenso, daß sich das Wettbewerbsgesetz nicht auf eine Erwerbstätigkeit beschränkt, die von der Gewerbeordnung geregelt wird, vielmehr die Erwerbstätigkeit im weitesten Sinne begreift (RGZ. Bd. 74 S. 169). Rechtsanwälte wie Ärzte sind nun nicht nur an der Durchführung der Rechtsordnung zur Erfüllung staatlicher Aufgaben, wie etwa der Beamte, sondern auch in eigenem Interesse, frei über ihre Leistungen verfügend und diese gegen Entgelt gewährend, also zu Erwerbszwecken im allgemeinen Sinne tätig. An dieser Tatsache wird auch durch die Würdigung der Tätigkeit der Ärzte und Rechtsanwälte nach ihrer gemeinnützigen und idealen Seite hin in RGZ. Bd. 66 S. 145 nichts geändert. Gesundheitspflege und Tätigkeit der Rechtsanwälte sind vom Gesetzgeber eben bewußt als freie Erwerbstätigkeiten ausgestaltet worden, weil er glaubte, gerade dadurch den Interessen des Publikums am besten dienen zu können.

Daher kann es sich nur fragen, ob der Gesetzgeber Anlaß hatte, die Rechtsanwälte von der Unterstellung unter das Wettbewerbsgesetz auszunehmen, weil er die Beeinträchtigung ihrer freien Erwerbstätigkeit durch unlauteren Wettbewerb bereits durch andere gesetzliche Maßnahmen hinreichend geschützt ansah oder aus anderen Gründen ihnen diesen privatrechtlichen Rechtsschutz verschränken wollte. Als solche können allein in Betracht kommen die beruflichen Standesordnungen mit ihren Disziplinarvorschriften. So wird auch bei Rechtsanwälten ihre Disziplinierung durch die Rechtsanwaltsordnung und ihre eigenen Ehrengerichte vornehmlich als Grund dagegen geltend gemacht, daß damit die Anwendung des Wettbewerbsgesetzes gegenstandslos werde. Es kann nun für die hier allein zur Entscheidung stehende Frage unerörtert bleiben, welche Bedeutung der Umstand hat, daß der Schutz gegen unlauteren Wettbewerb, den die Disziplinarordnungen gewähren, ein völlig anders gearteter ist, als ihn das Wettbewerbsgesetz gibt, und daß die Rechtsbehelfe des letzteren keineswegs durch jenes ersetzt werden

können. Denn der Disziplinarschutz ist, ähnlich wie der durch Strafgesetze, ausschließlich öffentlichrechtlicher Natur, das Wettbewerbsgesetz aber gibt privatrechtliche Ansprüche dem einzelnen gegen den einzelnen auf Unterlassung und Schadensersatz. Ausschlaggebend ist jedenfalls, daß auch der Disziplinarschutz dort versagt, wo es sich um Beeinträchtigungen durch unlautere Wettbewerbshandlungen seitens Dritter handelt, die nicht Rechtsanwälte sind. Für diese Fälle den Rechtsanwälten den Schutz des Wettbewerbsgesetzes verweigern, hieße sie rechtlich schlechter als alle andere Rechtsgenossen stellen um deswillen, weil sie in ihrer Erwerbstätigkeit auch staatliche Aufgaben fördern. Schließlich läßt auch die Entstehungsgeschichte des § 1 des neuen Gesetzes vom 7. Juni 1909 klar erkennen, daß der Gesetzgeber selbst jedenfalls die Rechtsanwälte dem Wettbewerbsgesetz unterstellen wollte. Denn der Entwurf des Gesetzes enthielt keine dem § 1 entsprechende Vorschrift, sie wurde erst von der Reichstagskommission aufgenommen und lautete ursprünglich: "Wegen jeder im Handels- und Gewerbebetriebe zu Zwecken des Wettbewerbs vorgenommenen Handlung, welche gegen die guten Sitten verstößt, kann der Anspruch auf Unterlassung der Handlung geltend gemacht werden." Diese Fassung wurde von anderer Seite in der Kommission als zu eng bemängelt gerade im Hinblick auf die Ärzte und Anwälte. Der Bericht der 35. Kommission des Reichstags (Drucks. Nr. 1109 S. 6) sagte: Man einigte sich dahin, daß der Begriff "im Handels- und Geschäftsbetrieb" zu eng sei. Es müsse auch der Geschäftsbetrieb der Ärzte und Anwälte mit getroffen werden. Wenigstens dürften in dieser Hinsicht durch den Wortlaut des Gesetzes keine Zweifel erregt werden. Es sei daher wohl richtiger, übrigens auch im Anschluß an die §§ 4, 13 des Entwurfs, zu sagen: "im geschäftlichen Verkehr."

Hiernach steht nichts entgegen, das Wettbewerbsgesetz auch zum Schutze der Rechtsanwälte dann anzuwenden, wenn diesen von Dritten, die nicht Rechtsanwälte sind, unlauterer Wettbewerb gemacht wird." ...

  • 1. Für die Anwendung der Vorschriften des Wettbewerbsgesetzes auch auf die Tätigkeit der Rechtsanwälte namentlich die Kommentare von Bachein-Roeren, S. 111; Engel, II S. 6; Fuld, S. 22, 54, 55; Kahn-Weiß. S. 48, 70; Müller. S. 28, 27; Pinner-Eyd, S. 12; Seyffert, S. 8; Wassermann, S. 5S.