RG, 11.03.1919 - III 408/18

Daten
Fall: 
Rechnungsstelle eines Postscheckamtes
Fundstellen: 
RGZ 95, 131
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.03.1919
Aktenzeichen: 
III 408/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Hamburg
  • Oberlandesgericht Hamburg

Gehört ein in der Rechnungsstelle eines Postscheckamtes tätiger Postbeamter zu den Beamten, die in einem reichsgesetzlich der Unfallversicherung unterliegenden Betriebe beschäftigt sind?

Tatbestand

Die Klägerin, die als Angestellte des Postscheckamts in Hamburg im Reichspostdienste stand, fiel am 26. Oktober 1912 im Dienstsaal, als sie zu einer Wendeltreppe ging, um die Garderobe aufzusuchen, und verletzte sich erheblich. Sie führte den Unfall auf die Glätte des Bodens zurück und verlangte unter Berufung auf den Grundsatz des § 618 BGB. Schadensersatz. Ihre Klage ging auf Erstattung der bisherigen Kosten von 436,50 M und auf Feststellung der Ersatzpflicht im übrigen.

Die erste Instanz gab durch Teilurteil dem Feststellungsantrag statt. Nachdem ein die Klage abweisendes Berufungsurteil durch Urteil des erkennenden Senats vom 27. Februar 1917 aufgehoben worden war, wies das Berufungsgericht in dem jetzt angefochtenen Urteil einem neuen Einwande des Beklagten entsprechend den Feststellungsanspruch aus dem Grunde ab, weil die Klägerin infolge ihrer Beschäftigung im Postscheckamt im Sinne des Unfallfürsorgegesetzes vom 18. Juni 1901 zu den Beamten gehört habe, die in reichsgesetzlich der Unfallversicherung unterliegenden Betrieben beschäftigt sind, daher andere als die in diesem Gesetze (vgl. §§ 10, 12) zugelassenen Ansprüche gegen das Reich nicht geltend machen könne.

Auf die Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

... "Nicht beizutreten ist dem Berufungsgericht in der Annahme, daß die Klägerin unter das Unfallfürsorgegesetz falle, d. h. in einem reichsgesetzlich der Unfallversicherung unterliegenden Betriebe beschäftigt gewesen sei. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Klägerin in der sogenannten Rechnungsstelle des Postscheckamts tätig, die mit dem Schalterverkehr nichts zu tun hat, vielmehr nur der Bearbeitung der eingegangenen Zahlkarten und Scheckaufträge dient und im wesentlichen die Schlußprüfung und Schlußarbeit an sämtlichen aus dem Postscheckverkehr herrührenden Zahlkarten, Zahlanweisungen, Schecken und Überweisungen besorgt. Nun unterliegt allerdings nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GewUVG. (ebenso § 537 RVO.) der gesamte Betrieb der Post-, Telegraphen- und Eisenbahnverwaltungen der Unfallversicherung. Damit ist ausgedrückt, daß alle Ausflüsse des Betriebs der Versicherung unterliegen sollen, und es ist auch gerechtfertigt, zugunsten der in Frage kommenden Arbeiter- und Betriebsbeamten eine möglichst weite Auslegung des Begriffs Platz greifen zu lassen. Immerhin aber muß es sich auch hier um den technischen Betrieb handeln. Der kaüfmännische Teil, der vielfach, wenn auch nicht immer, mit dem Bureaubetrieb zusammenfällt, unterliegt nicht der Versicherung. Danach muß schon als fraglich bezeichnet werden, ob der Schalterdienst der Postbeamten in den Bereich der Unfallversicherung fällt. Zuweilen (vgl. Reindl, Bayer. Beamtengesetz Art. 89 Anm. 3a) wird der Schalterdienst allgemein zum Betriebe gerechnet. Das Reichsversicherungsamt (vgl. Handbuch d. Unf.-Vers. Bd. 1 Anm. 95 zu § 1 GewUVG.; ebenso zu § 537 RVO. Stier-Somlo Anm. 31, Düttmann Anm. 28, Roesle-Rabeling Anm. 35) steht nicht auf diesem Standpunkt. Es zählt, wie das Bureaupersonal überhaupt, so auch die Angestellten am Schalter nicht zu den unter das Gesetz fallenden Personen und hat sogar den Fahrkartenverkauf bei der Eisenbahn nur ausnahmsweise da zum technischen Betriebe gerechnet, wo besondere örtliche Verhältnisse einen engeren Zusammenhang mit den der Personenbeförderung dienenden Verkehrseinrichtungen begründeten (Amtl. Nachr. 1906 S. 635 Nr. 2171). Der erkennende Senat hat weitergehend in RGZ. Bd. 63 S. 124 den Schalterdienst bei der Fahrkartenausgabe zum Betriebe der Eisenbahnverwaltung gerechnet, dabei aber darauf hingewiesen, daß bei der Eisenbahn vermöge der Eile, mit der die Fahrkartenausgabe geschehen müsse, und vermöge der Unruhe und Aufregung, die sich leicht vom Publikum auf den Schalterbeamten übertrage, der Dienst des Schalterbeamten besonderen Gefahren ausgesetzt sei, und anerkannt, daß die Verhältnisse bei der Post nicht gleichliegen.

Es bedarf indessen nicht der Entscheidung, ob der Schalterdienst der Post in den Bereich der Unfallversicherung fällt. Denn jedenfalls muß der Betrieb der Rechnungsstelle, in der die Klägerin, vom Schalterdienst völlig getrennt, in rein kaufmännischer, bureaumäßiger Art sich zu betätigen hatte, ausscheiden. Die Tätigkeit der Klägerin unterschied sich nicht von der eines Bankangestellten, und einen Betrieb dieser Art der Unfallversicherung zu unterstellen, liegt nicht im Sinne des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes. Setzt die Anwendbarkeit dieses Gesetzes auch nicht voraus, daß der Arbeiter oder Betriebsbeamte besonderen, dem Betriebe eigentümlichen Gefahren ausgesetzt ist, so beruht doch die Einbeziehung der im Gesetz erwähnten Betriebe auf dem Gedanken, daß bei ihnen mit solchen Gefahren regelmäßig zu rechnen sei. Davon kann unter Umständen beim Schalterbetriebe, nicht dagegen bei dem bureaumäßig-kaufmännischen Betriebe der Rechnungsstelle eines Postscheckamts die Rede sein. Der Einbeziehung dieses Betriebes unter die Unfallversicherung fehlt daher auch jede innere Berechtigung. Wenn das Berufungsgericht es für zweifellos erklärt, daß zu dem Betriebe der Postverwaltung auch der Betrieb der Postscheckämter gehöre, so übersieht es, daß Betrieb im Sinne des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes nur der technische Betrieb ist, und daß demgemäß nicht jeder im Dienste der Post tätige Arbeiter oder Beamte, sondern nur der im technischen Betriebe beschäftigte der Versicherung unterliegt. Der Betrieb der Postscheckämter aber ist wesentlich kaufmännischer, nicht technischer Art. Aus diesem Grunde kann auch die Erwägung des Berufungsgerichts, man könne doch nicht zwischen Unfällen eines an der Schalterstelle des Postscheckamts und solchen eines an der Rechnungsstelle tätigen Beamten unterscheiden, nicht zu einem abweichenden Ergebnis führen. Bei der vorwiegend kaufmännischen Art des Betriebes ließe sich damit eher die Annahme begründen, daß der ganze Postscheckdienst, einschließlich des Schalterdienstes, von der Versicherung auszuschließen sei. Für die Auffassung des Berufungsgerichts läßt sich endlich auch nicht die Entscheidung des erkennenden Senats in RGZ. Bd. 81 S. 55 heranziehen. Es handelte sich dort um den Bureaudiener einer Eisenbahnbetriebsinspektion, und die Erstreckung der Unfallfürsorge nach dem preußischen Gesetze vom 2. Juni 1902 auf ihn war daraus abgeleitet worden, daß die Betriebsinspektion dem technischen Bereiche der Eisenbahnverwaltung zuzurechnen sei, der Diener einer Betriebsinspektion also dem nämlichen Bereiche angehöre. Hier aber liegt weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Zugehörigkeit zum technischen Betriebe der Postverwaltung vor.

Es muß also grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß ein in der Rechnungsstelle eines Postscheckamts tätiger Postbeamter nicht zu den Beamten gehört, die in einem reichsgesetzlich der Unfallversicherung unterliegenden Betriebe beschäftigt sind. Mit dieser Auffassung stimmt auch der Standpunkt überein, den die Postverwaltung selbst in Abschnitt X 2 § 41 der Allgemeinen Dienstanweisung dahin eingenommen hat, daß auf Personen, die nur mit Bureauarbeiten beschäftigt werden, das Unfallfürsorgegesetz nicht anwendbar sei. Damit entfällt im vorliegenden Falle die Anwendbarkeit des Unfallfürsorgegesetzes. Der von der Klägerin erhobene Schadensersatzanspruch wird daher durch dieses Gesetz nicht ausgeschlossen."