RG, 11.04.1919 - VII 68/19

Daten
Fall: 
Zahnärzte als Gewerbetreibende
Fundstellen: 
RGZ 95, 322
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.04.1919
Aktenzeichen: 
VII 68/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Magdeburg
  • OLG Naumburg

1. Sind Zahnärzte, soweit es sich um die von ihnen bewirkten Lieferungen künstlicher Zahnersatzstücke handelt, als Gewerbetreibende im Sinne des § 76 RStempG. in der Fassung vom 26. Juni 1916 anzusehen?
2. Unterliegen die Einnahmen der Zahnärzte für solche Lieferungen dem Warenumsatzstempel der Tarifnr. 10 des genannten Gesetzes?

Tatbestand

Der Beklagte hat vom Kläger wegen seiner Einnahmen für künstliche Zahnersatzstücke für die Zeit vom 1. Oktober bis Ende Dezember 1916 einen Warenumsatzstempel von 8,70 M eingezogen. Mit der Klage wird die Rückzahlung der Abgabe verlangt. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht erkannte dem Klagantrag entsprechend. Auf die Revision des Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Entscheidung des Landgerichts wiederhergestellt aus folgenden Gründen:

Gründe

"Den Gegenstand des der Steuerforderung des Beklagten zugrunde liegenden Warenumsatzstempels der Tarifnr. 10 RStempG., Fassung vom 26. Juni 1916, bilden die für Warenlieferungen der Gewerbetreibenden als Gegenleistung erlangten Zahlungen. Die Parteien streiten in erster Reihe darüber, ob der Kläger im Streitfalle die an Zahnleidende abgegebenen künstlichen Zahnersatzstücke (Zahngebisse, Einzelzähne u. dgl.) im Betrieb eines Gewerbes im Sinne des § 76 das. geliefert hat. Die Gewerbeordnung bezeichnet die Zahnärzte als Gewerbetreibende (§ 29 Abs. 1, 3, 5 und § 147 Abs. 1 Nr. 3; vgl. RGZ. Bd. 66 S. 139, 143), bestimmt aber in § 6 allgemein, also auch für Zahnärzte, daß die Gewerbeordnung "auf die Ausübung der Heilkunde" keine Anwendung findet. Die Unanwendbarkeit dieses Gesetzes, das im wesentlichen gewerbepolizeiliche Zwecke verfolgt, schließt aber nicht die Anwendung der Steuervorschriften des Reichsstempelgesetzes aus. Diesem liegt, soweit es sich um den Warenumsatzstempel handelt, ein selbständig bestimmter Begriff des Gewerbebetriebs zugrunde. Er beschränkt sich nicht auf die Erweiterung des Kreises der der Gewerbeordnung unterworfenen Wirtschaftszweige (§76 Abs. 2 S. 1 RStempG.). sondern ändert auch, wie die Entstehungsgeschichte der Tarifnr. 10 und der § 76 Abs. 2 S. 3 RStempG. ergeben, den Begriff des Gewerbebetriebs gegenüber der Gewerbeordnung und abweichend von dem auch sonst üblichen Sprachgebrauche dahin ab, daß zur Annahme eines Gewerbebetriebs im Sinne des § 76 "eine auf Erzielung von Einnahmen aus Warenumsätzen gerichtete geschäftliche Tätigkeit" ausreicht, auch wenn diese Tätigkeit nicht auf Erzielung von Gewinn abgestellt ist. Des Näheren ist dies in dem Urteile des erkennenden Senats vom 19. November 1918 (RGZ. Bd. 94 S. 209) dargelegt. Die vorstehende Begriffsbestimmung des Gewerbebetriebs im Sinne der Tarifnr. 10 trifft auf die Berufstätigkeit der Ärzte, insbesondere auch der Zahnärzte, zu. Wenn in anderen, nicht das Steuerrecht betreffenden Urteilen des Reichsgerichts davon ausgegangen wird, Ärzte und Zahnärzte seien nicht als Gewerbetreibende im gewöhnlichen Sinne des Wortes und im Sinne der Gewerbeordnung anzusehen, weil diese Personen ihren Beruf nicht als reine Erwerbstätigkeit, sondern auch zur Förderung des allgemeinen Wohles zu betreiben und öffentlichrechtliche Pflichten zu wahren haben, so entfällt dieser Grund für die Entscheidung der vorliegenden Steuerfrage schon deshalb, weil hier von dem Erfordernis einer Erwerbsabsicht gänzlich abgesehen wird. Der Umstand, daß der Arzt seinen Beruf auch im öffentlichen Interesse und auf Grund vorhergegangener wissenschaftlicher Ausbildung ausübt, begründet an sich ebensowenig eine Freiheit von der Abgabenpflicht als bei dem zur Versteuerung seines Diensteinkommens herangezogenen höheren Staatsbeamten.

Ist hiernach an der Anwendbarkeit des § 76 RStempG. nicht zu zweifeln, so bleibt zu erörtern, ob im übrigen die Erfordernisse der Tarifnr. 10 hier gegeben sind. Ob im Streitfalle schon der Zus. Nr. 2 der Tarifnummer zutrifft, wonach alle entgeltlichen Warenlieferungen der Abgabe unterliegen, bedarf nicht der Erörterung, denn jedenfalls ist die Steuerpflicht aus dem Zus. Nr. 3 der Tarifnummer begründet. Danach stehen den Warenlieferungen Lieferungen aus Werkverträgen gleich, wenn der Unternehmer das Werk aus seinerseits zu beschaffenden Stoffen herzustellen verpflichtet ist und es sich hierbei nicht bloß um Zutaten oder Nebensachen handelt. Derartige Lieferungen beweglicher Sachen haben die Natur der sogenannten Werklieferungen im Sinne des § 651 BGB. und sie unterliegen im wesentlichen den Vorschriften über den Werkvertrag, wenn die vom Unternehmer herzustellende Sache eine nicht vertretbare ist (Abs. 1 das.). Daß diese Bedingung bei der Herstellung und Lieferung von Zahngebissen sowie zur Schließung von Lücken bestimmten künstlichen Einzelzähnen u. dgl. zutrifft, ist nicht zu zweifeln. Die Größe, Gestalt und sonstige Beschaffenheit des künstlichen Gebisses, die Größe, Gestalt, Farbe und der Stoff der Einzelzähne sind in jedem Einzelfalle dem vorhandenen Bedürfnis besonders anzupassen. Der Zahnarzt, der die Lieferung (Einpassung und Einsetzung) des Zahnersatzstücks übernimmt, ist verpflichtet, das Werk selbst oder durch einen anderen (Zahntechniker) aus von ihm zu beschaffenden Stoffen herzustellen, dem Besteller die hergestellte Sache zu übergeben und ihm das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Er ist verpflichtet, das Werk so herzustellen, daß es die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem vertragsmäßigen Gebrauche aufheben oder mindern, auch etwaige Fehler zu beseitigen (§ 651 Abs. 1 und § 633). Der Abs. 2 des § 651, wonach nicht ein Werklieferungsvertrag, sondern ein reiner Werkvertrag anzunehmen ist, wenn der Unternehmer nur zur Beschaffung von Zutaten und sonstigen Nebensachen sich verpflichtet hat, scheidet hier aus. Zwar ist für die zweckmäßige Herstellung, Einpassung und Einsetzung der Zahnersatzstücke eine besondere Sachkunde und Erfahrung notwendig, das hat aber nicht zur Folge, daß dieser Leistung des Zahnarztes gegenüber die Zahnersatzstücke als bloße Zutaten oder Nebensachen anzusehen seien. Es handelt sich bei dieser Leistung des Zahnarztes weniger um eine Ausübung der Heilkunde, als um eine gegenüber künftigen Erkrankungen und sonstigen körperlichen Störungen zur Vorbeugung vorgenommene Ersetzung abgegangener, für die Aufrechterhaltung der Gesundheit schwer entbehrlicher Körperteile, die gerade regelmäßig voraussetzt, daß die bei der Einsetzung der künstlichen Ersatzstücke in Anspruch genommenen natürlichen Teile des Mundes frei von Krankheitserscheinungen sind. Die heilende Tätigkeit des Zahnarztes tritt hierbei in ihrer Bedeutung zurück gegenüber der technischen Seite der Leistung, die unter Umständen auch von einem geschickten und erfahrenen Zahntechniker vorgenommen werden kann. Ob die Lieferung von Füllmasse bei Zahnplombierungen (vgl. Nr. IV der Auslegungsgrundsätze des Bundesrats vom 23. Oktober 1916, RZBl. 1916 S. 383) stets als Lieferung bloßer Zutaten anzusehen sei, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn das Füllen noch vorhandener natürlicher Zähne kann als Lieferung künstlicher Zahnersatzstücke, um die allein es sich im jetzigen Rechtsstreite handelt, nicht angesehen werden. Die vorstehenden Ausführungen stehen nirgends in Widerspruch mit dem die Anwendung der Tarifnr. 10 Zus. 3 ablehnenden Urteile des erkennenden Senats vom 12. November 1918 (RGZ. Bd. 94 S. 126), bei dem es sich nicht um die Lieferung beweglicher Sachen, sondern um die Ausführung von Bauten aus eigenen Rohstoffen auf fremdem Grund und Boden handelt. War hiernach der Anspruch des Beklagten auf die ihrer Höhe nach unbestrittene Abgabe begründet, so mußte das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil, wie geschehen, wiederhergestellt werden."