RG, 18.09.1917 - III 122/17

Daten
Fall: 
Bezirksschornsteinfeger
Fundstellen: 
RGZ 90, 408
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.09.1917
Aktenzeichen: 
III 122/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Verden
  • OLG Celle

Haftet der Hauseigentümer für die Sicherheit des Zuganges zu den in seinen Baulichkeiten befindlichen Schornsteinen dem Bezirksschornsteinfeger sowohl aus § 823 BGB. als aus Vertrag?

Tatbestand

Der Kläger - seit dem 1. Oktober 1910 kraft Bestellung durch den Landrat Bezirksschornsteinfegermeister für den den Ort B. umfassenden Kehrbezirk W. - hat am 1. Juni 1915 bei dem der Beklagten gehörigen Hause B. Nr. 44 den linken Fuß gebrochen, als er, um den Schornstein zu fegen, die zum Hineinsteigen in den nur so zugänglichen Budenraum bestimmte, außen stehende 4,25 m lange Leiter bestieg. Die tannenen Holme der vor etwa vier Jahren gefertigten, ständig außen stehen gelassenen Leiter waren durch die in die Holzrisse eingedrungene Nässe von innen faul geworden und brachen unter dem Kläger zusammen, der so zu Boden stürzte und den genannten Schaden erlitt. Die Beklagte ist eine Pulverfabrik mit Tausenden von Arbeitern, die in vielen der Beklagten gehörigen Häusern mietweise untergebracht sind; eines dieser Arbeiterhäuschen ist B. Nr. 44.

Der Kläger fordert Schadensersatz. Das Landgericht verurteilte aus unerlaubter Handlung und aus Vertrag. Der Berufungsrichter wies die Berufung der Beklagten zurück, verneinte jedoch ein Verschulden der Beklagten nach § 823 BGB. und bejahte nur die Haftung aus Dienstvertrag.

Die Revision der Beklagten ist zurückgewiesen worden.

Gründe

"Zu Unrecht scheidet der Berufungsrichter den § 823 BGB. aus, weil sich ein Verschulden der "Repräsentanten" der Beklagten nicht herleiten lasse: es sei ausgeschlossen, daß die Unternehmer und Leiter eines so großen Betriebes sich um jedes Arbeiterhaus und um jede Einzelheit wie eine Leiter irgend kümmerten.

Diese Erwägung muß als durchaus fehlgehend abgelehnt werden. Von dem ordnungsmäßigen baulichen Zustande der von der Beklagten an ihre Arbeiter vermieteten Häuser hängt Leben und Gesundheit der Tausende von Arbeitern ab. Darum war die Beklagte verpflichtet, den baulichen Zustand zwar nicht durch ihre verfassungsmäßigen Vertreter persönlich, wohl aber durch einen geeigneten Bausachverständigen ständig überwachen zu lassen, diesen Sachverständigen gehörig anzuweisen und ihrerseits fortlaufend zu beaufsichtigen. Diese Verpflichtung folgt aus dem mit den Arbeitern geschlossenen Mietvertrag und zugleich (vgl. RGZ. Bd. 88 S. 433, Bd. 89 S. 122) aus § 823. Die Beklagte hat aber nicht einmal behauptet, daß der von ihr mit der Aufsicht über die Arbeiterhäuser betraute Beamte ein Bausachverständiger war, geschweige, daß sie diesen Beamten in der Richtung auf die Überwachung des baulichen Zustandes angewiesen und ihrerseits beaufsichtigt hat. Die Beklagte trifft eigenes Verschulden aus § 823, so daß der Entschuldigungsbeweis aus § 831 BGB. nicht in Frage kommt. Wäre die Beklagte dieser ihrer Verpflichtung nachgekommen, so wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Leiter nicht ständig außen jeder Witterung ausgesetzt geblieben oder sie wäre wenigstens ständig von Zeit zu Zeit auf ihre Tragfähigkeit geprüft worden.

Die Beklagte haftet aber auch aus Vertrag, wie der Berufungsrichter zutreffend annimmt. Der hiergegen gerichtete Angriff der Revision geht fehl. Die Revision bestreitet selbst nicht, daß wenigstens der Anspruch des Bezirksschornsteinfegermeisters auf Zahlung des Kehrlohns ein privatrechtlicher ist. Dies findet sich auch bereits entschieden im Urteile des 4. Zivilsenats des Reichsgerichtes vom 24. Oktober 1889 (bei Reger Bd. 11 S. 10) und dies findet sich in betreff der jetzigen Parteien bestätigt in der Anstellungsurkunde des Klägers vom 1. Oktober 1910, in welcher der Kehrlohn wiederholt als eine dem Kläger privatrechtlich zustehende Gebühr bezeichnet wird. Ein privatrechtlicher Zahlungsanspruch kann aber nur erwachsen aus einem durchweg privatrechtlichen Verhältnis. Ein solches liegt vor und wird dadurch in seiner Natur nicht verändert, daß die Polizeiverordnung! des Regierungspräsidenten von Lüneburg vom 5. Februar 1913 in § 4 Nr. 1 die Verpflichtung jedes Hausbesitzers aufstellt, die Reinigung der in seinen Baulichkeiten befindlichen Schornsteine von dem zuständigen Bezirksschornsteinfegermeister vornehmen zu lassen, und daß es öffentlichrechtlich die Verpflichtung des Klägers war, das Fegen in seinem Bezirk auf Rechnung der Hausbesitzer vorzunehmen. Der Zwang beider Teile zum Abschlusse des Kehrvertrags beseitigt keineswegs dessen privatrechtliche Grundlage und privatrechtlichen Inhalt. Mit Recht hat also der Berufungsrichter die §§ 278, 618 BGB. angewendet." ...