RG, 06.07.1920 - VII 58/20

Daten
Fall: 
Ausschluss des Rechtswegs bei Bekämpfung übertragbarer Krankheiten
Fundstellen: 
RGZ 99, 283
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.07.1920
Aktenzeichen: 
VII 58/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Coblenz
  • Oberlandesgericht Köln

Schließt § 15 des Preuß. Gesetzes, betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, vom 28. August 1905 den Rechtsweg auch für Ansprüche aus, die wegen Sachbeschädigungen infolge fehlerhaftem Verhaltens bei der Entseuchung erhoben werden?

Tatbestand

Die Kläger hatten, nachdem ihre Mutter an Ruhr gestorben war, auf Anordnung der Polizeidirektion in C. vom 28. Juni 1918 verschiedene Gegenstände der Desinfektionsanstalt der Beklagten zur Entseuchung übergeben. Sie behaupten, daß die Beklagte und ihre Beamten bei der Entseuchung fahrlässig verfahren und infolgedessen die Sachen beschädigt seien, und fordern den Ersatz dieses Schadens. Das Landgericht erklärte den Rechtsweg für unzulässig, das Berufungsgericht verwarf die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Dadurch, daß die Kläger in Befolgung der polizeilichen Verfügung die ihnen gehörigen Sachen der Desinfektionsanstalt, die die beklagte Gemeinde gemäß der für den Regierungsbezirk C. erlassenen Desinfektionsordnung für amtlich angeordnete Entseuchungen bereit hält, zwecks Entseuchung übergaben und diese Anstalt die Sachen entgegennahm, erfüllten beide Teile eine ihnen obliegende öffentlichrechtliche Verpflichtung. Nichts berechtigt zu der Annahme, daß insbesondere die Beklagte ihrerseits den Willen gehabt und zu erkennen gegeben hätte, mit den Klägern ein Rechtsgeschäft und zwar einen Werkvertrag abzuschließen. Es ist deshalb dem Berufungsrichter darin nicht beizutreten, daß die Ausführung der staatlichen Anordnung durch einen mit der Beklagten abgeschlossenen Werkvertrag erfolgt sei. Trotzdem ist davon auszugehen, daß für die Beklagte, die im öffentlichen Interesse und in Erfüllung ihrer öffentlichrechtlichen Verpflichtung die den Klägern gehörigen Sachen zwecks ihrer Entseuchung entgegennahm, unabhängig von ihrem Willen den Klägern gegenüber die nach den Grundsätzen des Privatrechts zu beurteilende Verpflichtung erwachsen war, diese Sachen in ihre Obhut zu nehmen und sie nach ordnungsmäßig durchgeführter Entseuchung an die Kläger zurückzugeben. Die Kläger haben zur Begründung ihrer Klage geltend gemacht, daß die Entseuchung insofern nicht ordnungsmäßig und schuldhaft ausgeführt worden sei, als durch Überhitzung von Dämpfen während der Entseuchung die Sachen angebrannt seien und daß die bereits entseuchten Sachen gleichfalls infolge Verschuldens der Angestellten der Beklagten in ätzende Stoffe hineingeraten seien. Danach haben die Kläger einen im Privatrecht wurzelnden Anspruch erhoben und ficht eine die individuelle Privatrechtssphäre der Kläger betreffende Rechtsstreitigkeit zur Entscheidung, für die der Rechtsweg nach § 13 GVG. nur dann ausgeschlossen wäre, wenn, wie das Landgericht angenommen hat, die §§ 14, 15 G. vom 28. August 1905 die ausschließliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde vorschrieben. Allein der Berufungsrichter hat mit Recht eine solche Auslegung dieser Vorschriften abgelehnt.

Zunächst kann ein berechtigter Zweifel jedenfalls bezüglich solcher Ersatzansprüche nicht bestehen, die wegen Schädigungen erhoben sind, die erst nach Durchführung der Entseuchung infolge fahrlässigen Verhaltens der Angestellten der Beklagten entstanden sind. Es ist kein Grund erfindlich, weshalb für solche auf Verletzung der Obhutspflicht gestützte Ansprüche der Rechtsweg ausgeschlossen sein sollte. Der Vertreter der Revision hat denn auch zugegeben, daß für einen Anspruch wegen eines infolge mangelhafter Obhut ermöglichten Diebstahls der Rechtsweg gegeben sein müsse. Es kann aber keinen Unterschied machen, ob der schuldhafte Mangel der gebotenen Sorgfalt einen Diebstahl oder nur eine Beschädigung der Sache ermöglicht oder verursacht hat. § 14 bestimmt, daß der Anspruch auf Entschädigung wegfällt, wenn der Geschädigte den Verlust ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zu tragen vermag. Wollte man mit der Revision auch solche Schäden unter diese Vorschrift bringen, die nicht notwendige Folgen der polizeilich angeordneten Entseuchung, sondern unnötiger- und schuldhafterweise hervorgerufen worden sind, deren Herbeiführung also gar nicht zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten erforderlich war, so würde allen Personen, die den Verlust ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familien notwendigen Unterhalts zu tragen vermögen, selbst bei schuldhafter Beschädigung und Zerstörung ihrer Sachen irgendein Entschädigungsanspruch nicht zustehen. Hätte das Gesetz allgemeinen Rechtsgrundsätzen zuwider in solchen Fällen jeglichen Ersatzanspruch absprechen wollen, so hätte das im Gesetz einen klaren und unzweideutigen Ausdruck finden müssen. Da das nicht geschehen ist, ist die Annahme berechtigt, daß § 14 nur eine Entschädigung für solche Beschädigungen im Auge hat, die mit einer sachgemäßen Durchführung der Entseuchung notwendig verbunden sind. In tatsächlicher Hinsicht mag der einzelne Fall Schwierigkeiten bieten bei der Unterscheidung zwischen den auch bei ordnungsmäßiger Durchführung der Entseuchung nicht vermeidlichen Schäden und solchen, die lediglich durch fehlerhaftes Verfahren entstanden sind, aber dieser Umstand kann nicht dahin führen, beim Schweigen des Gesetzes allen nicht unter § 14 Satz 2 fallenden Personen jeglichen Schadenersatzanspruch auch im Falle schuldhafter Beschädigung ihrer Sachen zu versagen. Fallen aber hiernach Ansprüche auf Ersatz von Schäden, die durch schuldhafte Einwirkung auf die zur Entseuchung übergebenen Sachen entstanden sind, nicht unter die Vorschrift des § 14, so können sie auch von dem in § 15 für die Ansprüche aus § 14 angeordneten Ausschluß des Rechtsweges nicht berührt werden."