RG, 18.02.1919 - II 355/18

Daten
Fall: 
Gläubigerverzug und Gattungskauf
Fundstellen: 
RGZ 95, 116
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.02.1919
Aktenzeichen: 
II 355/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • Oberlandesgericht Hamburg

1. Ist der beim Gläubigerverzug dem Schuldner nach § 383 BGB. gestattete Verkauf der geschuldeten Sache wirkungslos, wenn er am unrechten Orte erfolgt?
2. Wer hat beim Gattungskaufe den Beweis der Beschaffenheit der Ware zu führen, wenn der Käufer dem Verkäufer gegenüber das Recht der Wandlung geltend macht?
3. Zur Beweiskraft des Bestätigungsschreibens.

Tatbestand

Der Kläger in Hamburg hat von den Beklagten daselbst Dörrgemüse gekauft, das er als mit Mängeln behaftet beanstandet hat. Er hat die Ware, die in Berlin lagerte, den Beklagten zur Verfügung gestellt und sie, nachdem er vergeblich zur Abnahme gemahnt hatte, in Hamburg öffentlich versteigern lassen. Mit der Klage fordert er Rückzahlung des im voraus gezahlten Preises, indem er in erster Linie den Kauf wandelt, hilfsweise das Recht auf Minderung des Preises geltend macht.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil die nach § 383 BGB. zu beurteilende Versteigerung der Ware nicht rechtmäßig, nämlich nicht am vorgeschriebenen Orte erfolgt sei und der Kläger den Beweis der Mangelhaftigkeit der Ware nicht geführt habe. Auf die Revision wurde das Urteil aufgehoben aus folgenden Gründen.

Gründe

... "Das vom Kläger in erster Linie geltend gemachte Recht, den Kauf zu wandeln, hat ihm der Vorderrichter deshalb versagt, weil er sich durch den Verkauf der Ware außer Stand gesetzt habe, sie den Beklagten zurückzugeben. Mit Recht geht hierbei der Vorderrichter davon aus, daß der Kläger sich wegen dieses Verkaufs nur auf § 383 BGB. berufen kann. Der § 373 HGB. handelt - von dem Verkäufer und dessen Recht zum Selbsthilfeverkauf, der § 379 HGB. vom Distanzgeschäft, das hier überhaupt nicht in Frage steht, so daß auf die weitere dort aufgestellte Voraussetzung, daß die Ware dem Verderben ausgesetzt ist, nicht weiter eingegangen zu werden brauchte. Was den § 383 BGB. angeht, so ist ferner die Annahme des Vorderrichters nicht zu beanstanden, daß Berlin Leistungsort gewesen ist und somit die öffentliche Versteigerung dort hätte erfolgen müssen. Es kann ihm aber darin nicht beigetreten werden, daß deshalb, weil dieser Verkauf nicht in Berlin, sondern in Hamburg vorgenommen worden ist, die Beklagten ihn nicht als für ihre Rechnung erfolgt anzuerkennen brauchten. Allerdings befindet sich der Vorderrichter hier in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre, in deren Sinn sich auch das Reichsgericht in dem Urteil Holdheims Monatsschr. 1906 S. 166 ausgesprochen hat. Es ist das eine Entscheidung des erkennenden Senats, an der indessen bei wiederholter Prüfung der Frage nicht festgehalten werden kann. Den entscheidenden Grund erblickt die herrschende Lehre darin, daß in § 384 Abs. 2 BGB sowie in § 374 Abs. 1 (vgl. auch § 391 Abs. 1, § 1220 Abs. 2) ausdrücklich bestimmt wird, daß Verstöße gegen die dort gegebenen Vorschriften nur die Verpflichtung zum Schadensersatz und somit nicht die Unwirksamkeit des Verkaufs zur Folge haben sollen, während der § 383 eine solche einschränkende Bestimmung nicht enthält. Es ist zuzugeben, daß darin ein bedeutsames argumentum e contrario liegen könnte. Immerhin würde es, um zwingend zu sein, eine Gleichmäßigkeit und Geschlossenheit im Aufbau der Fassung des Gesetzes voraussetzen, die diesem nicht durchweg nachgerühmt werden kann, zumal anzunehmen wäre, daß es bei der Abfassung des Gesetzes zur Sprache hätte kommen müssen, wenn man beabsichtigt hätte, hier durch das Stillschweigen etwas positiv zu bestimmen. Davon findet sich aber nichts in den Materialien zum Gesetz. Mehr als dieses rein formale Argument für die herrschende Lehre fällt für die entgegengesetzte Meinung in das Gewicht das sachliche Argument, das in der Analogie mit dem Pfandverkauf einer beweglichen Sache liegt. Dort handelt es sich, wie hier, um den Verkauf einer fremden Sache für fremde Rechnung, bei dem es gilt, tunlichst auch das Interesse des Eigentümers zu wahren. Dort ist diese Materie in sorgfältiger Erwägung bis in das einzelne hinein geregelt worden. Es ist scharf unterschieden zwischen den Verstößen, welche die Rechtmäßigkeit des Verkaufs berühren, und welche nicht, und der Verkauf am unrechten Ort ist dort zu den letzteren gestellt und nicht zu den ersteren (§§ 1243, 1236 BGB.). Es wäre unerfindlich, weshalb dieser Verstoß beim Selbsthilfeverkauf nach § 383 einer anderen und strengeren Beurteilung unterliegen sollte. Man hat einen Unterschied darin zu finden geglaubt, daß den Pfandschuldner und Eigentümer das eigene Interesse des Gläubigers an der Erzielung des bestmöglichen Erlöses schütze. Das ist aber in dieser Allgemeinheit gar nicht richtig. Es trifft nur in den gewiß nicht die Mehrzahl bildenden Fällen zu, wo der Wert des Pfandes den Betrag der gesicherten Forderung nicht oder nicht wesentlich übersteigt. Dazu kommt vor allem, daß, wenn die herrschende Ansicht die richtige wäre, sie in gleicher Weise wie in Abs. 1 des § 383 auch in Abs. 2 gelten müßte, und es wäre die Frage, ob der Verkauf dem Gegner gegenüber überhaupt gilt, abhängig gemacht von einer nach dem Ermessen des Schuldners zu fassenden und daher im einzelnen Falle immer mehr oder weniger unsicheren Entschließung desselben. Vgl. Planck BGB. 4. Aufl. (im Gegensatze zu den früheren Auflagen) § 383 Anm. 3; Komm. v. RGR. § 383 Anm. 3.

Daher kann dem Verkauf am unrechten Orte eine weitere Folge nicht beigelegt werden, als daß der Schuldner dafür einzustehen hat. wenn dadurch das Ergebnis der Versteigerung beeinflußt wird. Nur ist der Schuldner beweispflichtig, wenn der Gläubiger behauptet, daß beim Verkauf am rechten Orte ein höherer Erlös erzielt worden wäre (§282 BGB.). Die Frage liegt hier nicht anders, wie im Falle eines Auftrags zum Verkauf. War, wie dort das Gesetz es vorschreibt, hier der Auftrag dahin gegangen, den Verkauf an einem bestimmten Orte vorzunehmen, so hat nach allgemeinen Grundsätzen der Beauftragte, der hiergegen verstößt, den Beweis zu führen, daß dadurch kein Schaden entstanden ist, und der Gegner dringt mit dem, was er in dieser Richtung seinerseits behauptet, so lange durch, als jener Beweis nicht geführt ist. Das gleiche muß denn auch beim Selbsthilfeverkauf gelten.

Ist somit der Grund, aus welchem der Vorderrichter dem Kläger das Recht zur Wandlung des Kaufes abgesprochen hat, hinfällig, so ist damit allein der Revision noch nicht geholfen. Denn der Vorderrichter hat. wenn auch in einem anderen Zusammenhang, ausdrücklich festgestellt, daß der Kläger den Beweis, daß die Ware vertragswidrig beschaffen gewesen sei, nicht geführt habe. Der Vorderrichter ist von seinem Standpunkt aus auf diese Frage nur gegenüber der eventuellen Klagebegründung (Anspruch auf Minderung und Schadensersatz wegen ungenügender Erfüllung) eingegangen, wobei er mit Recht den Kläger für den beweispflichtigen Teil erklärt. Bei dem Minderungsanspruch ist die Frage der Beweislast unbestritten. Aber auch bei der Wandlung trifft den Käufer die Beweislast. Zwar ist beim Gattungskaufe der Verkäufer verpflichtet, eine dem Vertrag oder dem Gesetz entsprechende Sache zu liefern, und beschränkt der Käufer sich darauf, daß er dem Anspruch auf den Kaufpreis die Einrede des nicht erfüllten Vertrags entgegenstellt, dann wird der Verkäufer die Fehlerfreiheit der angebotenen Ware zu beweisen haben. Dagegen ist in § 462 BGB. dem Käufer in gleicher Weise, wie mit dem Rechte auf Minderung des Preises, mit dem Rechte den Kauf rückgängig zu machen ein besonderes Recht verliehen worden, das seine Grundlage in der Fehlerhaftigkeit der Kaufsache hat. Den Beweis dieses Rechtsgrundes gilt es, und er liegt, wie allemal, so auch hier demjenigen ob, der das Recht für sich in Anspruch nimmt.

Würde also insofern die Beweiswürdigung des Vorderrichters ohne weiteres auch gegenüber der Wandlung maßgeblich sein, so ist sie gleichwohl nicht geeignet, die Sache zu erledigen, weil sie ganz und gar von einem unrichtigen, auf Rechtsirrtum beruhenden Standpunkt aus angestellt worden ist. Zu Unrecht nimmt der Vorderrichter an, daß Zusicherungen wegen der Beschaffenheit der Ware, außer daß sie "gesund", nicht gemacht worden seien. Es wird in dieser Richtung ausgeführt, nach dem Wortlaute des Bestätigungsschreibens, das unwidersprochen geblieben sei, hätten die Beklagten lediglich "Dörrgemüse mit ca. 56% Kartoffeln" verkauft, der Käufer habe also nur Anspruch auf Handelsgut mittlerer Art und Güte gehabt. In eine Beweisaufnahme darüber, ob bei den Verhandlungen über eine Ware von guter, gesunder und trockener Qualität die Rede gewesen sei, brauche nicht eingegangen zu werden, weil gegenüber dem unwidersprochen gebliebenen Bestätigungsschreiben die Annahme gerechtfertigt wäre, daß man unabhängig von vorausgegangenen Besprechungen schließlich den Inhalt der Bestätigung habe gelten lassen wollen. Die Notiz der Faktura, "die Ware ist gut. gesund und trocken", biete keinen genügenden Beweis dafür, daß dies garantiert worden sei. Der Käufer habe also nur Anspruch auf mittlere Art und Güte und ferner - weil die Beklagten das zugeben - auf Gesundheit der Ware, nicht dagegen auf gute Beschaffenheit gehabt.

Das wäre nicht zu beanstanden, wenn nur Beredungen in Frage stünden, welche dem Vertragsschluß vorausgegangen sind. Es wird aber übersehen, daß der im Bestätigungsschreiben niedergelegte Inhalt des Vertrags sehr wohl durch nachfolgende Zusicherungen noch eine Änderung hat erfahren können. Es war unter Beweis gestellt, daß eine der Beklagten unmittelbar nach Abschluß des Vertrags, als der Preis gezahlt werden sollte und der Kläger durch den vermittelnden Makler Bedenken äußerte, das zu tun, ohne die Ware auch nur zu Gesicht bekommen zu haben, mündlich versichert habe, die Ware sei gut, gesund und trocken. Auf diesen Beweis ist der Vorderrichter nicht eingegangen, obwohl es sich unverkennbar um eine rechtsgeschäftliche Erklärung gehandelt hätte und der ganze Vorgang sehr wohl die Deutung zuläßt, wenn nicht gar fordert, daß damit die erwähnten Eigenschaften im Sinne des § 459 Abs. 3 BGB. haben zugesichert werden sollen. Aber mehr als das. Es war nicht nur behauptet, sondern steht tatsächlich fest, daß die Beklagten eine Zusicherung dieses Inhalts dadurch erteilt haben, daß sie sie in die in unmittelbarem Anschluß an den Vertragsschluß übersandte Faktura aufnahmen. Es ist nicht deutlich, wie es gemeint ist, wenn hierzu der Vorderrichter sagt, daß die Notiz auf der Faktura keinen genügenden Beweis dafür biete, daß die genannten Eigenschaften "garantiert" worden seien. Von einer besonderen, über rechtsgeschäftliche Zusicherung hinausgehenden Garantie ist nicht die Rede und es handelt sich nicht darum, daß mit der Faktura der Beweis vorausgegangener Dinge erbracht werden soll. In der Faktum selbst liegt die mit ihrer Übersendung abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärung vor, auf welche nicht einzugehen der Kläger gar keine Veranlassung hatte, die er vielmehr als eine ihm nur willkommene Ergänzung der bisher gemachten Zusicherungen auffassen durfte, und an welche die Beklagten gebunden sind, selbst wenn sie sich beim Abschluß des Vertrags nicht so weitgehend verpflichtet haben sollten. Es wird daher Aufgabe des Vorderrichters sein, die erhobenen und etwa noch zu ergänzenden Beweise auf die Frage zu würdigen, ob die Ware nicht nur "gesund", sondern auch "gut" und "trocken" gewesen ist."