RG, 08.01.1919 - I 198/18

Daten
Fall: 
Herabsetzung einer Taxe
Fundstellen: 
RGZ 94, 268
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.01.1919
Aktenzeichen: 
I 198/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Berlin

Zur Auslegung der §§ 793 Abs. 2 und 786 Abs. 3 HGB. Ist der Versicherer verhindert, die Herabsetzung der Taxe zu fordern wenn er bei Abschluß der Versicherung mit der wesentlichen Übersetzung einverstanden war?

Tatbestand

Durch Police vom 29. Dezember 1915 versicherte die Klägerin bei der Beklagten 10 Pakete von je drei Briefen, enthaltend je 8500 für die Liberianische Regierung bestimmte Briefmarken im Nennwerte von $ 1355,-, "taxiert zu 30000 M auf Grund gegenseitiger Vereinbarung ohne weiteren Beweis", als holländische Einschreibsendungen von Amsterdam nach Liberia auf Grund der Hamburger Allg. Seeversicherungsbedingungen einschließlich Kriegsgefahr.

Die Parteien sind darüber einverstanden, daß die Sendung von den Engländern beschlagnahmt wurde und daß die Klägerin daraufhin berechtigterweise den Abandon erklärt hat. Die Beklagte hat aber nur 10000 M vergütet als den wahren Wert der Sendung, indem sie Herabsetzung der Taxe auf diesen Betrag wegen wesentlicher Übersetzung verlangt. Die Klägerin gibt zu, daß die Herstellungskosten nicht mehr als 10000 M betragen haben, behauptet jedoch, daß die Parteien bei Abschluß der Versicherung darüber einverstanden gewesen seien, daß nichts ihr Eigentumsinteresse, sondern das Interesse an der glücklichen Ankunft der Marken versichert sein sollte. Dies Interesse sei sehr groß gewesen. Sie habe zunächst an einflußreiche Personen in Liberia 90000 M bezahlen müssen, um den Auftrag zu erhalten, ferner habe sie für die Herstellung dieser und anderer gleicher Marken etwa 36000 M aufgewandt. Das Geschäft stehe ihr einschließlich Zinsen mit 145000 M zu Buch. Gewinn habe sie dadurch erwarten können, daß die Regierung von Liberia die ihr übersandten Marken in Verkehr gebracht haben würde und sie dadurch in die Lage gekommen wäre, die anderen gleichzeitig hergestellten Marken besonders an Briefmarkensammler abzusetzen. Demgemäß habe sie den Wert der abgesandten Marken mit 30000 M angenommen. Die Beklagte sei von ihrer Maklerfirma H. & C. M. ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß weder der nominelle Wert der Marken noch die Kosten der Herstellung, sondern letztere zuzüglich Versandkosten, sonstiger Unkosten und imaginären Gewinns als Versicherungssumme in Betracht kämen. Die Klägerin verlangt demnach Zahlung weiterer 20000 M nebst Zinsen.

Die Beklagte beantragt Klagabweisung. Sie bestreitet, daß Vereinbarungen neben der Police getroffen seien, hält solche aber auch gegenüber dem Wortlaute der Urkunde für unerheblich. Es handle sich um eine reine Güterversicherung, ein anderweites Interesse sei nicht versichert worden; das sehr mittelbare Interesse an dem Absatz anderer Marken könne in dieser Weise auch nicht versichert werden, jedenfalls würde die Beklagte eine solche Versicherung nicht eingegangen sein.

Das Landgericht hat nach der Klage verurteilt, indem es annahm, daß in Wahrheit das Interesse der Klägerin an der Ankunft der Ware versichert worden sei. Das Oberlandesgericht ist in letzterer Hinsicht anderer Ansicht und nimmt reine Güterversicherung an; trotzdem hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, weil die Parteien darüber einverstanden gewesen seien, daß neben dem wirklichen Werte eine "Reihe werterhöhender Umstände und Eigenschaften", insbesondere die von der Klägerin bei der Einleitung des Geschäftes aufgewandten Kosten, bei der Wertbemessung Mitberücksichtigung finden sollten und daß daher die Beklagte nach Treu und Glauben die Herabsetzung der Taxe nicht verlangen könne.

Auf Revision der Beklagten wurde dies Urteil aufgehoben aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Begründung des angefochtenen Urteils ist unklar und rechtsirrtümlich. Zunächst wird festgestellt, daß eine reine Güterversicherung vorliege, bei der die Versicherungssumme den wirklichen Wert der Güter weit übersteige, und daß sich hierüber beide Parteien vollkommen klar gewesen seien. Davon, daß imaginärer Gewinn oder ein anderes Interesse versichert werden sollte, sei mit keinem Worte die Rede. Sodann aber heißt es, daß nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien und kraft beiderseitiger Vereinbarung eine Reihe wertsteigernder Umstände und Eigenschaften, insbesondere die von der Klägerin bei Einleitung des Geschäftes aufgewandten erheblichen Kosten, bei der Wertbemessung Mitberücksichtigung finden sollten. Dies müsse die Beklagte auch jetzt gegen sich gelten lassen. Was damit gesagt sein soll, ist unklar. Liegen nach Ansicht des Oberlandesgerichts Umstände und Eigenschaften vor, welche den Wert der Sendung tatsächlich so weit erhöhten, daß die Annahme einer Versicherungssumme von 30000 M gerechtfertigt war, so ist die Feststellung, daß letztere den wirklichen Wert der Ware weit überstieg, unrichtig. Allerdings fehlt es dann an einer Begründung dafür, inwiefern insbesondere Kosten, die die Klägerin zur Einleitung des Geschäftes aufgewandt hatte, den wirklichen Wert der Ware steigern können. Sollte aber die Ansicht des Berufungsgerichts dahin gehen, daß eine von den Parteien bewußterweise vereinbarungsgemäß aus irgendwelchen unzutreffenden Gründen vorgenommene Übersetzung der Taxe die Beklagte hinderte, die Herabsetzung zu verlangen, so würde dies rechtsirrtümlich sein. Zwar ist der § 793 Abs. 2 HGB. nicht lediglich ein Anwendungsfall des § 786 Abs. 3, so daß auch dort die Versicherung insoweit ungültig wäre, als die Versicherungssumme den Versicherungswert übersteigt, vielmehr ist die Regelung bei der taxierten Police insofern eine andere, als einmal nur eine wesentliche Übersetzung in Betracht kommt, und sodann diese nicht von dem Versicherten geltend gemacht werden kann (RGZ. Bd. 90 S. 367) noch von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Nur der Versicherer kann die Herabsetzung der Taxe verlangen. Immerhin ist auch diese Bestimmung unter dem Gesichtspunkte der das öffentliche Interesse verfolgenden Vorschrift des § 786 Abs. 2 und 3 dahin auszulegen, daß das Recht des Versicherers durch Parteivereinbarung nicht ausgeschlossen werden kann, weil sonst den Wettassekuranzen Tür und Tor geöffnet wäre. Es kommt daher nicht darauf an, ob auch der Versicherer sich der Übersetzung der Taxe bewußt war und aus welchen Gründen er sich damit einverstanden erklärt hat. Vielmehr hat er unter allen Umständen das Recht, die Herabsetzung der Taxe wegen wesentlicher Übersetzung zu fordern (vgl. RGZ. Bd. 11 S. 13, Bd. 19 S. 215; Lehmann, Zeitschr. f. Verf. Wissenschaft Bd. 11 S. 785 flg.). Hiernach läßt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts nur halten, wenn entweder bei Annahme einer Güterversicherung mit genügender Begründung festgestellt werden kann, daß die Versicherungssumme den wirklichen Wert nicht wesentlich überstiegen hat, oder wenn festgestellt wird, daß trotz des gewählten Wortlautes der Police die Parteien darüber einverstanden waren, daß nicht der Wert der Ware zur Zeit und am Orte der Versendung zuzüglich der in § 799 Abs. 1 HGB. (§ 22 Abs. 1 Allg. SVB.) bezeichneten Kosten, sondern ein anderes der Versicherungssumme im wesentlichen entsprechendes Interesse der Klägerin versichert werden sollte. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß trotz eines solchen Einverständnisses der Parteien doch der Wortlaut der Police maßgebend sein würde, ist ebenfalls rechtsirrtümlich. Keine von jenen beiden Feststellungen kann nach Lage der Sache schon jetzt in der Revisionsinstanz getroffen werden. Daher ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen." ...