RG, 07.12.1917 - II 293/17

Daten
Fall: 
Inkrafttreten "mit dem Tage bei Verkündung"
Fundstellen: 
RGZ 91, 339
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.12.1917
Aktenzeichen: 
II 293/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

Gilt eine Verordnung, die laut ihrem Inhalte "mit dem Tage bei Verkündung" in Kraft tritt, seit dem Beginn oder seit dem Ende dieses Tages?

Tatbestand

Am 5. November 1915 verkaufte die Klägerin dem Beklagten 54 Barrel Tran zum Preise von 301 M für 100 kg netto ab Kai Hamburg, prompt zu empfangen, netto Kasse gegen Lieferschein. Nach § 15 der Hamburger Platzusancen bedeutet "prompt": binnen drei Werktagen nach dem Tage des Abschlusses. Da der 7. November ein Sonntag war, endete diese Frist mit dem 9. November.

Am 9. November 1915 erschien im Reichsgesetzblatte Nr. 158 S. 735 die Verordnung des Bundesrats über Öle und Fette vom 8. November. Sie ist mit dem Tage der Verkündung in Kraft getreten (vgl. § 17), jedoch mit Ausnahme des § 16, der die Strafdrohung für Zuwiderhandlungen enthält und erst vom 10. November an gelten soll. Die §§ 3 und 4 bestimmen, daß Tran nur durch den Kriegsausschuß abgesetzt werden darf und daß jeder, der solche Ware im Gewahrsam hat, sie dem Kriegsausschuß auf Verlangen zu einem im § 6 festgesetzten Preise von 250 M für 100 kg überlassen muß.

Die Klägerin übersandte dem Beklagten den Lieferschein über die streitige Ware durch die Post am Sonnabend, dem 6. November. Der Beklagte, der ihn am 8. November erhielt, schickte ihn am 9. zurück, weil die Ware wegen des in der Verordnung enthaltenen Absatzverbots nicht mehr geliefert werden könne. Die Klägerin hielt die Ware zur Verfügung und erhob Klage auf Zahlung des Kaufpreises nebst Zinsen.

Der erste Richter wies die Klage ab. Berufung und Revision blieben erfolglos.

Aus den Gründen

... "Die Verordnung über Öle und Fette ist laut ihrem § 17 mit dem Tage der Verkündung - dem 9. November 1915 - in Kraft getreten, mit Ausnahme jedoch des die Strafdrohung enthaltenden § 16, der seit dem 10. November gilt. Der Tag ist hierbei, wie in allen Bestimmungen solcher Art als Zeiteinheit behandelt; es kann sich also nur fragen, ob die Verordnung mit dem Anfang oder mit dem Ende des 9. November in Kraft getreten ist. Der Wortlaut spricht für den Anfang. So hat auch das Reichsgericht über eine gleichlautende Bestimmung der Novelle zur Zivilprozeßordnung vom 5. Juni 1905 durch Beschluß vom 2. Oktober 1905 Rep. VI. 459/05 entschieden. Im Streitfalle wird die Richtigkeit dieser Auslegung noch dadurch bestätigt, daß die Strafdrohung des vom 10. November an geltenden § 16 offenbar einen Tag später als der übrige Inhalt der Verordnung in Kraft treten sollte.

Der Versuch der Revision, darzutun, daß jedenfalls das Absatzverbot des § 3 erst zugleich mit der Strafbestimmung des § 16 in Kraft getreten sei, ist verfehlt. Die Verordnung besagt durch den § 17 das Gegenteil. Mit der Geltung des Absatzverbotes vom 9. November an ist es auch sehr wohl vereinbar, daß die Übertretung erst vom folgenden Tage an unter Strafe steht und daß die Anmeldungen der Waren gemäß dem Stande vom 11. November erfolgen sollen.

Danach durfte die Klägerin schon am 9. November den Tran nur noch durch den Kriegsausschuß "absetzen". Daß unter Absetzen jede Veräußerung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und darüber hinaus jedes wirtschaftliche Ausderhandgeben zu verstehen ist, hat der Senat schon bei Auslegung einer anderen Kriegsverordnung in dem Urteile vom 24. April 1917 Rep. II. 539/16 und in bezug auf die hier fragliche Verordnung neuerdings in Rep. II. 243/17 (oben S. 280) ausgesprochen. Dies stimmt auch mit dem Sprachgebrauche des vom Landgerichte mit Recht herangezogenen Kaligesetzes vom 25. Mai 1910 überein. Der Einwand der Revision, daß die Verordnung nicht die Erfüllung der vor ihrem Erlasse geschlossenen Verkäufe verbiete, ist also unhaltbar.

Somit durfte die Klägerin seit Beginn des 9.. November die Ware nicht mehr an den Beklagten liefern. Da der Beklagte den Lieferschein am 8. November erhalten hat, war er bei Beginn des 9. November keinesfalls mit der Abnahme in Verzug. Die Lieferung ist also nicht durch einen Umstand, den er zu vertreten hat, unmöglich geworden. Es liegt vielmehr ein Fall des § 323 BGB. vor. Die Klägerin ist von der Lieferpflicht frei, hat aber auch den Anspruch auf die Gegenleistung verloren." ...