RG, 12.01.1913 - V 293/17

Daten
Fall: 
Wasserläufe und Privateigentum
Fundstellen: 
RGZ 92, 46
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.01.1913
Aktenzeichen: 
V 293/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Gera
  • Oberlandesgericht Jena

1. Ist bei Wasserläufen, insbesondere Mühlenkanälen, deren Wasser öffentlich ist, deren Bett sich aber im Privateigentum befindet, der über dem Wasser befindliche Luftraum öffentlich? oder steht daran dem Eigentümer des Bettes das Ausschließungsrecht des § 905 BGB. zu?
2. Ist nach Aufhebung des gemeinen Rechtes der Grundsatz bestehen geblieben, daß Eingriffe in wohlerworbene Rechte, die auf polizeilicher Verfügung oder Genehmigung beruhen, ohne Rücksicht auf Verschulden zur Entschädigung verpflichten?

Tatbestand

Die Beklagte ist Eigentümerin eines in Gera zu beiden Seiten des Mühlgrabens zwischen der Reichs- und Schützenstraße gelegenen Fabrik-(Färberei-)Grundstücks, zu dem die Flächenabschnitte Flurbuch-Nr. 565 (westlich) und 445 (östlich) gehören. Sie hat dort auf Grund eines Bauerlaubnisscheins von 1911 einen Anbau für eine Trockenappretur errichtet, der von Nr. 445 nach 565 hinüberreicht und den Mühlgraben überdeckt. Die dazu von der Wasserpolizeibehörde, dem fürstlichen Landratsamt in Gera erteilte Genehmigung schrieb vor, daß die Beklagte gemäß § 10c der Mühlgrabenordnung vom 11. Januar 1873 / 24. Oktober 1885 einen jährlichen Laßzins von 146 M an die Mühlgrabenkasse zu entrichten habe.

Als Eigentümer des Mühlgrabens, der dort die Flurbuch-Nr. 757 führt, sind im Kataster und Grundbuche seit langer Zeit die klagenden Mühlenbesitzer eingetragen. Nachdem sie gegen den Bau erfolglos Widerspruch erhoben hatten, wurden sie gegen die Beklagte mit dem Antrag auf Beseitigung des Überbaus, Untersagung fernerer Störung und Schadensersatz klagbar. Die beiden ersten Ansprüche wurden in allen Instanzen wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs abgewiesen. Anlangend den Schadenersatzanspruch, so ließ das Oberlandesgericht im Gegensatz zum ersten Richter durch rechtskräftig gewordenes Zwischenurteil den Rechtsweg zu. Während dann das Landgericht den Anspruch, den die Kläger auf 7000 M bezifferten, als unbegründet abwies, erklärte ihn das Oberlandesgericht durch Teilurteil jedenfalls insoweit dem Grunde nach für berechtigt, als für den Überbau über dem eigentlichen Bachbett (zwischen den Ufermauern) Entschädigung verlangt wurde. Die Prüfung der Frage, ob die Ufermauern auf dem Grunde des Bachbettes oder dem der angrenzenden Grundstücke ruhen, sowie die Entscheidung über den Teil des Anspruchs, der auf diese Ufermauern und deren Überbau entfällt, behielt es vor. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Die Beklagte halte unter Berufung auf § 2 der Mühlgrabenordnung behauptet, der Mühlgraben sei ein öffentliches Gewässer und es sei deshalb ein Privateigentum an dessen Bette und an dem darüber befindlichen Lufträume nicht anzuerkennen. ... In dieser Vorschrift ist bestimmt, daß der Mühlgraben, ein nach § 1 aus dem Elsterfluß an dessen rechtem Ufer abgeleiteter und dorthin wieder zurückführender "künstlicher Kanal", als ein "öffentliches Gewässer" zu betrachten sei, "das sich in niemandes Eigentum" befindet und dem die rechtliche Natur der Flüsse und Bäche beiwohnt". Nach § 3 erleiden demnach alle diejenigen Bestimmungen Anwendung, die in Gemäßheit des Preußischen Wassergesetzes vom 6. April 1872 bezüglich der Flüsse und Bäche Geltung haben, insbesondere sollen danach wohlerworbene Rechte am Mühlgraben auch ferner - vorbehaltlich der gesetzlichen Enteignungsfälle - in Kraft bleiben.

Diese Vorschriften hat das Oberlandesgericht dahin ausgelegt, daß § 2 der Mühlgrabenordung nur das Wasser selbst (die fließende Welle) im Auge habe, im übrigen aber an den Eigentumsverhältnissen nichts ändere. Auch nach dem in Bezug genommenen Gesetze vom 6. April 1872 sei nur das Wasser dem Gemeingebrauch unterworfen (§§ 6 II, 12); das Flußbett gehöre, vorbehaltlich wohlerworbener Rechte (§ 10), den Anliegern (§ 23). Bei den Verhandlungen über den Erlaß der Mühlgrabenordnung sei allerdings in dem Entwurfe vom Januar 1871 in Aussicht genommen worden, nicht bloß das Wasser, sondern auch das Bett des Grabens für öffentlich und niemandes Eigentum zu erklären; diese Bestimmung habe aber Widerspruch gefunden und sei in die endgültige Fassung nicht aufgenommen worden. Demnach sei Privateigentum anzuerkennen. Daß es den Klägern zustehe, folge aus der gesetzlichen Vermutung des § 891 BGB. ... Nach § 905 BGB. folge aus dem Eigentum am Flußbett auch das Recht und die Ausschließungsbefugnis am darüber befindlichen Luftraume.

Diese von der Revision angegriffenen Ausführungen sind, soweit sie die Auslegung landesrechtlicher Normen betreffen, der Anfechtung in der Revisionsinstanz entzogen. Wenn die Revision eingewendet hat, die Öffentlichkeit des Wassers ziehe mit Notwendigkeit die des Flußbettes nach sich, so ist dies weder im allgemeinen noch nach den gemeinrechtlichen, für Mühlenkanäle geltenden Rechtsgrundsätzen anzuerkennen (vgl. die Ausführungen in dem Urteile des erkennenden Senats vom 3. Februar 1912, Gruchot Bd. 56 S. 1179). Diese Grundsätze stimmen mit dem hier in Rede stehenden Landesrechte, das im übrigen allein maßgebend ist, überein. Die weiteren Ausführungen des Oberlandesgerichts aber, namentlich die Anwendung des § 905 BGB., lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Zwar meint die Revision, der Luftraum befinde sich nicht über dem Bette des Grabens, sondern über dem Wasser, müsse diesem folgen und wie dieses beim Gemeingebrauch benutzt werden, wenn die öffentliche Natur des Wassers nicht verloren gehen solle. Dies ist jedoch nur mit Einschränkungen, nämlich nur insoweit als richtig anzuerkennen, als der Gemeingebrauch des Wassers auch den der Luft und des Luftraums nach sich zieht. Dieser Gemeingebrauch aber ändert, ebenso wie der des Wassers, nichts an den an den festen Erdkörper sich anschließenden Eigentums- und Ausschließungsbefugnissen des § 905. Der Luftraum gehört, ebenso wie das Innere des Erdkörpers, auch da, wo Wasser und Luft sich befindet, dem Grundeigentümer unbeschadet der durch den Gemeingebrauch des Wassers und der Luft gebotenen Beschränkungen. Von einem solchen Gemeingebrauch aber ist im vorliegenden Falle, wo ein Gebäudebau im Luftraum in Frage steht, keine Rede. (Vgl. Motive zu § 849 des I. Entwurfs des BGB. Bd. 3 S. 263; Protokolle bei II. Lesung Bd. 8 §. 120; Biermann, Sachenrecht, 3. Aufl. Anm. 1 zu § 905 BGB.; RGZ. Bd. 42 S.205, Bd. 59 S. 116). Das durch § 905 erforderte Interesse an der Ausschließung anderer Personen hat der Berufungsrichter schon im Hinblick auf die erschwerte Reinigung des Gewässers, aber auch im Hinblick auf künftige Ausnutzungsmöglichkeiten und deren Einfluß auf den Verkehrswert des Mühlgrabens als vorhanden angenommen. Ein Bedenken in dieser Beziehung hat auch die Revision nicht mehr erhoben.

Den Entschädigungsanspruch selbst hat der Berufungsrichter weder durch die öffentlichrechtlichen Beschränkungen noch durch den der Beklagten auferlegten Laßzins für ausgeschlossen erachtet. Dieser stieße zur Mühlgrabenkasse, habe öffentlichrechtliche Natur und könne am Privatrechte der Kläger nichts ändern. Herzuleiten sei der Entschädigungsanspruch seinem Grunde nach aus § 823 BGB., denn die Beklagte habe schuldhaft und rechtswidrig das Eigentum der Kläger verletzt ... (wird näher ausgeführt). Die Revision hat demgegenüber gerügt, die Feststellung, daß die Beklagte das angebliche Eigentumsrecht der Kläger bewußt rechtswidrig verletzt habe, entbehre ausreichender Begründung. ... Der Entschädigungsanspruch, den § 100 des Preußischen Wassergesetzes im Abs. 2 gegenüber der Verfügung des Rechtswegs nach Abs. 1 vorbehält, bedarf jedoch überhaupt nicht der Begründung aus § 823 BGB., ist vielmehr auch ohne jedes Verschulden gegenüber demjenigen, zu dessen Gunsten die polizeiliche Verfügung oder Genehmigung ergangen, für gegeben zu erachten. Für das früher gemeinrechtliche Gebiet, das hier in Frage steht, wurde dies in Fällen, wo wohlerworbene Rechte durch polizeiliche Eingriffe verkürzt, insbesondere die Abwehrklage (Negatoria) des Eigentümers ausgeschlossen wurde, allgemein angenommen (vgl. RGZ. Bd. 72 S. 89, Bd. 70 S. 150. Bd. 47 S. 98. Bd. 30 S. 116. Bd. 17 S. 103; Gruchot Bd. 50 S. 412; Jur. Wochenschr. 1912 S. 869 Nr. 28. 1910 S. 580 Nr. 15); die Beseitigung des gemeinen Rechtes durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat daran aber nichts geändert, weil es sich dabei um einen allgemeinen, auch in § 904 BGB. und in § 26 GewO. anerkannten Rechtsgrundsatz handelt (vgl. RGZ. Bd. 72 S. 90, Bd. 58 S. 130, Bd. 64 S. 184)."