RG, 21.12.1917 - III 336/17

Daten
Fall: 
Sparkasse
Fundstellen: 
RGZ 91, 341
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
21.12.1917
Aktenzeichen: 
III 336/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Münster
  • OLG Hamm

1. Muß eine öffentliche Sparkasse, die als Hypothekengläubigerin die Zwangsversteigerung des Pfandgrundstücks wegen rückständiger Zinsen beantragt hat, den Schuldner, der die Versteigerung durch Zahlung der beizutreibenden Summe abwenden will, sich aber über die Höhe der Summe im Irrtum befindet, hierüber aufklären?
2. Haftet die Sparkasse wegen der Nichterfüllung dieser Verpflichtung durch ihre Beamten nach § 278 BGB. oder - in Preußen - nach dem Gesetze vom 1. August 1909 über die Haftung des Staates für Amtspflichtverletzungen von Beamten?
3. Haftet der Sparkassenbeamte für die Unterlassung der Erfüllung nach § 839 BGB.?
4. Tritt die Haftung der Sparkasse und ihrer Beamten auch dann ein, wenn der Beamte den Irrtum des Schuldners über die Hohe der beizutreibenden Summe zwar nicht erkannt hat, aber bei Anwendung pflichtmäßiger Sorgfalt hätte erkennen müssen?
5. Zur Anwendung des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. in dem Falle, wenn der andere Ersatzpflichtige gegen den Beamten seinen Rückgriff nehmen kann.

Tatbestand

Auf Antrag der Kreissparkasse des Kreises W. wurde im Jahre 1912 wegen rückständiger Hypothekenzinsen und Kosten die Zwangsversteigerung eines der Klägerin gehörigen Grundstücks eingeleitet. Im Versteigerungstermine vom 11. Dezember 1912 erstand der Wirt M. das Grundstück für 7501 M. Mit der Behauptung, das Grundstück sei 20.000 M wert gewesen, forderte die Klägerin den Ersatz des ihr durch die Versteigerung entstandenen Schadens außer von M. auch von dem Sparkassenbeamten B., weil dieser schuldhaft verhindert habe, daß die Zwangsversteigerung eingestellt wurde und daß ihre Schwester, Frau F., das Grundstück für sie, die Klägerin, erstand. Ferner nahm sie den Kreis W., der für das Verschulden seines Beamten hafte, in Anspruch.

Der erste Richter wies die Klage vollständig ab. Das Oberlandesgericht bestätigte das Urteil gegenüber B. und dem Kreise W. Mit Bezug auf diesen dritten Beklagten hatte die Revision Erfolg.

Gründe

"Die Klägerin leitet ein Verschulden des Beklagten B. u. a. aus folgenden, von ihrer Schwester, der Frau F. bekundeten Tatsachen her: Die F. sei am Tage des Versteigerungstermins nach der Sparkasse in W. gegangen, um die Aufhebung der Zwangsversteigerung zu erwirken. Sie habe dem Beklagten B. zwei auf den Namen ihres Mannes lautende Sparkassenbücher übergeben, deren Betrag genügt hätte, um die ganze Schuld der Klägerin gegenüber der Sparkasse, also nicht bloß den Betrag der vollstreckbaren Zinsen- und Kostenforderung von einigen Hundert Mark, sondern auch das Hypothekenkapital von 6900 M zu decken. Sie, die F., habe damals irrtümlich angenommen, daß die Zahlung auch des Hypothekenkapitals notwendig sei, um die Aufhebung der Versteigerung zu ermöglichen. B. habe ihr aber die Sparkassenbücher zurückgegeben und bemerkt, es ruhten schon viele Unkosten auf der Sache; je länger die Klägerin die Besitzung behalte, je tiefer komme sie herein.

Das Berufungsgericht hat die Zeugin F. nicht beeidet und erklärt, auf deren Aussage nicht die Feststellung stützen zu können, daß der Beklagte B. sich der Klägerin oder der Frau F. gegenüber irgendeine Ordnungswidrigkeit habe zu Schulden kommen lassen. Es führt sodann aus, wenn sich die F. damals in dem Irrtume befunden haben sollte, daß die Zwangsversteigerung auch wegen des Kapitals betrieben werde, so sei dies nicht die Schuld des B. Aus der Aussage der Zeugin F. gehe nicht hervor, ob sie dem Beklagten B. diesen ihren Irrtum mitgeteilt habe, und keinesfalls sei erwiesen, daß B. sie in diesen Irrtum versetzt oder ihren darüber schon bestehenden Irrtum überhaupt erkannt und ausgenutzt habe.

Diese Begründung ist, wie die Revision mit Recht ausführt, nicht ausreichend, um ein schuldhaftes Verhallen des Beklagten B. auszuschließen. Ist die Darstellung der Zeugin F. in ihren Hauptzügen richtig - und darüber ist eine bestimmte Feststellung vom Berufungsgerichte nicht getroffen -, dann konnte B. nicht darüber im Zweifel sein, daß die F. der Meinung war, sie müsse, um die Zwangsversteigerung abzuwenden, die ganze Hypothekenschuld der Klägerin decken. Das Anerbieten der Zahlung von Tausenden, wo wenige Hunderte genügen, um das Ziel zu erreichen, ließ keine andere Deutung zu. Dies konnte zumal einem Beamten, wie dem Beklagten B., dem Rendanten einer Sparkasse, nicht entgehen, wenn er die ihm bei seiner Amtsführung obliegende Sorgfalt auch nur im geringsten Maße anwendete. Ging er über diese mit Notwendigkeit jedem Unbefangenen sich aufdrängende Erkenntnis hinweg, so verstieß er nicht nur gegen seine dienstliche Pflicht dem Kreise gegenüber, sondern auch gegen seine Pflicht als öffentlicher Beamter. Erkannte er aber den Irrtum der F., so war es ebenso seine Pflicht sowohl im Innenverhältnisse zu dem Kreise, seinem Dienstherrn und Auftraggeber, als im Verhältnisse zu der Klägerin und deren für diese handelnden Schwester, die F. darüber aufzuklären, daß die Zwangsversteigerung nur wegen des vergleichsweise geringfügigen Betrags von Zinsen und Kosten eingeleitet sei und also schon durch die Zahlung dieses geringfügigen Betrags zur Einstellung gebracht werden könne.

Wenn aber den Beklagten A. ein solches Verschulden trifft, so haftet für den hierdurch der Klägerin entstandenen Schaden auch der Kreis als der Inhaber der Sparkasse. Das zwischen dem Hypothekengläubiger und dem Hypothekenschuldner bestehende Vertragsverhältnis erfordert nach Treu und Glauben, daß der Hypothekengläubiger nicht einen Irrtum des Schuldners über die Höhe der vollstreckbaren Forderung ausnutzt, um diesen mit Hilfe der Zwangsversteigerung von Haus und Hof zu vertreiben. Eine unzulässige Ausnutzung eines solchen Irrtums ist aber nicht nur dann anzunehmen, wenn der Hypothekengläubiger den Irrtum des Schuldners positiv erkannt hat, sondern auch dann, wenn er sich der Erkenntnis des offen hervortretenden Irrtums in grob fahrlässiger Weise verschließt. Der Hypothekengläubiger ist bei einer Sachlage, wie sie hier nach der Bekundung der Zeugin F. als möglich zu unterstellen ist, verpflichtet, den erkannten oder mühelos erkennbaren Irrtum des Schuldners und des für diesen Handelnden aufzuklären und ihm den Betrag zu bezeichnen, durch dessen Zahlung die Zwangsversteigerung zur Einstellung gebracht wird. Die Sparkasse haftet also aus dem Vertrag, und sie steht für ein Verschulden des B. nach § 276 BGB. ein, weil sie sich dieses ihres Beamten und mit ihrer Vertretung bei der Zwangsversteigerung Beauftragten zur Erfüllung ihrer Vertragspflicht gegenüber der Klägerin bedient hat.

Eine Haftung des beklagten Kreises aus dem Gesetz über die Haftung des Staates und anderer Verbände für Amtspflichtverletzungen von Beamten bei Ausübung der öffentlichen Gewalt vom 1. August 1909 kommt nicht, wie das Berufungsgericht eventuell annehmen will, in Frage. Zwar dienen die Sparkassen in weitem Umfange dem allgemeinen Wohle, in erster Reihe durch die Förderung der Sparsamkeit und die Nutzbarmachung der Ersparnisse des kleinen Mannes, daneben aber auch durch die Hebung des Realkredits des kleinen Grundbesitzes. Diese ihre Zweckbestimmung legt ihnen eine pflegliche Behandlung auch ihrer Schuldner auf, und es gilt daher für sie im verstärkten Maße, was vorstehend über die Pflichten des die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers gegenüber dem Schuldner im allgemeinen gesagt ist. Aber die Gewährung und Wiedereinziehung von Darlehen seitens der Sparkasse sind Angelegenheiten der Vermögensverwaltung der Sparkasse; von der Ausübung staatlicher Hoheitsrechte, der öffentlichen Gewalt, wie sie die Voraussetzung der Anwendung des Gesetzes vom 1. August 1909 bildet, kann hier keine Rede sein (vgl. RGZ. Bd. 68 S. 285).

Da ein Verschulden B.s notwendig die Haftung des beklagten Kreises für den dadurch der Klägerin entstandenen Schaden begründet, so fällt die Haftung des B. selbst, die sich nur auf § 839 BGB. stützte fort, sofern ihm nur Fahrlässigkeit zur Last fällt. Denn alsdann ist bei der nicht zu bezweifelnden Zahlungsfähigkeit des Kreises die Voraussetzung des Abs. 1 Satz 2 des § 839, die Möglichkeit anderweiten Ersatzes für die Klägerin, gegeben. Daß der Kreis im Falle seiner Verurteilung den Rückgriff gegen den schuldigen Beamten nehmen kann, schließt nicht aus, daß der dem Dritten gegenüber nur subsidiär haftende Beamte den Schadensersatzberechtigten an den Kreis verweist (vgl. RGZ. Bd. 74 S. 253). Ein vorsätzliches Verschulden des Beklagten B. aber ist vom Berufungsgericht in bestimmter Weise verneint worden. Danach war die Revision, soweit sich der Klaganspruch gegen B. richtet, zurückzuweisen. Soweit die Klage gegen den Kreis gerichtet ist, bedarf es der näheren Feststellung des Vorganges, aus dem nach den vorstehenden Ausführungen ein schuldhaftes Verhalten des B. hergeleitet werden kann, sowie der Prüfung, ob durch dieses schuldhafte Verhalten ein Schaden für die Klägerin entstanden ist."