RG, 04.02.1919 - VII 315/18

Daten
Fall: 
Schenkung bei Übereignung des Gegenstandes zu Lebzeiten
Fundstellen: 
RGZ 95, 12
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.02.1919
Aktenzeichen: 
VII 315/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Köln
  • OLG Köln

Liegt eine Schenkung vor, wenn der Erblasser selbst noch vor seinem Tode den Gegenstand eines Vermächtnisses dem Bedachten übereignet? Auch dann, wenn das Vermächtnis in einem Erbvertrage von Eheleuten durch den künftig überlebenden Ehegatten angeordnet ist und dieser nach dem Tode des erstversterbenden Ehegatten die Erbschaft angenommen hat?

Tatbestand

Die in allgemeiner Gütergemeinschaft lebenden Eheleute August B. und Frau Johanne geb. L. schlossen am 3. Februar 1901 einen Erbvertrag miteinander ab. Darin heißt es:

"a) Wir setzen uns gegenseitig und zwar der Erstversterbende den Überlebenden zum Vertragserben ein.
b) Wir bestimmen ferner, daß nach dem Tode des Letztlebenden die uns zugehörigen Immobilien samt Gebäuden und Mobiliar an folgende Personen fallen sollen:

I. an die Ehefrau des Herrn Dr. Karl P.
II. Herr Paul B., Landmesser in E., Brudersohn des Komparenten Herrn August B., soll erhalten folgende Grundstücke:
a)..."

Frau Johanne B. war die Tante der Frau Dr. P., mit dem Kläger Paul B. war sie nicht verwandt. Am 7. März 1905 starb August B. Seine Hinterbliebene Witwe trat die Erbschaft aus dem Vertrage an. Um 29. August 1912 schloß sie, damals bereits 84 Jahre alt, mit dem Kläger einen notariellen Vertrag ab, in dem zunächst der Inhalt des Erbvertrags wiedergegeben wird, und in dem es heißt:

"Nachdem Herr August B. am 7. März 1905 gestorben ist. hat seine Witwe und alleinige Erbin Frau Johanne geb. L. sich entschlossen, die dem Herrn Paul B. vermachten Grundstücke bereits jetzt schenkungsweise, jedoch unter Vorbehalt einer den jährlichen Erträgnissen der Grundstücke entsprechenden lebenslänglichen Rente zu überlassen. Sie beabsichtigt sich dadurch bezüglich der Verwaltung ihres großen Grundbesitzes zu entlasten und begegnet sich darin mit dem Wunsche des Herrn Paul B., die ihm zugedachten Grundstücke schon jetzt zu übernehmen und in seinem und seiner Familie Interesse zu verwerten. Demgemäß schenkt Frau Witwe August B. dem Herrn Paul B., welcher dies annimmt, die Grundstücke: ...

Die gegenwärtige Schenkung geschieht unter der Auflage, daß der Beschenkte der Schenkerin eine dem jährlichen Reinertrage der geschenkten Grundstücke entsprechende lebenslängliche Rente, und zwar die feste Summe von 3788 M pro Jahr, entrichtet." Nach weiteren Abreden werden in dem Vertrage die Auflassungserklärungen abgegeben, und am Schlusse wird dann noch gesagt: "Insbesondere hat Herr Paul B. auch die ganze zu entrichtende Schenkungssteuer allein zu tragen."

Die Witwe August B. ist am 7. Juli 1913 verstorben. Der Wert der übereigneten Grundstücke und des beweglichen Beilasses abzüglich der Rente, die darauf ruhte, beträgt unstreitig 248435,68 M.

Die Steuerbehörde hat in der Behandlung des Vertrags vom 29. August 1912 geschwankt. Nachdem der Kläger bereits 5081,50 M Steuer dafür entrichtet hatte, hat sie unter dem 30. September 1915 die nach den §§ 10, 55 des Reichserbschaftssteuergesetzes vom 3. Juni 1906 zu zahlende Steuer auf 42234 M berechnet und demgemäß noch 37152,50 M nachgefordert. Der Kläger glaubt als Nacherbe seines verstorbenen Onkels August B. nur verpflichtet zu sein, nach dem früheren preußischen Erbschaftssteuergesetz 2 v. H. des Wertes der Grundstücke mit 4968,71 M zu zahlen, und hat mit der gegenwärtigen Klage beantragt, den Beklagten zur Zurückzahlung von 112,79 M nebst Zinsen zu verurteilen und festzustellen, daß Kläger die weiter geforderte Steuer nicht verschulde.

Die Klage ist abgewiesen, die Berufung und die Revision des Klägers sind zurückgewiesen worden.
Gründe

"Beizutreten ist dem Berufungsrichter zunächst darin, daß der Kläger nicht Nacherbe seines Onkels August B. geworden ist. Zwei Gründe sprechen dagegen.

a) Auch der Nacherbe ist Erbe, § 2100 BGB. Erbe ist aber nur derjenige, auf den das Vermögen des Verstorbenen als Ganzes und einschließlich der Schulden übergeht, mag er nun Alleinerbe oder einer von mehreren Miterben sein, § 1922 BGB. Das trifft nicht zu, wenn dem Bedachten, wie hier dem Kläger, nur einzelne bestimmte Sachen zugewiesen sind.

b) Die Eheleute B. lebten in Gütergemeinschaft. Dem Ehemanne gehörten also nicht die Grundstücke, es stand ihm nur sein gütergemeinschaftlicher Anteil daran zu (vgl. § 1442 BGB.). Nur über diesen konnte er für den Fall, daß er vor seiner Frau stürbe, letztwillig verfügen.

Das Oberlandesgericht hat diese beiden Gründe außer acht gelassen. Es hat - und das gereicht dem Kläger lediglich zum Vorteil - eine Nacherbschaft an sich für möglich gehalten, ihr Vorliegen aber auf Grund einer von Rechtsirrtum sonst nicht beeinflußten Auslegung des Erbvertrags verneint. Die außerordentlich klaren und einfachen Sätze des Erbvertrags lassen keinen Zweifel darüber, daß von den Eheleuten B. der überlebende Ehegatte, also die Witwe B., es gewesen ist. die dem Kläger die Grundstücke als Vermächtnis zugewendet hat. Die Revision bittet demgegenüber zu prüfen, ob der Kläger nicht schon mit dem Tode des August B. einen Vermächtnisanspruch auf den streitigen Grundbesitz erworben habe. Offenbar will der Kläger damit die Frage anregen, ob ihm das Vermächtnis nicht von August B. zugewendet, mit dessen Tode angefallen, und ob nicht nur die Fälligkeit des Anspruchs bis zum Tode der Witwe B. hinausgeschoben gewesen sei (vgl. Planck, Anm. III 2 zu § 2269 BGB.). Gegen diese Möglichkeit spricht schon der oben angeführte Grund zu b). Er schließt auch von vornherein die Annahme aus, daß es sich um ein von dem Ehemanne B. dem Kläger ausgesetztes Nachvermächtnis (§ 2191 BGB.) handeln könne.

Beizupflichten ist dem Oberlandesgericht aber auch darin, daß die Witwe B. durch den Vertrag vom 29. August 1912 dem Kläger die Grundstücke geschenkt hat. Die Revision zieht in Zweifel, daß die Witwe B. den Kläger um den Wert der Grundstücke habe bereichern wollen und tatsächlich bereichert habe. Zum Begriff der Schenkung, der im Reichserbschaftssteuergesetz derselbe wie im Bürgerlichen Gesetzbuch ist, gehört das Erfordernis der Bereicherungsabsicht nicht (RGZ. Bd. 70 S. 17). Eine Schenkung liegt vor, wenn die Bereicherung gegeben ist und die Beteiligten über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung (§ 516 Abs. 1 BGB.) einig sind. Die Bereicherung ist gegeben, denn der Kläger hatte am 29. August 1912 nicht bereits, wie die Revision meint, einen unentziehbaren Vermächtnisanspruch auf die stücke. Dieser Anspruch entsteht nach § 2176 erst mit dem Erbfalle, d. h. mit dem Tode des Erblassers (§ 1922), und als solcher kam vorliegend nur die Witwe B. in Frage. Der § 2290, auf den sich die Revision beruft, besagt nur, daß nach dem Tode einer der Personen, die den Erbvertrag geschlossen haben, die Aufhebung des Erbvertrags oder der einzelnen vertragsmäßigen Verfügung durch einen neuen Vertrag nicht mehr erfolgen könne. Diese Vorschrift sicherte also wohl die Rechtsstellung des Klägers in gewisser Weise, verlieh ihm aber noch keinen Anspruch auf die Grundstücke; sie hinderte vor allem nicht, daß die Witwe B. unter Lebenden frei über die Grundstücke verfügen konnte (§ 2286), vorausgesetzt nur, daß sie dabei nicht in der Absicht handelte, den Kläger zu beeinträchtigen (§ 2288).

Die Revision hat auch versucht, aus den am 29. August 1912 tatsächlich gegebenen Verhältnissen den Vermächtnisanspruch des Klägers herzuleiten. Sie hat dabei auf das hohe Alter der Witwe B. hingewiesen und auf die Unwahrscheinlichkeit, daß sie die kurze Zeit bis zu ihrem Tode noch würde dazu benutzen wollen, die Grundstücke anderweit in einer nicht unter § 2288 fallenden Art zu veräußern. Es ist aber nicht ersichtlich, wie sich aus solchen äußerlichen und zufälligen Begleitumständen ein Rechtsanspruch sollte ergeben können.

Mit seiner Feststellung, daß die Grundstücke schenkungsweise gegeben und genommen sind, bringt das Oberlandesgericht zum Ausdruck, daß die Einigkeit der Beteiligten über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung vorgelegen hat. Rechtliche Bedenken sind dagegen nicht zu erheben. Mag auch die Witwe B. dem Kläger die Grundstücke nicht aus völlig freiem Entschluß überlassen, mag das einmal angeordnete Vermächtnis einen wesentlichen Beweggrund für sie gebildet haben; auch die Vermächtnisanordnung war unentgeltlich erfolgt, und die Zuwendung verlor dadurch, daß sie früher als ursprünglich geplant und schon bei Lebzeiten der Erblasserin bewirkt wurde, nicht das Merkmal der Unentgeltlichkeit (vgl. Urt. des RG. vom 2. Dezember 1918. IV. 264/18). Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß der Kläger in den Nutzungen der Grundstücke für die Zeit vom 1. September 1912 - dem im Vertrage vereinbarten Tage des Überganges der Nutzungen - bis zum Tode der Witwe B. etwas erhalten habe, was er bei der Überlassung der Grundstücke an ihn erst nach dem Tode der Witwe B. nicht erhalten hätte. Daraus folgt aber nicht, wie die Revision meint, daß nun diese Nutzungen allein geschenkt worden seien. Die gesetzlichen Merkmale der Schenkung sind vom Oberlandesgericht auch in Ansehung der Grundstücke selbst rechtlich einwandfrei festgestellt worden." ...