RG, 20.11.1920 - V 282/20

Daten
Fall: 
Dingliche Wirkung der Übertragung des Nießbrauchs
Fundstellen: 
RGZ 101, 5
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.11.1920
Aktenzeichen: 
V 282/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG III Berlin
  • OLG Berlin

1. Kann die Übertragung der Ausübung des Nießbrauchs unter Umständen auch dingliche Wirkung haben?
2. Steht der Mietzinspfändung eines Hypothekengläubigers der nacheingetragene Nießbrauch eines Dritten dann entgegen, wenn er zur Sicherung einer älteren Hypothek eingetragen worden ist?

Tatbestand

Auf dem in W. gelegenen Grundstücke des Diplomingenieurs A. steht in Abt. III Nr. 14 eine Hypothek von 25 000 M. eingetragen, von der am 16. Dezember 1912 ein Betrag von 14000 M an den Beklagten abgetreten worden ist. Der Grundstückseigentümer A. hat wegen dieser Hypothek in einer notariellen Urkunde vom 16. Dezember 1912 sich und seine Rechtsnachfolger der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen. Auf demselben Grundstücke steht mit dem Range vor dieser Post unter Nr. 13 für den Major T. eine Hypothek von 95000 M eingetragen, die am 17. Oktober 1918 dem Kläger abgetreten worden ist. Angeblich zur Sicherheit für diese Hypothek ist für T. seit dem 21. April 1913 mit dem Range nach der Hypothek des Beklagten auch ein Nießbrauch eingetragen, der bis zum 1. April 1920 verlängert wurde. Mit der Abtretung seiner Hypothek hat T. dem Kläger gleichzeitig auch die Ausübung des ihm eingeräumten Nießbrauchs übertragen.

Der Beklagte hat sich wegen seiner Hypothekenforderung nebst Zinsen am 14. Mai 1919 zum Zwecke der Zwangsvollstreckung gegen den Grundstückseigentümer eine vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde vom 16. Dezember 1912 erteilen lassen und am 6. Juni 1919 von dem Notar auch eine vollstreckbare Ausfertigung gegen den Nießbraucher zum Zwecke der Duldung der Zwangsvollstreckung erhalten. Auf Grund dieser Titel, die sowohl dem Grundstückseigentümer A. wie dem Nießbraucher T. zugestellt worden sind, hat er durch Beschlüsse vom 31. Mai, 19. und 25. Juni 1919 die Mieten des Pfandgrundstücks pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Auch diese Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, in denen die Mieten als "dem Eigentümer zustehend" bezeichnet sind, sind außer den Drittschuldnern dem Grundstückseigentümer und dem Nießbraucher zugestellt worden.

Der Kläger hat unter Berufung auf die ihm überlassene Nießbrauchsausübung gegen die Pfändung des Beklagten Widerspruch erhoben und auf seinen Antrag die gerichtliche Anordnung der Hinterlegung der gepfändeten Mieten bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Widerspruchsprozesses erreicht. Er hat beantragt, die Pfändungen und Überweisungen aufzuheben, während der Beklagte um die Abweisung der Klage gebeten und widerklagend beantragt hat, den Kläger zu verurteilen, in die Auszahlung der hinterlegten Mieten an ihn zu willigen.

Das Landgericht gab unter Abweisung der Klage dem Widerklaganspruche statt. Das Berufungsgericht erkannte umgekehrt. Auf die Revision des Beklagten wurde das erste Urteil wiederhergestellt.

Gründe

Dem Kläger ist laut Urkunde vom 17. Oktober 1918 die Ausübung des für den Major T. eingetragenen Nießbrauchs übertragen worden, was nach § 1059 BGB. zulässig war. In der Rechtslehre wird überwiegend die Meinung vertreten, daß in solchem Falle die dingliche Verfügung beim Nießbraucher verbleibt und der Erwerber der Nießbrauchsausübung nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Nießbraucher gewinnt, der ihn zwar berechtigt, die aus dem Nießbrauche fließenden Rechte für seine Rechnung im Namen des Nießbrauchers auszuüben, aber nicht zum Inhaber dieser Rechte macht.

Windscheid-Kipp Bd. 1 § 205; Staudinger 2 b; Planck 3, 4; Komm. von RGR. 1 zu § 1059; Turnau-Förster, Liegenschaftsrecht, 3, 4 zu § 1059; Fuchs, Grundbuchrecht, Bd. 1 Bem. 2 zu §§ 1051 - 1054, Bem. 3 zu § 1059; Güthe, Grundbuchordnung. Bd. 1 Bem. 128 zu § 19, Bem. 9 zu § 26; Predari, Grundbuchordnung, Bem. 1 zu § 24.

Für diese Auffassung sprechen auch die Vorarbeiten zum Bürgerlichen Gesetzbuche (RGZ. Bd. 74 S. 84). Insbesondere betonen die Motive zu § 1011 des I. Entw., der die Veräußerung des Nießbrauchs zuließ, daß demjenigen, welchem die Ausübung des Rechtes an einer Sache überlassen ist, nicht eine dingliche, sondern nur eine obligatorische Rechtsposition zugeschrieben werden könne (Bd. 3 S. 525). Diesen Standpunkt teilt auch die Denkschrift (Mugdan Bd. 3 S. 981), indem sie davon spricht, daß die Überlassung der Ausübung des Nießbrauchs an einen anderen im Wege eines obligatorischen Vertrags gestattet ist.

Wäre der herrschenden Ansicht beizutreten, dann könnte dem Kläger das Recht zur Widerspruchsklage nicht zugestanden werden. Denn rein obligatorische Ansprüche enthalten kein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO. Aber in solcher Allgemeinheit kann der Satz, daß bei der Überlassung der Nießbrauchsausübung das Recht im Vermögen des Nießbrauchers zurückbleibt und der Erwerber nur die schuldrechtliche Befugnis erhält, die aus dem Nießbrauch fließenden Rechte für eigene Rechnung geltend zu machen, nicht anerkannt werden. Die Entscheidung RGZ. Bd. 16 S. 110. in der ausgesprochen ist, daß derjenige, dem die Ausübung des Nießbrauchs übertragen ist, dadurch nicht bloß ein obligatorisches Recht gegen den Nießbraucher erwirbt, sondern auch das Recht erlangt, den übertragenen Nießbrauch kraft eigenen Rechtes gegen den Eigentümer und Dritten zur Geltung zu bringen, ist allerdings nur für das gemeine Recht auf Grund der Vorschrift der I. 11 § 2 D. 20, 1 ergangen. Aber auch für das jetzige Recht ist nicht unmöglich, daß der Nießbraucher, mag er auch den Nießbrauch in seiner Gesamtheit, d. h. das Stammrecht, dem Dritten nicht übertragen können, die ihm aus dem Nießbrauche fließenden Einzelrechte, soweit sie bestimmt oder bestimmbar sind, dem Dritten mit dinglicher Kraft überläßt und dies durch die Übertragung der Ausübung des Nießbrauchs zum Ausdruck bringt. Darauf hat der erkennende Senat, nachdem er in der Entscheidung RGZ. Bd. 74 S. 85 seine Stellungnahme zu dieser Frage offen gelassen hatte, schon in der Entscheidung vom 8. Juni 1912 V 37/1912 (Warneyer Nr. 344) hingewiesen.

Ob eine solche Überlassung beabsichtigt und erfolgt ist, hängt vom Einzelfall ab. In der Regel wird sie in der bloßen Übertragung der Nießbrauchsausübung nicht liegen. Denn das käme auf eine tatsächliche Übertragung des Nießbrauchs hinaus. Der Ausüber des Nießbrauchs soll nach dem Willen des Gesetzes aber etwas vom Nießbrauch Verschiedenes und Schwächeres erwerben (vgl. Nußbaum in den Beitr. z. Kenntnis des Rechtslebens Heft 2 S. 67). Sollen deshalb die Befugnisse des Nießbrauchers namentlich auch die Ansprüche auf die Mieten, ihrer Substanz nach auf den Ausübungsberechtigten übergehen, wie es der Berufungsrichter für den vorliegenden Fall annimmt, wenn er feststellt, daß die Mieten selbst als abgetreten zu gelten haben, so müssen für eine so weitgehende Auslegung des Parteiwillens besondere Umstände sprechen. Hieran müssen um so strengere Anforderungen gestellt werden, als mit Rücksicht auf § 1124 BGB. die Rechtsstellung der Hypothekengläubiger verschieden ist, je nachdem man in der Übertragung der Nießbrauchsausübung eine Verfügung des Nießbrauchers über die Mieten sieht, oder nur die Einräumung des Rechtes, die Mieten einzuziehen. Im gegebenen Falle aber fehlt es an solchen Umständen. Es steht nichts weiter fest, als daß der Nießbraucher T. dem Kläger mit der für ihn eingetragenen Hypothek auch das Recht zur Ausübung des ihm zustehenden Nießbrauchs mit allen Rechten und Pflichten übertragen hat. Daraus allein kann aber nicht entnommen werden, daß dem Kläger die Mieten selbst haben abgetreten werden sollen und ihm ein dingliches Recht an den Mietzinsforderungen eingeräumt worden ist. Daß dem Kläger die Nießbrauchsausübung angeblich zur Sicherung übertragen worden ist, spricht für diese Absicht nicht. Denn gesichert war der Kläger auch schon dadurch, daß ihm das Recht eingeräumt war, die Mieten für eigene Rechnung (wenn auch nicht im eigenen Namen) einzuziehen. Er hatte dadurch einen besseren und leichteren Zugriff auf die Mieten, als er ihn kraft seines Hypothekenrechts besaß, weil er sich infolge der Überlassung der Nießbrauchsausübung ohne weiteres an die Mieten halten konnte, als Hypothekengläubiger dazu aber erst einer Beschlagnahme derselben bedurft hätte. Im übrigen aber kommt hinzu, daß der Kläger gar nicht behauptet hat, durch die Urkunde vom 17. Oktober 1918 seien ihm die Mieten selbst abgetreten. Es durfte deshalb um so weniger eine solche Absicht in den Sinn der Urkunde vom Berufungsrichter hineingetragen werden. Eine Auslegung der Urkunde war gegenüber ihrem klaren Wortlaut ausgeschlossen (RGZ. Bd. 59 S. 217, Bd. 62 S. 195, Bd. 68 S. 126). Ihre Fassung lehnte sich wortgetreu an den Wortlaut des § 1059 BGB. an. Schon das spricht dafür, daß dem Kläger nicht mehr Rechte gegeben werden sollten, als das Gesetz selbst unter der Überlassung der Nießbrauchsausübung begriff. Vielleicht hätte ein Mehr im Interesse des Klägers gelegen. Aber durch eine Auslegung des Parteiwillens darf dies nicht nachgeholt werden, weil sonst die Auslegung dazu führen würde, an Stelle des erklärten Willens einen anderen zu setzen (vgl. JW. 1919 S. 247).

Es muß deshalb dabei bleiben, daß der Kläger durch die Überlassung der Nießbrauchsausübung nur das Recht zur Einziehung der Mieten überkommen hat. Hierin mag zwar auch die Ermächtigung zur selbständigen Erhebung der Widerspruchsklage gelegen haben, aber die Pfändung des Beklagten kann er mit seinem Rechte nicht bekämpfen. Zuzugeben ist, daß die gepfändeten Mietzinsforderungen an sich dem Nießbraucher zugestanden haben und daß daraus an sich auch ein Widerspruchsrecht gegen die Pfändung durch Dritte hergeleitet werden kann. Aber dem Nießbrauche stand die bessere Hypothek des Beklagten gegenüber, die ihm des Recht gab, sich aus den Mietzinsen des ihm verpfändeten Grundstücks Befriedigung zu verschaffen, und zwar mit Vorzug vor dem Nießbraucher, da die Hypothek vor dem Nießbrauch eingetragen stand (RGZ. Bd. 81 S. 150). Daran wird auch dadurch nichts geändert, daß dem Nießbraucher mit dem Range vor der für den Beklagten eingetragenen Hypothek auch selber noch eine Hypothek zustand, zu deren Sicherung der Nießbrauch angeblich eingeräumt worden war. Denn damit teilte der Nießbrauch noch nicht den Rang dieser Hypothek und, solange diese Hypothek auch nicht selbst durch Beschlagnahme. der Mieten geltend gemacht war, muß sie der Pfändung der Mieten durch einen nacheingetragenen Hypothekengläubiger weichen. Sie kann deshalb auch die Rechtsstellung des nacheingetragenen Nießbrauches nicht bessern, sollte in dem Widerstreite der eingetragenen Rechte nicht jedes Recht überhaupt nur für sich allein zu werten sein. Daß der Nießbrauch angeblich zur Sicherung dieser Hypothek bestellt war, macht die Sachlage nicht anders. Steht aber dem Nießbraucher selbst auf Grund seines Rechtes an den Mieten kein Widerspruch gegen die Pfändung durch einen voreingetragenen Hypothekengläubiger zu, so kann auch der, dem die Ausübung des Nießbrauchs übertragen ist, dieses Widerspruchsrecht nicht besitzen. Insbesondere war auch im Hinblick auf § 1124 BGB. der Pfändung des Beklagten der Boden nicht entzogen. Denn ebensowenig wie die Bestellung des Nießbrauchs an einem vermieteten Grundstück eine Verfügung über die Mieten enthält, welche dem Hypothekengläubiger das Pfandrecht an den Mieten für das zur Zeit der Beschlagnahme oder der ihr gleichstehenden Pfändung (RGZ. Bd. 81 S. 148) laufende und folgende Kalendervierteljahr entzöge (RGZ. Bd. 68 S. 12), ist auch die Weiterübertragung der Ausübung des Nießbrauchs als eine solche Verfügung anzusehen. Deshalb konnte der Beklagte auf Grund seines dinglichen Vollstreckungstitels auch trotz des Nießbrauchs und der Übertragung seiner Ausübung die Mieten pfänden, solange nicht der Nießbraucher oder der Ausübungsberechtigte diese eingezogen oder sonst über sie verfügt hatte. Pfandfrei wären die gepfändeten Mieten nur dann gewesen, wenn in der Überlassung der Ausübung des Nießbrauchs an den Kläger eine Abtretung der Mietzinsforderungen zu erblicken gewesen wäre. Da es an dieser Voraussetzung aber fehlt, so muß sich der Kläger die Pfändung der Mieten ebenso gefallen lassen, wie sie der Nießbraucher selbst dulden muß. Es wäre auch widerspruchsvoll, wenn der Inhaber des Nießbrauchsrechts der Pfändung nicht sollte widersprechen können, dem Kläger aber, dem der Nießbraucher nicht mehr Rechte einräumen konnte als er selbst besaß, ein solches Widerspruchsrecht zustehen sollte. Der Beklagte kann zufolge der Übertragung der Nießbrauchsausübung auf keinen Fall schlechter stehen als ohne diese.

Entbehrt das Widerspruchsrecht des Klägers der Begründung, so erscheint auch die Widerklage des Beklagten gerechtfertigt. Sein Anspruch auf die hinterlegten Mieten setzt zwar ohne Rücksicht auf den Widerspruch des Klägers auch noch ihre gültige Pfändung und Überweisung voraus. Aber daran fehlt es nicht. Denn selbst wenn man über die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 21. Dezember 1912 (RGZ. Bd. 81 S. 146) und 28. Januar 1920 V 51 / 1919 hinaus für die Wirksamkeit der Pfändung von Mieten durch einen im Range vorgehenden Hypothekengläubiger noch einen Duldungstitel gegen den Nießbraucher für erforderlich hält, entbehrt die Pfändung des Beklagten nicht der Gültigkeit. Ein Duldungstitel gegen den Nießbraucher liegt vor. Zweifelhaft könnte nur sein, ob gegen den Nießbraucher auf Grund dieses Titels eine wirksame Pfändung der Mieten vorgenommen ist, was, wenn man überhaupt einen Titel gegen den Nießbraucher für erforderlich erachtet, noch hinzukommen muß, da auch der zur Duldung der Zwangsvollstreckung verurteilte Schuldner Vollstreckungsgegner ist und es deshalb auch gegen ihn der Vollstreckung bedarf (vgl. Hellwig, System Bd. 2 S. 234). Aber auch dieses Erfordernis ist erfüllt. Denn die ergangenen Pfändungsbeschlüsse sind außer den Mietern sowohl dem Eigentümer wie dem Nießbraucher zugestellt. In den Beschlüssen sind zwar die Mietzinsforderungen fälschlich als solche des Eigentümers bezeichnet. Dieser Fehler ist aber ohne Bedeutung, weil er die Identität der Forderungen nicht in Frage stellt und unwesentliche Unrichtigkeiten im Pfändungsbeschlusse die Gültigkeit der Pfändung nicht berühren (RGZ. Bd. 93 S. 124).

Hiernach ist die Widerspruchsklage des Klägers unbegründet und die Widerklage des Beklagten gerechtfertigt.