RG, 18.11.1917 - III 211/17

Daten
Fall: 
Mißbilligung einer polizeilichen Verfügung, Stellung des Militärbefehlshabers
Fundstellen: 
RGZ 91, 185
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.11.1917
Aktenzeichen: 
III 211/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG III Berlin
  • KG Berlin

1. Mißbilligung einer polizeilichen Verfügung durch die vorgesetzte Behörde als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtswegs in Preußen.
2. Stellung des Militärbefehlshabers im Falle des Kriegs- oder Belagerungszustandes.

Tatbestand

Das Kolonialwarengeschäft des Klägers in Sp. wurde am 7. August 1914 von der Polizeibehörde geschlossen, weil der Kläger an Tage vorher ein Pfund Mehl (amerikanisches Weizenauszugsmehl) zu 35 Pf, also unter Überschreitung des in der Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken vom 2. August 1914 für Weizenmehl festgesetzten Höchstpreises von 30 Pf, verkauft hatte. Die Wiedereröffnung des Geschäfts wurde erst im September 1914 vom Oberbürgermeister von Sp. gestattet, nachdem am 2. September 1914 auf eine Eingabe des Klägers der Oberbefehlshaber in den Marken dem Oberbürgermeister mitgeteilt hatte, die Wiedereröffnung könne erfolgen, wenn nicht besondere Umstände dagegen sprächen. Der Kläger bezeichnete die Schließung des Geschäfts als unzulässig, weil sich die Bekanntmachung nicht auf Mehl der von ihm verkauften Art bezogen habe, und verlangte Schadensersatz in Höhe von 4157,50 M. Im Laufe des Verfahrens stützte er seinen Anspruch auch darauf, daß die Polizeibeamten einen Zettel mit der Aufschrift "polizeilich geschlossen" angebracht und dem Kläger falsche Auskunft über die weitere Behandlung der Sache gegeben hätten.

Die erste Instanz wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs ab. Das Berufungsgericht erachtete den Rechtsweg für zulässig und verwies die Sache an die erste Instanz zurück. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil insoweit aufgehoben, als die Klage darauf gestützt wurde, daß die Schließung des Geschäfts zu Unrecht erfolgt sei. In diesem Umfange wurde die Berufung des Klägers gegen das Urteil der ersten Instanz zurückgewiesen.

Gründe

"Der Kläger leitet seinen Schadensersatzanspruch aus dem Gesetze vom 1. August 1909 in Verb. mit § 839 BGB. ab. Nach § 6 des Gesetzes über die Zulässigkeit des Rechtswegs in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 kann er aber einen solchen Anspruch wegen unberechtigter Schließung des Geschäfts im Rechtswege nur unter der Voraussetzung geltend machen, daß die in der Schließung liegende polizeiliche Verfügung als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben worden ist. Dazu genügt es, wenn die Verfügung von der vorgesetzten Behörde, sei es auf Beschwerde oder von Amts wegen, mißbilligt wird (RGZ. Bd. 20 S. 303). Der vorgesetzten Behörde ist der Militärbefehlshaber gleichzustellen, auf den im Falle des Belagerungszustandes oder, was dem gleichsteht, des Kriegszustandes (Art. 68 RVerf.) nach § 4 des Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 die vollziehende Gewalt übergeht, dessen Anordnungen die Zivilverwaltungsbehörden und die Gemeindebehörden Folge leisten müssen, und dessen allgemeine Anordnung im vorliegenden Falle nach der Behauptung des Klägers die Polizeibehörde mit Unrecht angewendet haben soll. Zur Eröffnung des Rechtswegs würde es daher genügt haben, wenn der Oberbefehlshaber in den Marken die Schließung des Geschäfts als gesetzwidrig oder unzulässig mißbilligt hätte.

Eine solche Mißbilligung ist aber in der Mitteilung vom 2. September 1914 nicht zu finden. Die Bekanntmachung vom 2. August 1914 spricht allgemein und ohne jede Unterscheidung von "Weizenmehl" und bestimmt weiter, daß Verkaufsstellen, deren Inhaber den Bestimmungen der Bekanntmachung zuwiderhandeln, von der Polizeibehörde zu schließen seien. Dem entsprach das Vorgehen der Polizeibehörde. Allerdings sollte sich die Bekanntmachung vom 2. August 1914 nach einer von dem Oberbefehlshaber in dem Strafverfahren gegen den Kläger erteilten Auskunft auf Auszugsmehle nicht beziehen. Allein davon war, als der Kläger die Wiedereröffnung seines Geschäfts betrieb, keine Rede. Er machte in seiner Erklärung keineswegs geltend, daß die Bekanntmachung Mehl der von ihm verkauften Art nicht betreffe, sprach auch nicht von Auszugsmehl, sondern nur von sehr gutem amerikanischem Weizenmehl, entschuldigte sich mit "Versehen" und bat, aus Erwägungen der Billigkeit ihm die Wiedereröffnung seines Geschäfts zu gestatten. Der Oberbefehlshaber hatte unter diesen Umständen keinen Anlaß, sich über die Schließung auszusprechen, und beschränkte sich inhaltlich der Mitteilung vom 2. September 1914 darauf, der Bitte des Klägers entsprechend die Wiedereröffnung zu gestalten. Der Rechtsweg ist daher insoweit ausgeschlossen, als die Klage darauf gestützt wird, daß die Schließung des Geschäfts zu Unrecht erfolgt sei. In diesem Umfange ist der Revision stattzugeben.

Soweit dagegen der Kläger zur Begründung seines Anspruchs Amtspflichtverletzungen der Polizeibeamten nach anderer Richtung (Anbringung eines Zettels "polizeilich geschlossen", falsche Auskunft) behauptet, ist der Rechtsweg zulässig. § 6 des Gesetzes vom 11. Mai 1842 ist hier nicht anzuwenden. Denn es handelt sich weder um polizeiliche Verfügungen im Sinne dieser Vorschrift noch um Maßregeln, die eine notwendige Folge der Schließung des Geschäfts darstellen. Das gilt auch von der Anbringung des Zettels "polizeilich geschlossen". Die Begründung der Klage geht dahin, daß ein Amtsmißbrauch in diesem Punkte auch dann vorliege, wenn die Schließung des Geschäfts an sich nicht zu beanstanden sei. Insoweit ist also die Entscheidung des Berufungsgerichts, das den Rechtsweg allgemein für zulässig erklärt, gerechtfertigt, die Revision der Beklagten unbegründet."