RG, 28.05.1889 - III 88/89

Daten
Fall: 
Einrede der durch Ehebruch des Klägers eingetretenen Kompensation
Fundstellen: 
RGZ 23, 142
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
28.05.1889
Aktenzeichen: 
III 88/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Dessau
  • Oberlandesgericht Naumburg

Darf der Richter in Ehescheidungssachen die Einrede der durch Ehebruch des Klägers eingetretenen Kompensation von Amts wegen berücksichtigen, wenn sie von dem Beklagten nicht geltend gemacht ist?

Aus den Gründen

... "Es bleibt nur der von beiden Parteien gegen das Berufungsurteil erhobene und übereinstimmend zu begründen versuchte Angriff, daß in demselben die Einrede der Kompensation gegen Klage und Widerklage berücksichtigt worden, obgleich sie weder von der einen noch von der anderen Seite vorgebracht sei. Auch hierin kann aber eine Verletzung prozessualischer Grundsätze, wie sie behauptet wird, nicht gefunden werden.

Zwar kann der vorigen Instanz darin nicht beigetreten werden, daß die sog. Einrede der Kompensation in Wahrheit nur ein Bestreiten der vom Kläger zu behauptenden Voraussetzung seines Scheidungsanspruches bilde, der nämlich, daß er selbst die eheliche Treue nicht verletzt habe. Vielmehr erscheint die Klage durch den Ehebruch des anderen Gatten begründet, und es bildet den Inhalt einer wahren Einrede des letzteren, wenn er geltend macht, ersterer befinde sich in gleicher Schuld. Die Kap. 6 und 7 X de adult. 5, 16 enthalten nur den materiellen Rechtssatz, nicht aber ein prozessualisches Prinzip; dieses ist auch im gemeinen Rechte nirgends anerkannt und vom Reichsgerichte,1 selbst für die Desertionsklage verneint worden, für die es in Partikularrechten mehrfach anerkannt wird. Wenn daher vorliegenden Falles beide Gatten, wie als bewiesen anzusehen, Ehebruch begangen haben, so stand der Klage des einen, ebenso wie der Widerklage des anderen die Einrede der Kompensation wirksam entgegen. Weder der eine noch der andere Teil hat sie vorgebracht, aber mit Recht hat der Berufungsrichter, wie er eventuell ausführt, angenommen, daß er trotzdem die derselben zu Grunde liegenden Thatsachen bei der Entscheidung berücksichtigen durfte.

Zwar konnte er sich nicht, wie er zu thun scheint, direkt auf die Vorschrift des §. 581 C.P.O. berufen, welcher dem Richter verstattet, zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ehe Thatsachen zu berücksichtigen, welche von den Parteien nicht vorgebracht sind. Denn vorgebracht ist die Thatsache des Ehebruches des einen wie des anderen Teiles, gerade auf diese Thatsache von jedem der Anspruch auf Scheidung gestützt und nur vermieden, sich auf sie zu berufen, um den Anspruch des anderen Teiles dadurch zu beseitigen. Wenn der Richter aber zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Ehe sogar befugt ist, eine nicht einmal von den Parteien vorgebrachte Thatsache von Amts wegen zu berücksichtigen, ja zum Gegenstande einer Beweiserhebung zu machen, so muß ihm um so gewisser gestattet sein, eine von den Parteien behauptete und feststehende Thatsache von Amts wegen "zu berücksichtigen", d. h. die Folgerungen daraus zu ziehen, welche das Recht im Interesse der Aufrechterhaltung der Ehe an sie knüpft. Es ist das eine weitere Konsequenz des den Eheprozeß beherrschenden, die Verhandlungsmaxime zu Gunsten der Ehe einschränkenden Prinzipes, wie es, wenn auch nicht in gleicher Ausdehnung, schon im gemeinen Prozeßrechte galt, und wie es auch im §. 577 C.P.O. noch einen anderweiten Ausdruck gefunden hat."

  • 1. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 18 S. 230