RG, 22.02.1919 - I 256/18

Daten
Fall: 
Bestimmung der Verjährungsfristen eines Frachtzuschlags
Fundstellen: 
RGZ 95, 33
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.02.1919
Aktenzeichen: 
I 256/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Bautzen
  • OLG Dresden

Finden die Bekanntmachungen vom 22. Dezember 1914 (RGBl. S. 543), 4. November 1915 (RGBl. S. 732) und 28. Oktober 1916 (RGBl. S. 1198) über die Verjährungsfristen Anwendung auf die in Art. 7 des Internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890 (RGBl. 1892 S.793) geregelte Verjährung des Frachtzuschlags?

Tatbestand

Ende 1913 und Anfang 1914 ließ die Beklagte von italienischen Abgangsstationen an ihre Zweigniederlassung in Ebersbach in Sachsen in Ballen verpackte Ware im Gesamtgewicht von 37720 kg auf Grund internationaler Frachtbriefe durch die Eisenbahn befördern. Die Ware war als "Wergabfälle" deklariert. Nach Ankunft der Ware bezahlte sie die nach der Deklaration "Wergabfälle" berechnete Fracht am 6. April 1914 und erhielt die Ware ausgehändigt. Im März 1917 erhob der Kläger Klage auf Zahlung des Frachtzuschlags gemäß Art. 7 IntFrachtÜb. zu einem Teilbetrage von 5000 M nebst Zinsen mit der Begründung, daß die Deklaration "Wergabfälle" unrichtig gewesen sei. Gegenüber der Einrede der Verjährung behauptete er, durch die in der Überschrift genannten Bundesratsverordnungen sei die Verjährungsfrist des Art. 7 fortlaufend jedesmal bis zum Schluß der Jahre 1913, 1916, 1917 verlängert worden.

Beide Vorinstanzen wiesen die Klage wegen Verjährung ab. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Nach Art. 7 Abs. 6 IntFrachtÜb. verjährt der Anspruch auf Zahlung des Frachtzuschlags in einem Jahre. Die Verjährung beginnt mit dem Tage der Zahlung der Fracht oder der Auslieferung der Güter, würde also, da die Fracht unstreitig bis 6. April 1914 nach Ankunft der Güter in Ebersbach gezahlt ist, am 6. April 1915 eingetreten sein. Die Klage auf Zahlung des Frachtzuschlags wurde erst im März 1917 erhoben. Der Kläger ist indes der Ansicht, daß die Verjährungsfrist durch die im Tatbestände erwähnten Bekanntmachungen bis zum Schluß des Jahres 1917 verlängert worden sei. Diese Auffassung ist vom Oberlandesgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht mit Recht für unzutreffend erachtet worden.

Nach der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1914 sollten die in den §§ 196, 197 BGB. bezeichneten Ansprüche, die noch nicht verjährt waren, nicht vor Schluß des Jahres 1915 verjähren. Die Bekanntmachung vom 4. November 1915 bestimmte, daß die in den §§ 196,197 bezeichneten, am 22. Dezember 1914 noch nicht verjährten Ansprüche nicht vor Schluß des Jahres 1916 verjährten und daß dies auch insoweit gelte, als für die Ansprüche die Verjährungsfrist durch andere reichsgesetzliche Vorschriften als die §§ 196, 197 geregelt sei. Die Bekanntmachung vom 26. Oktober 1916 erstreckte sodann den Ablauf der Verjährungsfrist für diese vorbedachten Ansprüche, soweit sie nicht verjährt waren, auf ein weiteres Jahr bis zum Schluß des Jahres 1917. Wie die Begründung zu der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1914 ergibt, war Sinn und Zweck derselben, eine Anhäufung der Klagen zwecks Unterbrechung der Verjährung für den Schluß des in Betracht kommenden Jahres 1914 bei den Ansprüchen der §§ 196, 197 BGB., deren Verjährungsfristen sämtlich am Schluß eines Jahres ablaufen, zu vermeiden. Diesem Sinn und Zweck entspricht auch der Wortlaut der Bekanntmachung insofern, als danach auch wieder die Verjährungfrist auf den Schluß des folgenden Jahres erstreckt wird. Es kann danach eine dem Wortlaut und Zweck der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1914 gerecht werdende, ungezwungene Auslegung nur dahin führen, daß diese Bekanntmachung treffen sollte und traf lediglich Ansprüche der in den §§196, 197 BGB. bezeichneten Art, für die der Ablauf der Verjährungsfrist, wie in § 201 BGB., auf den Schluß des Jahres normiert war. Das ist aber bei dem Anspruch auf Frachtzuschlag gemäß Art. 7 IntFrachtÜb. nicht der Fall.

Fiel hiernach der den Gegenstand der Klage bildende Anspruch auf Frachtzuschlag nicht unter die Bekanntmachung vom 22. Dezember 1914, so war er bereits am 6. April 1915 verjährt, und er wurde durch die weiteren Bekanntmachungen vom 4. November 1915 und 26. Oktober 1918 nicht mehr berührt. Der Kläger und Revisionskläger meint aber, daß die Bekanntmachung vom 4. November 1915 authentisch diejenige vom 22. Dezember 1914 dahin interpretiert habe, daß auch der Anspruch auf Frachtzuschlag gemäß Art. 7 IntFrachÜb. unter die letztere falle. Durch die Bestimmung der Bekanntmachung vom 4. November 1915: "Dies gilt auch insoweit, als für die Ansprüche die Verjährungsfrist durch andere reichsgesetzliche Vorschriften als die §§ 196, 197 BGB. geregelt ist", soll diese authentische Interpretation ihren Ausdruck gefunden haben.

Dem kann nicht zugestimmt werden. Es ist nicht anzunehmen, daß eine solche authentische Interpretation, die mit dem Wesen der Verjährung schwer zu vereinbaren wäre, beabsichtigt war. Diese Absicht erhellt auch nicht aus der Fassung der Bekanntmachung vom 4. November 1915, deren in Betracht kommende Bestimmung sich vielmehr ungezwungen dahin auffassen läßt, daß die Heranziehung anderer reichsgesetzlicher Bestimmungen als die der §§ 196, 197 BGB. erst vom Tage des Inkrafttretens der Bekanntmachung vom 4. November 1915 wirksam sein sollte und wurde. Wollte man aber auch dem Kläger und Revisionskläger eine durch die Bekanntmachung vom 4. November 1915 erfolgte authentische Interpretation der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1914 zugeben, so kann ihm keinesfalls darin zugestimmt werden, daß diese die Bedeutung haben sollte und hatte, auch den Anspruch aus Frachtzuschlag gemäß Art. 7 IntFrachtÜb. in die Bekanntmachung vom 22. Dezember 1914 einzubeziehen. Die Begründung zu der Bekanntmachung vom 4. November 1915 ergibt, daß mit der Einbeziehung anderer reichsgesetzlicher Vorschriften als der §§ 196, 197 BGB. auch nur solche Ansprüche der in den letzteren Bestimmungen bezeichneten Art getroffen werden sollten, bei denen die Verjährungsfrist am Schlusse des Jahres ablief. Dies ergeben klar die in der Begründung angeführten Beispiele der §§ 901, 902 HGB. und des §117 BinnenschG.

Von allem diesem abgesehen kommt aber noch folgendes in Betracht: Durch das Internationale Eisenbahnfrachtübereinkommen ist für die darin geregelten Rechtsverhältnisse materielle Rechtsgleichheit in allen demselben beigetretenen Staaten geschaffen, wenn auch der Inhalt dieser Regelung Gesetzeskraft nur dadurch für jeden Staat erlangte, daß das Übereinkommen formell in den beigetretenen Staaten zum Gesetz erhoben wurde (RGZ. Bd. 57 S.144. Bd. 67 S.173). Insbesondere ist durch den Art. 7 die Verjährungsfrist, deren Anfang und Ende, geregelt, und diese Regelung materielles einheitliches Recht aller beigetretenen Staaten geworben. Es würde mit Sinn und Zweck dieser einheitlichen Regelung schwer vereinbar sein, wenn ein Vertragsstaat einseitig die einheitlich getroffene Regelung der Verjährungsfrist für den Anspruch auf Frachtzuschlag durch Gesetz ändern wollte, wobei die Frage der formellen Zulässigkeit einer solchen einseitigen Regelung dahin gestellt bleiben kann. Da zwingende Gründe dafür, daß gleichwohl durch die Bekanntmachung vom 4. November 1915 in Verb. mit derjenigen vom 2.2. Dezember 1914 auch die Verjährungsfrist für den Anspruch auf Frachtzuschlag gemäß dem Internationalen Übereinkommen anders als in dessen Art. 7 geregelt werden sollte, nicht ersichtlich, auch in keiner Weise zum zweifelsfreien Ausdruck gelangt sind, erscheint es bei einer ungezwungenen Betrachtung von vornherein ausgeschlossen, daß mit den in der Bekanntmachung vom 4. November 1915 erwähnten "anderen reichsgesetzlichen Vorschriften" auch die "formelle" reichsgesetzliche Vorschrift des Art. 7 getroffen sein könnte. Die Erwägung, daß der Frachtzuschlag immerhin nicht aufhört "Fracht" zu sein (vgl. RGZ. Bd. 64 S. 287). und daß daher der Frachtzuschlaganspruch begrifflich unter § 196 Nr. 3 BGB. gebracht werden kann, tritt hiergegen völlig zurück."