RG, 13.11.1920 - I 176/20

Daten
Fall: 
Seeversicherungsbedingungen
Fundstellen: 
RGZ 100, 216
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.11.1920
Aktenzeichen: 
I 176/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer Handelssachen
  • OLG Hamburg

Hat ein Versicherer, der wegen Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers nach den Allg. Seeversicherungsbedingungen von 1867 § 160 Abs. 2 die Versicherung für erloschen erklärt hat, trotzdem einen Anspruch auf Prämienzahlung für die nach dem Tage des Erlöschens der Versicherung liegende Versicherungszeit?

Tatbestand

Die Beklagte hat im Jahre 1914 mehrere Dampfer bei verschiedenen Versicherern wegen des Kaskos auf bestimmte kalendermäßig angegebene Zeit versichert. Das Vertragsverhältnis ist vereinbarungsgemäß nach den Allg.SVB. von 1867 zu beurteilen. Es ist eine Versicherungsprämie von 9 % vereinbart, "davon 2 1/4 % per 10. Juni, 2 1/4 % per 10. September, 2 1/4 % per 10. Dezember 1914, 2 1/4 % per 10. März 1915".

Im November 1914 ist die Beklagte zahlungsunfähig geworden. Infolgedessen ersuchten die Versicherer durch das Schreiben vom 30. November 1914 gemäß § 160 Allg.SVB. die Beklagte um Zahlung der rückständigen Prämien oder genügende Sicherstellung binnen einer bestimmten Frist und erklärten nach fruchtlosem Ablaufe dieser Frist die Versicherungen für erloschen. Die Prämien sind bis zum Tage des Erlöschens der Versicherungen, dem 2. November 1914, bezahlt. Der Kläger verlangt als Zessionar, der Versicherer die Restprämie bis zum Ablaufe der Versicherungszeit.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht gab ihr statt. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

Wie bereits in RGZ. Bd. 39 S. 227 erwähnt ist, kennen die hier maßgeblichen Allg.SVB. keinen Grundsatz dahin, daß der Versicherer für die Zeit, während welcher eine Gefahrtragung und damit die Möglichkeit einer Leistung aus dem Versicherungsvertrage für ihn nicht besteht, auch eine Versicherungsprämie nicht zu beanspruchen habe. Vielmehr sind für diesen Fall in den §§ 154 flg. besondere und eigenartige Bestimmungen getroffen. Danach kann u. a. selbst dann, wenn die versicherte Sache ohne Zutun des Versicherten der von dem Versicherer übernommenen Gefahr überhaupt nicht ausgesetzt wird, die Versicherungsprämie nur teilweise seitens des Versicherten zurückgefordert oder einbehalten werden, nämlich "bis auf eine dem Versicherer gebührende Vergütung" (§ 154 Abs. 1 Allg.SVB., § 894 Abs. 1 HGB.). Über auch diese beschränkte Rückforderung oder Einbehaltung der Versicherungsprämie findet nicht statt, wenn die Gefahr für den Versicherer, sei es auch für noch so kurze Zeit, bereits zu laufen begonnen hat (§157 Allg.SVB., § 897 HGB.). Der in diesen Vorschriften zum Ausdruck gebrachte Gedanke, daß der Abschluß des Versicherungsvertrags an sich dem Versicherer einen Anspruch auf die ganze Prämie oder einen Teil derselben selbst dann gibt, wenn für ihn eine in der Gefahrtragung bestehende Gegenleistung nicht in Frage kommt, ist nicht nur dem Seeversicherungsrechte, sondern dem Versicherungsrecht überhaupt eigentümlich. So ist z. B. in den im VersVG. § 38 Abs. 1 und § 39 Satz 1 und 2 geregelten Fällen der Versicherer "von der Verpflichtung zur Leistung frei", ohne daß dadurch das Versicherungsvertragsverhältnis an sich, insbesondere die Verpflichtung des Versicherten zur Zahlung der Prämie, berührt wird (vgl. Gerhard-Manes, VersVG. § 38 Anm. 6, 7, § 39 Anm. 11 Abs. 3). Übrigens findet sich ein ähnlicher Grundsatz auch in den neuen Allg. Deutschen Seeversicherungsbestimmungen von 1919, wo für den in § 17 Satz 1 vorgesehenen Fall bestimmt ist, daß der Versicherer trotz Bestehens des Versicherungsvertrags und der Pflicht des Versicherten zur Prämienzahlung "von der Verpflichtung zur Leistung frei" ist. Dabei wird in den eben erwähnten Vorschriften diese Befreiung des Versicherers von seiner Leistungspflicht ausdrücklich unterschieden von der "Kündigung" des Versicherungsverhältnisses, d. h. der für beide Teile wirksamen Vertragsaufhebung (§ 38 Abs. 2 VersVG., § 17 Satz 2 Allg. DSVB.). Aber auch diese Kündigung schließt nicht aus, daß der Versicherer die Prämie oder einen Teil derselben zu beanspruchen hat für einen Zeitraum, während dessen er keinerlei Gefahr trägt (Hager-Bruck VersVG. § 40 Anm. 2, 3; Gerhard-Manes § 40 Anm. 3; § 17 letzter Satz Allg.DSVB.). Entspricht somit die Möglichkeit der Befreiung des Versicherers von seiner Leistungspflicht trotz gänzlichen oder teilweisen Bestehenbleibens seines Anspruchs auf Prämienzahlung einem Grundgedanken des Versicherungsrechts, so ist der weitere Grundsatz von der Unteilbarkeit der Gefahr jedenfalls in den Allg.SVB. von 1867 klar zum Ausdruck gekommen. Denn wenn es dort in § 157 (vgl. auch § 897 HGB.) heißt: "Ein Ristorno findet nicht statt, wenn die Gefahr für den Versicherer bereits zu laufen begonnen hat", so will das besagen: sobald auf Grund des Versicherungsvertrags die Gefahrtragung für den Versicherer eingetreten ist, hat der Versicherer grundsätzlich den Anspruch auf die ganze vertragsmäßige Prämie, also wenn es sich, wie hier, um eine Zeitversicherung handelt, für den im Vertrage ausdrücklich vorgesehenen Zeitraum, und zwar auch dann, wenn schon vorher die Gefahrtragung für den Versicherer fortgefallen ist. Dafür, daß dies - wie aus den Ausführungen bei Voigt, Seeversicherungsrecht § 160 S. 795 vielleicht entnommen werden könnte - nur für die zur Zeit der Beendigung der Gefahrtragung des Versicherers bereits fälligen Prämien gilt, geben die Allg.SVB. keinen Anhalt. Vielmehr weist die Vorschrift in § 154 Abs. 1, daß der Ristorno nicht nur die bezahlte, sondern auch die "einbehaltene" Prämie umfaßt, darauf hin, daß der § 157 sich auf die ganze vertragsmäßige Prämie bezieht, einerlei, ob sie bei dem Erlöschen der fraglichen Gefahrtragung bereits fällig war oder nicht.

Diese Grundsätze sind bei Auslegung der hier maßgeblichen Vorschriften des § 160 Abs. 2 nicht außer acht zu lassen. Danach kann es nicht zweifelhaft sein, daß in bestimmter Absicht nach § 160 Abs. 2 dem Versicherer bei Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers anders geartete Rechte eingeräumt sind als in § 160 Abs. 1 dem Versicherten bei Zahlungsunfähigkeit des Versicherers. Insbesondere bedeutet die in § 160 Abs. 1 dem Versicherten zugebilligte Erklärung "von dem Vertrage zurückzutreten" etwas anderes als die im § 160 Abs. 2 erwähnte Befugnis des Versicherers, die "Versicherungen für erloschen zu erklären". Diesem "Erlöschen" der Versicherung steht gegenüber der in § 160 Abs. 2 a. E. erwähnte Fall, daß die Versicherung "in Wirksamkeit bleibt". In beiden Fällen ist nach Sachlage unter "Versicherung" nicht das ganze Versicherungsvertragsverhältnis, sondern nur die in der Haftpflicht des Versicherers beruhende "Sicherung" des Versicherungsnehmers zu verstehen, deren Erlöschen hier wie in anderen oben erwähnten Fällen des Versicherungsrechts die Verpflichtung des Versicherungsnehmers zur Zahlung der vertragsmäßigen Prämien nicht berührt. Dabei ist es, entsprechend dem in § 157 zum Ausdruck gekommenen Grundsatz von der Unteilbarkeit der Gefahr, ohne Bedeutung, ob zur Zeit des Erlöschens der Gefahrtragung die Prämie bereits fällig war oder nicht. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob hier, wo in den maßgeblichen Policen eine Prämie von 9 % der Versicherungssumme für die vereinbarte Versicherungszeit ausbedungen ist, der Zusatz: davon 2 1/4 % per 10. Juni 1914, 2 1/4 % per 10. September 1914, 2 1/4 % per 10. Dezember 1914, 2 1/4 % per 10. Mai 1915, nur einen schriftlichen Hinweis auf die im gewöhnlichen Gange des Geschäfts für die Berichtigung der Prämien üblichen Termine im Sinne des § 59 Abs. 2 bedeutet und daher gemäß § 59 Abs. 1 (vgl. auch § 812 HGB.) an der sofortigen Fälligkeit der ganzen Jahresprämie nichts ändert, oder ob darin eine besondere Vereinbarung zu erblicken ist, durch welche unter Ausschluß der sofortigen Fälligkeit der Prämie bestimmte Termine für eine ratenweise Zahlung festgesetzt sind.