RG, 13.03.1919 - VI 357/14

Daten
Fall: 
Auslegung des § 7 Abs. 3 des Kraftfahrzeuggesetzes
Fundstellen: 
RGZ 95, 185
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.03.1919
Aktenzeichen: 
VI 357/14
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I München
  • OLG München

Zur Auslegung des § 7 Abs. 3 des Kraftfahrzeuggesetzes vom 3. Mai 1909.

Tatbestend

Am 24. September 1912 fuhr der Kraftwagenführer N. des Beklagten mit dessen Kraftwagen wegen einer Reparatur zu einem Münchener Handwerksmann. Nach Erledigung der Reparatur holte er mit dem Kraftwagen in einer Wirtschaft einige Bekannte ab und fuhr mit ihnen nach der Oktoberfestwiese. Bei der Rückfahrt von da zur Stadt bremste N. den Wagen wegen eines Radfahrers, der vor ihm die Straße querte, so daß der Wagen ins Schleudern geriet und hinten nach rechts gerissen wurde. Dadurch wurde der Kläger, der hinten rechts am Kraftwagen in der gleichen Richtung auf einem Fahrrade fuhr, vom Rade und auf die Straße geworfen. Wegen der ihm hierdurch verursachten Verletzungen nahm der Kläger den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht stellte fest, daß der Beklagte den dem Kläger durch den Unfall entstandenen Vermögensschaden zu ersetzen habe. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen, ebenso seine Revision, letztere aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Die Revision bezeichnet als verletzt den Abs. 3 des § 7 KFG., wonach dann, wenn das Fahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters von einem anderen in Betrieb gesetzt wird, dieser anstelle des Halters zum Schadensersatze verpflichtet ist.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats stellt eine Abweichung von dem vorgeschriebenen oder durch den Auftrag von selbst gegebenen Wege, die der Kraftwagenführer nach der vom Halter gewollten oder jedenfalls nicht gegen dessen Willen erfolgten Inbetriebsetzung des Fahrzeugs eintreten läßt, eine neue Inbetriebsetzung an sich nicht dar; vielmehr handelt es sich hierbei nur um eine Fortsetzung und Ausdehnung derselben Betriebstätigkeit des Wagens außerhalb der vorgeschriebenen Weglinie. Hieran wird auch dadurch nichts geändert, daß die Betriebstätigkeit, etwa durch den Aufenthalt des Fahrzeuglenkers in Wirtschaften oder zu Geschäfts- und Privatbesuchen, Unterbrechungen erfährt, es sei denn, daß die Unterbrechung eine vollständige Inruhesetzung des Fahrzeugs, eine Beendigung der Reise bedeuten würde. Ob letzteres zutrifft, entscheidet sich nach den Umständen des einzelnen Falles; feste, allgemein gültige Grundsätze lassen sich darüber, unter welchen Voraussetzungen die Fahrtunterbrechung eine völlige Inruhesetzung des Fahrzeugs und die Wiederaufnahme der Fahrt eine neue Inbetriebsetzung bedeute, nicht aufstellen. Keinenfalls ergibt sich die völlige Inruhesetzung des Fahrzeugs in dem soeben erwähnten Sinne lediglich daraus, daß der Motor für die Dauer der Unterbrechung abgekurbelt ist; ebensowenig ist entscheidend, ob die Wartezeit sich nur auf wenige Minuten oder auf Stunden erstreckt. Die Befreiung des Fahrzeughalters von der Haftung auf Grund des § 7 Abs. 3 tritt nicht bei einer Abweichung des Lenkers vom Willen des Halters überhaupt, sondern nur dann ein, wenn die Inbetriebsetzung des Kraftfahrzeugs, die Unternehmung der Fahrt ohne Wissen und Willen des Halters, gegen dessen Willen erfolgt ist.

Von diesen insbesondere in den Entscheidungen RGZ. Bd. 77 S. 348 und Seufferts Arch. Bd. 69 Nr. 174 ausgesprochenen Grundsätzen abzugehen, hat der Senat keinen Anlaß. Ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall führt zu dem Ergebnis, daß von dem Beginne der Fahrt zum Sattler bis zum Eintritt des Unfalls des Klägers eine weitere, neue Inbetriebsetzung des Fahrzeugs nicht stattgefunden hat. Der Kraftwagen war während der verschiedenen Fahrtunterbrechungen - beim Sattler, bei der Abholung der Bekannten zur Festwiese und auf der Festwiese - nicht ganz außer Tätigkeit gestellt, nicht in den Zustand völliger Betriebsruhe zurückversetzt, mochte der einzelne Aufenthalt kürzere oder längere Zeit gedauert haben und der Motor beim Halten jeweils abgestellt gewesen sein oder nicht. Das Fahrtunternehmen, das mit der Inbetriebsetzung des Wagens für die Fahrt zum Sattler begonnen hatte, war auch nach Erreichung der Oktoberfestwiese noch nicht beendigt, ebensowenig bei der Rückfahrt zur Stadt, als der Unfall sich ereignete.

Die Inbetriebsetzung geschah, wie das Berufungsgericht feststellt, mit dem Willen des Beklagten; denn dieser hatte - so heißt es im Urteile - nichts dagegen einzuwenden und war stillschweigend damit einverstanden, daß N. mit dem Kraftwagen die Fahrt zum Sattler zum Zwecke der Reparatur unternahm. Die Fahrt auf die Festwiese mit seinen Bekannten hat N. dagegen nach der Feststellung des Berufungsgerichts wider den Willen des Beklagten gemacht. Die Sache liegt hiernach, da die Reparatur beim Sattler wirklich erledigt wurde, keinenfalls so, daß der Wagenführer einen erlaubten Zweck nur als Vorwand benützt hätte, um das Fahrzeug von Anfang an zu einem anderen Zwecke in Betrieb setzen und verwenden zu können. Auf diese Gestaltung braucht daher nicht eingegangen zu werden, hier erfolgte die Inbetriebsetzung und die Ausführung der Fahrt in ihrem ersten Teile zu einem erlaubten Zwecke und erst die Fortsetzung verstieß gegen den Willen des Fahrzeughalters. Diese Auffassung versucht die Revision durch den Hinweis darauf zu erschüttern, daß die ganze damals unternommene Fahrt eine Einheit darstelle und das Einverständnis des Beklagten mit dieser Fahrt im ganzen nicht angenommen werden könne, weil N. das Fahrzeug nicht nur zu der Fahrt zum Sattler, sondern auch zu dem weiteren, unerlaubten Zwecke, der Fahrt nach der Oktoberfestwiese, in Betrieb gesetzt habe. Dem Angriff ist jedoch der Erfolg zu versagen. Es wäre Sache des Beklagten gewesen, eine derartige Behauptung in den früheren Instanzen aufzustellen und Beweis dafür anzutreten. Dies ist aber nach dem Tatbestande des Berufungsurteils nicht geschehen, und auch in den Schriftsätzen des Beklagten ist ein solches Vorbringen nicht enthalten. Im gegenwärtigen Rechtszuge kann dieses tatsächliche Vorbringen nicht nachgeholt werden. Im übrigen würde dadurch, daß N. schon bei der Inbetriebsetzung des Wagens neben der Absicht, zwecks Erledigung der Reparatur zum Sattler zu fahren, zur nachherigen Abholung seiner Bekannten und zur Fortsetzung der Fahrt mit dem Ziele der Festwiese entschlossen gewesen sein sollte, an dem oben Erörterten nichts geändert. Denn die Inbetriebsetzung zum Zwecke der Vornahme der Reparatur und die Fahrt zum Sattler geschahen nach wie vor zu erlaubtem Zwecke; das insoweit vorhandene Einverständnis des Fahrzeughalters wurde durch den von der Revision angenommenen inneren Vorgang, das Bestehen der erwähnten weiteren Absicht bei N., nicht aufgehoben." ...