RG, 27.09.1920 - IV 2/20

Daten
Fall: 
Letztwillige Anordnung eines Schiedsgerichts
Fundstellen: 
RGZ 100, 76
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.09.1920
Aktenzeichen: 
IV 2/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Münster
  • OLG Hamm

Ist die letztwillige Anordnung eines Schiedsgerichts zulässig? Kann der als Testamentsvollstrecker Berufene zugleich zum Schiedsrichter ernannt werden?

Tatbestand

Die in Warendorf verstorbene Witwe E. hatte in ihrem Testament vom 15. Juni 1915 nebst Nachtrag vom 1. Dezember 1917 teils Verwandte von ihr selbst, teils Verwandte ihres verstorbenen Mannes bedacht sowie eine Testamentsvollstreckung angeordnet. Über den Inhalt ihres Testaments ist Streit entstanden, wie im folgenden des näheren angegeben ist. Das Landgericht hat auf Abweisung der Klage erkannt, das Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Auch die Revision der Kläger hatte keinen Erfolg.
Gründe

Die Beklagten haben der Klage in erster Reihe die Einrede entgegengesetzt, daß die Entscheidung des Rechtsstreits durch einen Schiedsrichter zu erfolgen habe (§ 274 Nr. 3 ZPO.), indem sie sich auf den § 8 des Testaments berufen, welcher bestimmt:

Als Testamentsvollstrecker bestimme ich meinen Neffen H. T. Falls dieser verhindert sein sollte, das Amt auszuüben, bestimme ich Herrn Rechtsanwalt und Notar Dr. E. hier, falls der verhindert ist, Amtsrichter G. ...

Über etwaige Streitigkeiten bei der Testamentsvollstreckung soll der Testamentsvollstrecker entscheiden.

Das Berufungsgericht findet im Schlußsatze des § 8 die Anordnung, daß Streitigkeiten über die Nachlaßteilung nicht zum gerichtlichen Austrage gebracht, sondern durch ein Schiedsgericht entschieden werden sollten.

Die Revision bekämpft diese Auslegung, indem sie namentlich darauf hinweist, daß die Erblasserin in erster Reihe und ebenso an dritter Stelle einen Miterben zum Testamentsvollstrecker berufen habe, und ausführt, da das Bewußtsein von der Notwendigkeit voller Unbefangenheit eines Richters im ganzen Volke lebendig sei, könne die Erblasserin unmöglich die Berufung eines unmittelbar Beteiligten zum Schiedsrichter gewollt haben. Daraus gehe hervor, daß sie überhaupt nicht ein Schiedsgericht habe einsetzen, also auch nicht den an zweiter Stelle berufenen unbeteiligten Dr. E. welcher dermalen das Amt als Testamentsvollstrecker führe, zum Schiedsrichter habe berufen wollen. Das Berufungsgericht hat jedoch diesen von den Klägern schon früher geltend gemachten Gesichtspunkt erwogen und ist zu dem Schlusse gekommen, daß darin kein Hindernis gegen die Auslegung des Testamentes in obigem Sinne zu finden sei. Gegenüber dem Umstande, daß das früher mehr gebräuchliche Rechtsgebilde eines letztwillig angeordneten Schiedsgerichts seit langen Jahren fast völlig aus dem Rechtsleben verschwunden ist (vgl. darüber van Cleef, Die letztwillige Schiedsgerichtsklausel 1914, S. 3), liegt allerdings die Annahme nicht gerade nahe, daß eine nicht rechtskundige Erblasserin an eine derartige Regelung gedacht habe, wenn sie mit kurzen, den Ausdruck Schiedsrichter nicht enthaltenden Worten dem Testamentsvollstrecker die Entscheidung von Streitigkeiten übertrug; das hätte wohl auch in dem Sinne gemeint sein können, daß sie nur die Befugnisse im Auge hatte, die dem Testamentsvollstrecker als solchem nach dem Gesetze zustehen oder nach § 2048 BGB. übertragen werden können. Aber wenn das Berufungsgericht zu einer anderen Auffassung des Satzes gelangt ist, so bildet das eine tatsächliche, für diese Instanz maßgebende Feststellung, und es muß deshalb für die rechtliche Beurteilung davon ausgegangen werden, daß durch das Testament ein Schiedsgericht angeordnet ist.

Gegen die Zulässigkeit einer solchen Anordnung ist kein Bedenken zu erheben. In § 1048 ZPO. wird die Anordnung ohne weitere Erörterungen als zulässig vorausgesetzt; der Umstand, daß das BGB. keine ausdrückliche Vorschrift darüber enthält, steht um so weniger entgegen, als sich die Sache bezüglich der vertraglich vereinbarten Schiedsgerichte ebenso verhält. Die Zulässigkeit folgt vielmehr ohne weiteres aus der Erwägung, daß der Inhalt letztwilliger Anordnungen keinen anderen als den sich aus dem Gesetz ergebenden Einschränkungen unterliegt, wobei aber nicht etwa die in den §§ 1937 bis 1941 enthaltenen Bestimmungen über den möglichen Inhalt letztwilliger Verfügungen dahin zu verstehen sind, daß ausschließlich die dort aufgeführten Anordnungen zulässig wären; denn das Gesetz erwähnt selbst mehrfach an anderen Stellen letztwillige Verfügungen sonstigen Inhalts (z.B. §§ 332, 1777 Abs. 3, 2197, 2336). Es bedarf daher zur Rechtfertigung der Schiedsgerichtsklausel nicht der in der Rechtslehre mehrfach vertretenen Unterstellung ihrer Anordnung unter den Gesichtspunkt der Auflage nach § 1940 BGB.

Ein gewisses Bedenken gegen die uneingeschränkte Zulassung letztwillig angeordneter Schiedsgerichte ließe sich aus § 2065 BGB. herleiten. Aus dieser Vorschrift hat man mit Recht entnommen, daß dem Testamentsvollstrecker als solchem nicht unbeschränkt die Befugnis zur Auslegung des Testaments eingeräumt werden kann (RGZ. Bd. 66 S. 106). Ein Schiedsrichter dagegen, der vollständig an die Stelle des ordentlichen Richters tritt, muß natürlich auch die Befugnis haben, streitige Testamentsbestimmungen auszulegen. Es entsteht nun die Gefahr, daß in Fällen, wo ein Testament dem Testamentsvollstrecker mehr Rechte nach der angegebenen Richtung zuspricht als nach § 2065 zulässig, versucht werden möchte, einer solchen Anordnung in der Weise Geltung zu verschaffen, daß sie in die Berufung zum Schiedsrichter umgedeutet wird. Aber dieses Bedenken hat nicht unter allen Umständen eine Berechtigung; der § 2065 trifft jedenfalls auf solche Verfügungen nicht zu, in denen der Erblasser nach seiner Überzeugung erschöpfende Anordnungen über den Nachlaß getroffen und nur für den immer möglichen Fall, daß sich gleichwohl Meinungsverschiedenheiten ergeben sollten, einem Schiedsrichter die Entscheidung darüber aufgetragen hat; denn solchenfalls überträgt der Erblasser dem Schiedsrichter nicht die Ausgabe, an seiner - des Erblassers - Stelle das zu ordnen, was er selbst zu ordnen unterlassen hätte, sondern die Aufgabe, an Stelle des ordentlichen Richters, der sonst eingreifen und das Testament auslegen müßte, tätig zu werden. Die Grenze zwischen beiden Arten der Tätigkeit mag manchmal nicht leicht zu ziehen sein (vgl. Motive z. BGB. Bd. 5 S 34), aber die grundsätzliche Verschiedenheit bleibt bestehen. Und für den Streitfall besteht jedenfalls ein solches aus § 2065 herzuleitendes Bedenken nicht. Ob die Erblasserin in einem Irrtum befangen war, als sie den Übernahmepreis für den dem K. T. zugedachten Kamp mit 50 M für die Rute niederschrieb, kann unter keinen Umständen eine Unterlage für die Anschauung bilden, daß sie die Bestimmung über das Gelten oder Nichtgelten ihrer Verfügung einem anderen hätte überlassen wollen. Und ähnlich steht es mit dem Streit über die 4000 M Pfandbriefe; daß das vom Ehemann der Erblasserin in die Ehe gebrachte Vermögen an dessen Verwandte fallen soll, ist im Testamente deutlich gesagt; bei der Frage, ob die Pfandbriefe, die im Testamente unter dem von der Frau eingebrachten Vermögen aufgezählt sind, in Wirklichkeit vom Manne eingebracht waren, handelt es sich um eine bloße Feststellung, keineswegs aber um eine Vertretung im Willen für die Erblasserin.

Die Revision meint, jedenfalls könne nicht ein Testamentsvollstrecker zum Schiedsrichter bestellt werden; denn das BGB. behandle den Testamentsvollstrecker als Vertreter der Erben und unterstelle ihn mehrfach den Regeln des Auftrags, er sei den Erben verantwortlich, habe ihnen Rechnung zu legen usw. und könne daher nicht Richter über die Erben sein. Das Bedenken schlägt nicht durch. Die Tätigkeit, die der Testamentsvollstrecker als Schiedsrichter auszuüben hat, hebt sich von seiner Tätigkeit als Testamentsvollstrecker schon äußerlich dadurch deutlich ab, daß für erstere ein besonderes, den Beteiligten gewisse Rechte einräumendes Verfahren vorgeschrieben ist (§1048 mit §§ 1028 flg. ZPO.). Insoweit dieses Verfahren eingehalten ist, kann von einem Auftragsverhältnis und einer Rechenschaftspflicht des Testamentsvollstreckers gegenüber den Erben keine Rede sein. Durch das in § 1032 vorgesehene Ablehnungsrecht wird übrigens auch der Gefahr abgeholfen, daß der Testamentsvollstrecker über Beanstandungen, die von den Erben gegen seine Geschäftsführung erhoben werden, in seiner Eigenschaft als Schiedsrichter selbst entscheiden könnte, soweit nicht diese Gefahr schon durch den allgemeinen Grundsatz ausgeschlossen ist, daß niemand in eigener Sache Richter sein kann. Daß im übrigen der Testamentsvollstrecker, der zugleich zum Schiedsrichter ernannt ist, auch den Erben gegenüber seine selbständigere Stellung einnimmt als der gewöhnliche Testamentsvollstrecker, mag je nach dem Inhalte des Testaments zutreffen; aber das beruht auf der Entschließung des Erblassers, der ihn zu dieser Vertrauensstellung berufen hat.

Es kann der Revision endlich auch nicht zugegeben werden, daß die im Testament gewählte Bezeichnung der der schiedsrichterlichen Entscheidung unterstellten Rechtsangelegenheiten der erforderlichen Begrenzung entbehre. Die Rechtsbeziehungen, welche sich bei der Auseinandersetzung des Nachlasses - oder wie das Testament sich ausdrückt, bei der Testamentsvollstreckung - zwischen den Beteiligten ergeben, stellen ein bestimmtes Rechtsverhältnis im Sinne von § 1026 ZPO. dar.