RG, 27.11.1920 - I 112/20

Daten
Fall: 
Patent bei offenkundiger Vorbenutzung oder Beschreibung in öffentlichen Druckschriften
Fundstellen: 
RGZ 101, 36
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.11.1920
Aktenzeichen: 
I 112/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Halle a.S.
  • OLG Naumburg a.S.

1. Ist eine offenkundige Vorbenutzung oder eine Beschreibung in öffentlichen Druckschriften, wenn sie am Tage der Anmeldung des Patents oder des Gebrauchsmusters erfolgt, der Erteilung des Patents oder der Wirksamkeit des Gebrauchsmusters hinderlich ?
2. Zum Tatbestand des § 2 des Patentgesetzes und des § 1 des Gebrauchsmusterschutzgesetzes.
3. Macht nachträglicher Verrat seitens einer zur Benutzung zugezogenen Person die Vorbenutzung zu einer von vornherein offenkundigen?

Tatbestand

Die verklagte Ehefrau war Inhaberin des Gebrauchsmusters Nr. 434588, das am 5. Juni 1909 angemeldet war und eine Misch- und Knetmaschine betraf. Die Klägerin hat die Löschung des Gebrauchsmusters gefordert und behauptet, daß es wegen mangelnder Neuheit des gesetzlichen Schutzes entbehrt habe, da sein Gegenstand zur Zeit der Anmeldung bereits in öffentlichen Druckschriften beschrieben und auch von der Klägerin selbst im Inlande offenkundig benutzt worden sei.

Vom Landgericht wurde die Klage abgewiesen. Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein und beantragte, nachdem am 5. Juni 1915 die Schutzfrist für das Gebrauchsmuster abgelaufen war, die Feststellung, daß ein rechtsgültiges Gebrauchsmuster nicht vorgelegen habe.

Das Oberlandesgericht sprach zunächst durch Zwischenurteil aus, daß der Gegenstand des Gebrauchsmusters zur Zeit der Anmeldung noch nicht im Inlande offenkundig benutzt worden sei. Später wies es, nach Beweisaufnahme über die behauptete Vorveröffentlichung, die Berufung zurück.

Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Gründe

... Der Berufungsrichter hat in dem Zwischenurteil rücksichtlich der offenkundigen Vorbenutzung alle Tatsachen. die sich am 5. Juni 1909, dem Tage der Anmeldung des Gebrauchsmusters, zugetragen haben sollen, ausgeschieden. Dies wird von der Revisionsklägerin mit Unrecht beanstandet. Zutreffend nimmt die herrschende Ansicht (Seligsohn § 2 Nr. 5 S. 62, Isay S. 91, Kohler, Handbuch S. 277, Osterrieth, Patentr. S. 72) an, daß unter "Zeit der Anmeldung" im Sinne des § 2 PatG. und des § 1 Abs. 2 GebrMG. allgemein der kalendermäßige Beginn des Anmeldungstags verstanden werden muß, so daß eine Beschreibung die druckschriftlich erst am Anmeldungstage selbst abgeschlossen vorliegt, oder eine Benutzung, die erst am Anmeldungstage selbst im Inlande erfolgt ist, als neuheitsschädlich nicht mehr in Betracht kommt. Wie Damme (Patentrecht 2. Aufl. S. 165 und 207) mit Recht ausführt, muß man zu diesem Ergebnis schon aus dem Grunde gelangen, weil gemäß der Kaiserlichen Verordnung zur Ausführung des Patentgesetzes vom 11. Juli 1891 (RGBl. S. 349) die zeitliche Folge des Eingangs der Anmeldungen beim Patentamt nicht nach der Uhr. sondern nach der Stempelung mit einer laufenden Nummer und mit dem Datum bezeichnet wird. Deshalb kann man zwar bei zwei an demselben Tage an das Patentamt gelangenden Sachen feststellen, welche von ihnen früher eingegangen ist, da die spätere die höhere Geschäftsnummer trägt (§ 27 Abs. 3 der Verordnung), aber der genaue Zeitpunkt des Eingangs der einzelnen Anmeldung entzieht sich der Feststellung.

Muß daher wegen solcher Beweisschwierigkeiten die gegenteilige Ansicht Kents (Patentrecht § 2 Anm. 4) verworfen werden, so kann übrigens im vorliegenden Falle schon deshalb auf Vorgänge vom 5. Juni 1909 nicht zurückgegriffen werden, weil jedenfalls die Klägerin den Beweis dafür zu erbringen hätte, daß sich die Vorbenutzungsakte vor dem Zeitpunkte der Anmeldung ereignet haben, und es in dieser Beziehung an jedem Vorbringen seitens der Klägerin fehlt.

Als Akte einer offenkundigen Benutzung im Sinne des § 1 des GebrMG. und des § 2 des PatG. kommen solche Handlungen in Frage, durch die das Schutzrecht des Erfinders preisgegeben wird; es sind dies, wie der Berufungsrichter zutreffend ausführt, die in § 4 des PatG. erwähnten Benutzungstatbestände, nämlich gewerbsmäßiges Herstellen, Inverkehrbringen, Feilhalten oder Gebrauchen des Gegenstands der Erfindung. Der Gebrauchsmusterschutz setzt das Vorhandensein eines Modells voraus, d. h. die Verkörperung des Erfindungsgedankens in der Raumidee. Der Knetarm als solcher war jedoch im vorliegenden Falle nicht die Verkörperung der Raumidee, vielmehr gehörte dazu auch noch das gesamte Getriebe, vor allem der Kurbelzapfen und die exzentrische Wirkung des Antriebs. Wenn der Berufungsrichter sich auch im Zwischenurteil nicht darüber ausgesprochen hat, was den eigentlichen Gegenstand des Gebrauchsmusters der Beklagten gebildet hat, so ist ihm doch darin beizustimmen, daß nicht der Knetarm als solcher, sondern der Knetarm als Teil der Knetmaschine den Gegenstand des Gebrauchsmusters bildete, und daß deshalb vor Herstellung dieser ganzen Maschine der geschützte Gegenstand nicht als fertiggestellt anzusehen ist.

Trifft nun die Annahme des Berufungsrichters zu, daß das erste Stück dieser Maschine Mitte Mai 1909 noch nicht fertig gestellt war, sondern erst unmittelbar vor dem am 29. Mai 1909 erfolgten Probekneten hergestellt ist, so scheiden die von der Klägerin behaupteten Vorgänge, die sich auf dem am 17. oder 18. Mai 1909 in Breslau abgehaltenen Maschinenmarkte abgespielt haben sollen, als offenkundige Vorbenutzungsakte völlig aus. ...

Aus dem gleichen Grunde müssen die Vorgänge in der Fabrik der Klägerin bei der Herstellung der Maschine hier ausscheiden. Wie der Berufungsrichter ausdrücklich feststellt, handelte es sich bei dieser Herstellung um die erstmalige Übertragung des Erfindungsgedankens ins Praktische. Selbst wenn im vorliegenden Falle der Erfahrungssatz zuträfe, wonach ein Holzmodell der geschützten Vorrichtung bereits bei der Herstellung der ersten Maschine vorzuliegen pflegt, so konnte doch die Erprobung der Erfindung erst mit dem Probekneten ihren Abschluß finden. Letztere setzte aber, da eine bestimmte Kraftleistung erforderlich war, eine gebrauchsfähige Maschine voraus; deren Herstellung gehörte daher zur Übertragung des Erfindungsgedankens ins Praktische und war nicht als ein Akt der Nutzbarmachung der Erfindung zu bewerten. Mit der Feststellung, daß das Probekneten nicht als Benutzungsvorgang, sondern als der Abschluß der Erprobung der Maschine einschließlich der geschützten Vorrichtung anzusehen ist, kommt das Probekneten nicht als Akt offenkundiger Vorbenutzung in Betracht. ...

Hiernach bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob es sich beim Probekneten um einen offenkundigen Vorgang gehandelt hat, insbesondere, inwieweit Offenkundigkeit dadurch eingetreten ist, daß der Bäckermeister B. nach seiner eidesstattlichen Versicherung vom 22. August 1913 eine Verletzung seiner nach der Auffassung des Berufungsrichters bestehenden Pflicht zur Geheimhaltung begangen hat. Es mag übrigens in dieser Beziehung ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß sich aus der eidesstattlichen Versicherung keineswegs ergibt, ob die Mitteilungen B.s so eingehende gewesen sind, daß sich ein Sachverständiger aus ihnen ein genaues Bild von der Erfindung machen und den Gegenstand der Erfindung benutzen konnte. Der Auffassung Kents (Bd. 1 S. 250), wonach bei nachträglichem Verrat durch die zur Geheimhaltung verpflichtete, bei der Benutzung zugezogene Person die Benutzung zu einer von vornherein offenkundigen gestempelt wird, kann jedenfalls nicht beigetreten werden. Im übrigen liegt mit Rücksicht auf die Feststellung des Charakters des Probeknetens als eines Akts der Erprobung der Erfindung kein Anlaß vor, auf die Frage einzugehen, ob schon durch die unbefugte Mitteilung des zur Geheimhaltung Verpflichteten ein Inverkehrbringen des körperlichen Gegenstands der Erfindung stattfindet, oder ob eine offenkundige Vorbenutzung nur dann gegeben ist, wenn auf Grund dieses Verrats ein offenkundiges Gebrauchen, Herstellen, Feilhalten oder Inverkehrbringen des Gegenstands der Erfindung eintritt. ...

Wenn die Klägerin vor der Ausstellung in Herne dortigen Bäckermeistern die Knetmaschine zum Ankauf angeboten haben will, so erblickt der Berufungsrichter hierin keinen Akt offenkundiger Vorbenutzung (durch Feilhalten), weil nicht behauptet wird, daß die Angebote unter Vorlegung einer Zeichnung oder unter Vorweisung der jedenfalls erst seit dem Nachmittage des 4. Juni 1909 in Herne auf der Ausstellung aufgestellten Maschine geschehen sei. Dieser Begründung kann aus rechtlichen Gründen nicht entgegengetreten werden; aus der Anpreisung der Maschine selbst war der eigentliche Erfindungsgegenstand noch nicht zu ersehen. ...

Das Feilbieten kann auch nicht dadurch nachträglich zu einer offenkundigen Benutzung werden, daß diejenigen, denen die Maschine zum Kauf angeboten war, am Nachmittag des 4. Juni Gelegenheit hatten, sie zu besichtigen. Konnten sie sich auf Grund dieser Besichtigung ein Bild von der Erfindung machen, so hat das doch mit dem bereits der Vergangenheit angehörigen Feilbieten seitens der Klägerin nichts zu tun und kann dem Feilhalten nachträglich nicht eine andere Bedeutung verleihen.

Das Wiederzusammensetzen einer zum Zweck der Versendung auseinander genommenen Maschine und das Wiederingangbringen durch Leerlauf ist weder als Herstellung noch als Gebrauchen zu bewerten. Der Berufungsrichter ist auch nicht etwa, wie die Revisionsklägerin vermeint, der Ansicht, daß nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch in diesen Handlungen ein Herstellen oder Gebrauchen zu erblicken ist, vielmehr nimmt er an, daß darin hinsichtlich der Kundbarmachung der Erfindung ein ebenso bedeutungsvoller Vorgang zu erblicken ist, wie bei dem Herstellen und Gebrauchen, aber er verneint deshalb hier eine offenkundige Vorbenutzung, weil dieselbe nur auf die vier Tatbestände Herstellen, Feilhalten, Inverkehrbringen und Gebrauchen zu beschränken sei. Dem muß beigetreten werden. Geht man davon aus, daß die gewerbliche Herstellung der erste Schritt der gewerblichen Nutzbarmachung ist, die hier wieder aufgebaute Maschine aber bereits hergestellt war, und zwar nicht offenkundig, so bezweckte die Zusammensetzung und Inbetriebsetzung der Maschine am Nachmittage des 4. Juni 1909 nur die Vorbereitung für die Schaustellung auf der am 5. Juni eröffneten Ausstellung. Wollte man in solchen vorbereitenden Akten schon eine Herstellung im Sinne des Gesetzes erblicken, so würde damit in vielen Fällen der Schutz, den das (im übrigen hier nicht in Frage kommende) Gesetz vom 18. März 1904, betr. den Schutz der Erfindungen, Muster und Warenzeichen auf Ausstellungen (RGBl. S. 141), gegen die mit der Schaustellung verbundene offenkundige Benutzung gewährt, hinfällig gemacht; denn regelmäßig wird die Zusammensetzung solcher Maschinen vor Beginn der Ausstellung stattfinden, und es wird häufig nicht möglich sein, Unbefugten gegenüber den Gegenstand der Erfindung während solcher vorbereitender Akte zu verbergen. Zwar kann auch in dem Vorzeigen eine Benutzung erblickt werden, immerhin setzt das aber voraus, daß eine solche Vorzeigung beabsichtigt ist. Das ist aber im vorliegenden Falle unter Berücksichtigung aller Umstände selbst dann zu verneinen, wenn der Leerlauf bei abgehobener Schutzhaube stattgefunden haben sollte. Denn mit der Inbetriebsetzung vor Beginn der Ausstellung wurde kein Feilhalten oder Inverkehrbringen am 4. Juni, sondern erst ein solches am Eröffnungstage bezweckt. ...