RG, 16.04.1919 - IV 58/19

Daten
Fall: 
Zulässigkeit der bedingten Einsetzung eines Nacherben
Fundstellen: 
RGZ 95, 278
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.04.1919
Aktenzeichen: 
IV 58/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hannover
  • OLG Celle

Ist es trotz der Vorschrift in § 2065 BGB. zulässig, einen Nacherben unter der aufschiebenden oder auflösenden Bedingung einzusetzen, daß der Vorerbe nicht anders über den Nachlaß verfügt, und dem Nacherben unter einer solchen Bedingung Vermächtnisse aufzuerlegen?

Tatbestand

In seinem am 14. Februar 1906 errichteten Testament ernannte F. L. seine Frau zur Vorerbin und unter der Voraussetzung, daß diese nicht eine anderweite letztwillige Verfügung treffe, seine Nichte E. L. zur Nacherbin. Er befreite die Vorerbin in dem höchsten zulässigen Umfange von den Beschränkungen und Verpflichtungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, erklärte sie zur freien Verfügung über die Erbschaft für berechtigt und fügte hinzu, sie solle auch befugt sein, durch letztwillige Verfügung über die Erbschaft anders, als in diesem Testamente geschehen sei, zu verfügen oder Zusätze zu dem Testament zu machen. Der Nacherbin legte er für den Fall, daß sie zur Nacherbfolge gelange, die Verpflichtung auf, Neffen und Nichten von ihm sowie Geschwisterkindern und Geschwisterenkeln der Frau je 10000 M als Vermächtnis auszuzahlen.

Nach seinem und der Vorerbin Tode kam es zwischen den Parteien wegen der Erbschaftssteuer zum Prozeß, in dem das Oberlandesgericht ein dem Beklagten ungünstiges Urteil erließ. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Das Oberlandesgericht erörtert zunächst die Frage, ob es etwa gegen die Vorschrift in § 2065 BGB. verstieß, wenn der Ehemann L. seine Nichte E. L. unter der Voraussetzung zu seiner Nacherbin ernannte, daß seine als Vorerbin eingesetzte Frau nicht eine anderweite letztwillige Verfügung errichte, und wenn er weiter bestimmte, die Frau solle berechtigt sein, durch letztwillige Verfügung über die Erbschaft anders, als in diesem Testamente geschehen sei, zu verfügen oder Zusätze zu diesem Testamente zu machen. Wäre die Frage zu bejahen, so ... würden die Anordnungen des Ehemannes L. der Rechtswirtsamkeit entbehren. Das Oberlandesgericht verneint aber die Frage ... und hält die getroffene Regelung der Nachfolge in das Vermögen für zulässig. Sie widerspreche, so sagt es, dem § 2065 nach dem Grundgedanken, dem diese Vorschrift dienen solle, nicht, sondern mache die Verfügung des Erblassers insoweit zulässigerweise von der auflösenden Bedingung einer anderweiten Verfügung durch Testament der Vorerbin abhängig.

Die Annahme des Oberlandesgerichts, daß F. L. seine Nichte unter einer auflösenden Bedingung zur Nacherbin eingesetzt habe, nennt die Revision unmöglich, die der überlebenden Ehefrau beigelegte Befugnis zur letztwilligen Verfügung über den Nachlaß erscheint ihr mit deren Stellung als Vorerbin unvereinbar. Sie folgert daraus, daß die Witwe als Vollerbin anzusehen sei; höchstens, meint sie, könne die Nichte als unter einer aufschiebenden Bedingung von ihrem Onkel zur Nacherbin berufen gelten.

Die Rüge ist unbegründet. Daß es trotz der Vorschrift in § 2065 (über dessen Sinn und Bedeutung vgl. Motive Bd. 5 S. 30, 35, 41 und Protokolle Bd. 5 S. 15 flg.. insbes. S. 19) zulässig ist, einen Nacherben unter der - sei es aufschiebenden, sei es auflösenden - Bedingung einzusetzen, daß der Vorerbe nicht anders über den Nachlaß verfüge, hat der erkennende Senat nicht nur in dem vom Oberlandesgericht angeführten Urteile Jur. Wochenschr. 1910 S. 820 Nr. 42, sondern auch in dem gerade den Fall einer auflösenden Bedingung behandelnden Urteile vom 13. Dezember 1915 IV 255/15 ausgesprochen. Der Ansicht des Senats hat sich das Bayerische Oberste Landesgericht angeschlossen (Sammlung von Entsch. Bd. 17 Abt. A. S. 18); sie wird auch in der Rechtslehre meist vertreten. Ihr steht das Urteil des VII. Zivilsenats vom 10. Januar 1919 VII 301/1918, auf das sich die Revision beruft, nicht entgegen. Dort ist lediglich gesagt, es werde nur unter besonderen Umständen Raum für die Auffassung sein, daß die Anordnung einer Nacherbschaft vorliege, die unter die Bedingung gestellt sei: wenn der Vorerbe eine Verfügung von Todes wegen unterlasse. Die rechtliche Möglichkeit einer solchen Anordnung ist also auch dort anerkannt. Eher könnte die Revision das Urteil RGZ. Bd. 79 S. 32 für ihre Ansicht ins Feld führen. Der damals entschiedene Fall lag aber immerhin anders als der jetzt zu entscheidende. Wie es sich damit indes auch verhalten möge, jedenfalls ist an dem in den Urteilen vom 16. Juni 1910 und 13. Dezember 1915 ausgesprochenen Grundsatze festzuhalten. Hat der Vorerbe die Befugnis, die Berufung des Nacherben durch letztwillige Verfügung in Wegfall zu bringen, so bleibt allerdings bis zum Tode des Vorerben bei einer aufschiebenden Bedingung zweifelhaft, ob der Nacherbe dereinst wirklich zur Nacherbschaft gelangt oder nicht, und bei einer auflösenden Bedingung ungewiß, ob er Nacherbe bleibt oder nicht. Allein eine solche Ungewißheit ist bei bedingten letztwilligen Zuwendungen regelmäßig vorhanden. Trotzdem läßt das Gesetz die Einsetzung auch des Nacherben unter einer aufschiebenden Bedingung sogar ausdrücklich zu (§ 2108 Abs. 2 Satz 2); ebensowenig ist an der Zulässigkeit der Einsetzung auch des Nacherben unter einer auflösenden Bedingung zu zweifeln (vgl. § 2075). Dadurch allein, daß dem Vorerben vom Erblasser die Befugnis beigelegt ist, die Berufung des Nacherben durch letztwillige Verfügung zu beseitigen, wird er noch nicht zum Vollerben. Er bleibt vielmehr durch die angeordnete Nacherbschaft so lange in seinem Erbrechte beschränkt, als nicht mit seinem Ableben gewiß wird, daß er eine die Nacherbschaft beseitigende Verfügung von Todes wegen getroffen hat. Auch das ist in den Senatsurteilen vom 16. Juni 1910 und 13. Dezember 1915 bereits ausgesprochen. Ist es hiernach trotz der Vorschrift in § 2065 zulässig, einen Nacherben auch unter der auflösenden Bedingung einzusetzen, daß der Vorerbe nicht anders über den Nachlaß verfügt, so kann für die Anordnung von Vermächtnissen, die dem Nacherben unter einer derartigen Bedingung auferlegt sind, nichts anderes gelten. Im Streitfall ist es übrigens, wenn die Vorerbin keine anderweite letztwillige Verfügung getroffen hat, im Ergebnis gleichgültig, ob man die Bedingung als auflösende oder als aufschiebende ansieht." ...