RG, 30.04.1919 - I 27/19

Daten
Fall: 
Feststellung der Abhängigkeit des jüngeren Patentes
Fundstellen: 
RGZ 95, 304
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.04.1919
Aktenzeichen: 
I 27/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf
  • OLG Düsseldorf

Wann hat der Inhaber eines älteren Patentes gegenüber dem Inhaber eines jüngeren ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung der Abhängigkeit des jüngeren Patentes?

Tatbestand

Die Klägerin besitzt die ausschließliche Lizenz an dem Patent 197111, durch welches ein Verfahren zur Wasserreinigung mittels basenaustauschender Aluminatsilikate geschützt ist. Der Beklagte ist Inhaber des jüngeren Patentes 270324, welches ein Verfahren zur Herstellung gut basenhaltiger Aluminatsilikate betrifft. Im Jahre 1913 räumte er einem gewissen v. B. das Recht ein, das Patent 270324 für einen bestimmten Preis erwerben zu können. Von diesem Rechte hat v. B. bisher keinen Gebrauch gemacht. Er bemühte sich aber um die Verwertung des Patentes und bot es auch der Klägerin zum Erwerb an, mit dem Hinzufügen, daß andernfalls ein bedeutender Konzern das Patent ausbeuten würde. Bei seinen Bemühungen bediente er sich der Mitwirkung des Patentanwalts W. Dieser richtete an die Klägerin die Frage, ob sie behaupte, daß die Verwendung der nach Patent 270324 hergestellten Stoffe in das Patent 197111 eingriffe, und ob sie gegebenenfalls geneigt sei, eine Lizenz zur Benutzung dieses Patentes zu erteilen. Die Klägerin erwiderte hierauf, daß sie die Benutzung der bezeichneten Stoffe als eine Verletzung des Patentes 197111 ansehen würde. Zugleich ersuchte sie W. um eine Erklärung, ob von ihm und seinem Auftraggeber die Abhängigkeit des Patentes 270324 vom Patent 197111 anerkannt würde. Da W. einer solchen Erklärung in seinem Antwortschreiben auswich und bemerkte, daß über die Frage der Abhängigkeit "die zuständige Stelle" zu entscheiden hätte, so erhob die Klägerin gegen den Beklagten Klage auf Feststellung, daß die nach Patent 270324 hergestellten Erzeugnisse zum Zwecke der Wasserreinigung während der Dauer des Patentes 197111 nicht ohne Einwilligung der Klägerin verwendet werden dürften. Der Beklagte erklärte, dies nicht bestreiten zu wollen, er beantragte aber die Abweisung der Klage, weil die Voraussetzungen des § 256 ZPO. für die Feststellungsklage nicht gegeben seien.

Das Landgericht entsprach dem Klagantrage; das Oberlandesgericht wies die Klage ab. Auf die Revision wurde die Entscheidung des Landgerichts wieder hergestellt.

Gründe

"Darüber, daß die Verwendung der nach dem jüngeren Patente des Beklagten herzustellenden Erzeugnisse zum Zwecke der Wasserreinigung einen Eingriff in das ältere Patent 197111 darstellt, daß also insoweit Abhängigkeit des jüngeren von dem älteren Patente vorliegt, besteht nach der vom Beklagten im gegenwärtigen Rechtsstreit abgegebenen Erklärung, dies nicht bestreiten zu wollen, keine Meinungsverschiedenheit unter den Parteien. Es handelt sich daher nur darum, ob gleichwohl die Voraussetzungen des § 256 ZPO. für die richterliche Feststellung, dieser Abhängigkeit gegenüber dem Beklagten gegeben sind. Der Beklagte ist der Inhaber des jüngeren, als abhängig von dem älteren in Betracht kommenden Patentes, aber auch noch der materielle Eigentümer dieses jüngeren Patentes, da dem v. B. vertraglich nur ein noch nicht ausgeübtes Erwerbsrecht zugesichert ist.

Die Revision vertritt in erster Linie folgenden Standpunkt: Das im § 256 ZPO. erforderte Feststellungsinteresse müsse dem Inhaber eines älteren Patentes - und dem stehe hier die Klägerin als ausschließliche Lizenzinhaberin gleich - gegenüber dem Inhaber eines jüngeren, als abhängig in Anspruch genommenen Patentes grundsätzlich dann zuerkannt werden, wenn wie hier die praktische Ausübung des als abhängig in Anspruch genommenen jüngeren Patentes bevorstehe und schon in die Wege geleitet sei. Es könne dem Inhaber des älteren Patentes nicht zugemutet werden zu warten, bis eine Patentverletzung vorliege. Bei der beschränkten Dauer eines Patentes müsse dem Inhaber des älteren Patentes die Möglichkeit gegeben sein, alsbald die Frage der Abhängigkeit festgestellt zu wissen, und das geeignete Mittel hierzu sei allein die Feststellung der Abhängigkeit gegenüber dem Inhaber des jüngeren Patentes, da sie gemäß § 325 ZPO. die Abhängigkeit umfassend auch gegen Rechtsnachfolger regle. Dieser grundsätzliche Standpunkt entspreche einer vernünftigen Prozeßökonomie, und das hiernach anzuerkennende Feststellungsinteresse könne auch nicht dadurch beseitigt werden, daß der Inhaber des jüngeren Patentes wie hier erklärt habe, die Abhängigkeit nicht bestreiten zu wollen.

Dieser grundsätzliche Standpunkt der Revision ist nicht gerechtfertigt. Was die Revision dafür geltend macht, begründet lediglich, daß der Inhaber des älteren Patentes überhaupt ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Abhängigkeit des jüngeren Patentes habe, und daran ändert auch nichts, daß hier die praktische Ausübung des jüngeren Patentes bevorsteht, was nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge regelmäßig der Fall ist. Das rechtliche Interesse an der Feststellung der Abhängigkeit überhaupt genügt nicht als Voraussetzung des § 256 ZPO. Der Schwerpunkt liegt vielmehr darin, daß das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung anzuerkennen ist, und zwar an alsbaldiger Feststellung gegenüber dem Beklagten. Wie ein Schuldner nicht zu jeder beliebigen Zeit und ohne Grund auf Feststellung der Rechte des Gläubigers, wie auch niemand ohne Grund von einem Eigentümer auf Feststellung seines Eigentums in Anspruch genommen werden kann, sondern dies nur zulässig ist, wenn durch das Verhalten des in Anspruch genommenen Beklagten das Gläubiger- oder Eigentümerrecht gefährdet oder wenigstens die begründete Besorgnis einer Gefährdung gerechtfertigt ist, so kann auch der Inhaber des jüngeren Patentes auf Feststellung der Abhängigkeit nur in Anspruch genommen werden, wenn er die Rechtslage des Inhabers des älteren Patentes - oder des Inhabers der ausschließlichen Lizenz an demselben - durch sein Verhalten gefährdet oder erkennbaren Anlaß zur Besorgnis einer solchen Gefährdung gibt. ...

Mit der Revision mußte aber in Abweichung von der Auffassung des Oberlandesgerichts anerkannt werden, daß diese letztere Voraussetzung im vorliegenden Falle gegenüber dem Beklagten trotz seiner im Prozeß abgegebenen Erklärung, die Abhängigkeit nicht bestreiten zu wollen, vorhanden ist. Es kommt in Betracht, daß durch die ausweichenden Erklärungen des Patentanwalts W., auch wenn er nicht, wie das Oberlandesgericht einwandfrei festgestellt hat, Bevollmächtigter des Beklagten war, die Abhängigkeit der beiden Patente in nicht mißzuverstehender Weise bestritten worden ist. Es liegt kein Grund für die Annahme vor, daß andere Interessenten an der Verwertung des abhängigen Patentes zur Frage der Abhängigkeit eine von der des W. abweichende Stellung einnehmen, wie diese ja auch die des v. B. ist, der zunächst ein Erwerbsrecht an dem Patente behufs Verwertung desselben zugesichert erhalten hat. W. hat die Klägerin ja auch für die Frage der Abhängigkeit auf die "zuständige Stelle", also auf den Prozeßweg, verwiesen. Diese Sachlage war aber dem Beklagten in der Klagschrift dargelegt, also bekannt. Sie ergibt eine erhebliche Gefährdung der Rechtslage der Klägerin in bezug auf das Verhältnis der beiden Patente, was bei der jederzeit bevorstehenden praktischen Ausübung des jüngeren Patentes durch den hinter W. stehenden v. B. und andere von letzterem anzuwerbende Interessenten keiner Begründung bedarf. Diese Gefährdung konnte der Beklagte als Inhaber und zurzeit noch allein Verfügungsberechtigter des jüngeren Patentes mit Wirkung gegen alle Rechtsnachfolger, auch gegen die hinter W. stehenden Interessenten, gemäß § 325 ZPO. leicht dadurch beseitigen, daß er, wenn ihm wirklich daran gelegen war, daß die Abhängigkeit nicht mehr in Zweifel gezogen werden könnte, den Feststellungsanspruch anerkannte und damit ein Urteil gemäß § 307 ZPO. ermöglichte. An der Beseitigung der Gefährdung der Rechtslage der Klägerin war aber offensichtlich dem Beklagten nicht gelegen. Denn dadurch, daß er lediglich erklärte, die Abhängigkeit nicht bestreiten zu wollen, war diese Gefährdung nicht beseitigt, und indem er nur diese Erklärung im Prozeß abgab, im übrigen aber die Abweisung der Klage unter Bestreiten des Feststellungsinteresses erstrebte, ließ er erkennen, daß er die durch W. hervorgerufene Unsicherheit der Rechtslage der beiden Patente auch seinerseits unterstützte. Die Sache liegt also so, daß auch der Beklagte selbst durch sein Verhalten gegenüber der Klage die Rechtslage der Klägerin noch weiter gefährdet, und mit Rücksicht hierauf mußte das Interesse der Klägerin an der alsbaldigen Feststellung der Abhängigkeit auch gegenüber dem Beklagten anerkannt werden." ...