RG, 11.06.1920 - III 9/20

Daten
Fall: 
Bestimmung "nach Ablauf des Vertrags" im Mietvertrag
Fundstellen: 
RGZ 99, 154
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.06.1920
Aktenzeichen: 
III 9/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Berlin
  • Kammergericht Berlin

Zur Auslegung der Bestimmung eines Mietvertrags, daß der Mieter berechtigt ist, "nach Ablauf des Vertrags" ihn um bestimmte Zeit zu verlängern.

Tatbestand

Der Kläger mietete durch Vertrag vom 17. Januar 1914 von dem Beklagten eine Wohnung in dessen Hause auf die Zeit vom 1. April 1914 bis zum 31. März 1919. Der dem gedruckten Formular entsprechende § 8 des Vertrags bestimmt, daß die Kündigung 6 Monate 3 Tage vor seinem Ablaufe zu erfolgen habe und daß, falls von keiner Seite rechtzeitig gekündigt sei, der Vertrag immer wieder als auf ein Jahr verlängert zu betrachten sei, und "in allen Punkten" seine Gültigkeit behalte. In der handschriftlich hinzugefügten Schlußbemerkung 7 des Vertrags ist dem Mieter das Recht eingeräumt, "nach Ablauf des Vertrags denselben unter den gleichen Bedingungen auf 3 Jahre zu verlängern". Der Beklagte kündigte am 30. Mai 1919 den Vertrag zum 1. April 1920. Am 31. Mai 1919 widersprach der Kläger dieser Kündigung, er erklärte zugleich, von dem ihm zustehenden Optionsrecht auf weitere drei Jahre Gebrauch zu machen. Da der Beklagte auf seiner Kündigung bestand, verlangte der Kläger die Feststellung, daß die Kündigung des Beklagten zum 1. April 1920 unwirksam sei. Die Klage wurde vom Landgericht und vom Berufungsgerichte zurückgewiesen. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Das Landgericht sagt, daß die Vertragsbestimmung "Mieter hat das Recht, nach Ablauf des Vertrags ihn unter den gleichen Bedingungen auf 3 Jahre zu verlängern" nach den "Gepflogenheiten von Groß-Berlin" nicht dahin gedeutet werden könne, daß der Mieter, nachdem der Vertrag mehrfach um ein Jahr verlängert worden sei, noch eine Verlängerung um 3 Jahre fordern könne, daß vielmehr der Gebrauch der sei, daß der Mieter innerhalb bestimmter Frist vor Ablauf des Vertrags sich äußern müsse, ob er von dem Optionsrechte Gebrauch machen wolle oder nicht. Das Berufungsgericht tritt dem insoweit bei, als es jedenfalls eine Optionserklärung nach dem Ablaufe der ursprünglich festgesetzten Vertragsdauer für unzulässig erachtet.

Diese Vertragsauslegung muß als durchaus zutreffend angesehen werden. Im Gegensatz zu der Verlängerung des Vertrags, die um je ein Jahr bei Unterlassung der rechtzeitigen, jedem Teile freistehenden Kündigung eintritt, steht die Verlängerung um 3 Jahre zufolge einseitiger Entschließung des Mieters. Diese den Mieter besonders begünstigende Bestimmung würde eine sehr weitgehende, die Freiheit des Vermieters in der Verwertung seines Grundstücks außerordentlich beschränkende Bedeutung gewinnen, wenn nicht von vornherein, beim Vertragschlusse, der Zeitpunkt, bis zu dem das Vertragsverhältnis durch einseitigen Entschluß des Mieters verlängert werden kann, bestimmt festgelegt ist. Es kann nicht angenommen werden, daß der Vermieter, sofern ihn nicht besondere Gründe dazu veranlassen, sich bei verständiger Würdigung seiner Interessen derart binden wolle, daß der Mieter noch nach dem Ablaufe der ursprünglich festgesetzten Vertragszeit einseitig die Verlängerung um 3 Jahre sollte herbeiführen dürfen; er würde damit dem Mieter ein Recht einräumen, dessen wirtschaftliche Folgen er nicht übersehen kam. Anderseits würde eine solche Bestimmung vielfach auch eine den Interessen beider Teile entsprechende Verlängerung des Mißverhältnisses verhindern. Denn der Vermieter würde, wenn er von einer zukünftigen Ausübung des einseitigen Verlängerungsrechts des Mieters eine Schädigung seiner Interessen besorgt, durch eine zulässige Kündigung die weitere Verlängerung des Vertragsverhältnisses auch um eine nur einjährige Frist ausschließen.

Der Auffassung, welche das Landgericht als den Gepflogenheiten von Groß-Berlin entsprechend erklärt, ist hiernach allgemeine Gültigkeit zuzuerkennen. Ein so weitgehendes Recht, wie es der Kläger hier in Anspruch nimmt, könnte nur dann anerkannt werden, wenn die Fassung des Vertrags oder sonstige Umstände den Willen der Vertragschließenden, das sogen. Optionsrecht dem Mieter auch noch nach Ablauf der ursprünglichen Vertragszeit zu gewähren, klar erkennen ließen. Dies ist aber hier nicht der Fall. Der Bestimmung des § 8 des Vertrags, auf welche die Revision sich stützt, daß der wegen unterbliebener Kündigung um ein Jahr verlängerte Vertrag "in allen Punkten" seine Gültigkeit behalte, kann bei der allgemeinen formularmäßigen Fassung eine entscheidende Bedeutung für die Auslegung des handschriftlichen Zusatzes unter Nr. 7 nicht beigemessen werden. Unter dem Ablaufe des "Vertrags" kann hier nur der im Eingang dieses Vertrags bestimmte Endzeitpunkt, der 31. März 1919, verstanden werden. Daß von der Verlängerungsbefugnis der Mieter trotz der Wortfassung "nach Ablauf" nur bis zum Ablauf des Vertrags Gebrauch machen kann, wird auch von der Revision nicht bezweifelt." ...