RG, 09.07.1884 - I 200/84

Daten
Fall: 
Zurücknahme der Berufung und Klage
Fundstellen: 
RGZ 15, 424
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.07.1884
Aktenzeichen: 
I 200/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Thorn
  • OLG Marienwerder

1. Abgrenzung der Anwendbarkeit des §. 94 C.P.O.
2. Zurücknahme der Berufung im Sinne von §. 476 Abs. 1 C.P.O., oder Zurücknahme der Klage im Sinne von §. 243 Abs. 1 C.P.O. ?
3. Abgrenzung der Anwendbarkeit des §. 89 C.P.O.

Tatbestand

Klagend war beantragt, den Beklagten zu verurteilen, seine Bemühungen anzuwenden dazu, daß seine Eltern dem Kläger mit einem gewissen Grundstücke Kaution in Höhe von 3000 M für die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Beklagten dem Kläger gegenüber aus einem gewissen Vertrage bestellen. Das Gericht erster Instanz wies die Klage unter Verurteilung des Klägers in die Prozeßkosten ab. Der Kläger legte Berufung ein, richtete aber schließlich seinen Berufungsantrag nur dahin, den Klaganspruch für erledigt zu erklären, dem Beklagten jedoch die Prozeßkosten aufzuerlegen, indem er angab, durch die Beweisaufnahme überzeugt worden zu sein, daß der Beklagte die klagend verlangten Bemühungen schon vor der Klagerhebung vergeblich angewandt habe, dabei aber sich in Ansehung des Kostenpunktes darauf berief, daß der Beklagte ihm dies vor der Klagerhebung nicht mitgeteilt habe. Das Berufungsgericht änderte das erste Urteil dahin ab, daß der Klaganspruch in der Hauptsache für erledigt erklärt, und die Entscheidung über die Prozeßkosten von einem dem Kläger auferlegten Eide abhängig gemacht wurde, mittels dessen er beschwören sollte, daß der Beklagte ihm vor der Klagezustellung keine Mitteilung von der Erfolglosigkeit seiner betreffenden Bemühungen gemacht habe. Auf Revision des Beklagten hob aber das Reichsgericht das Berufungsurteil auf und wies in der Sache selbst die Berufung des Klägers zurück, legte auch dem letzteren die Kosten der Berufungs- und der Revisionsinstanz auf aus folgenden Gründen:

Gründe

"Ganz ohne Grund hat der Kläger die Zulässigkeit der Revision bestritten, weil sie nur den Kostenpunkt betreffe, und daher §. 94 C.P.O. zur Anwendung komme. Der Revisionsantrag ist vielmehr dahin gerichtet, auch in der Hauptsache das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen, statt den Klaganspruch in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Hiernach steht auch die Zulässigkeit des Rechtsmittels nach §. 508 C.P.O. außer Zweifel, weil der Nennwert des Beschwerdegegenstandes 3000 M beträgt.

Ebenso unbegründet mußte aber freilich aus entsprechenden Erwägungen auch der erste Angriff des Beklagten erscheinen, welcher dem Berufungsgerichte einen Verstoß gegen den §. 94 C.P.O. vorgeworfen hat, weil die Berufung, nachdem der Kläger seinen Berufungsantrag verändert und in Ansehung der Hauptsache nur noch den Klaganspruch für erledigt zu erachten beantragt hatte, als unzulässig hätte verworfen werden sollen. Auch der veränderte Berufungsantrag betraf eben nicht bloß den Kostenpunkt, sondern zugleich die Hauptsache, indem an die Stelle der Abweisung des Klagantrages ... die Erledigungserklärung gesetzt werden sollte. Hiervon ging auch der eigene zweite Angriff des Beklagten aus, welcher ebendaher mit dem ersten Angriffe in vollkommenem inneren Widerspruche stand. Dieser zweite Angriff erwies sich nun aber auch als begründet.

Indem das Oberlandesgericht, ungeachtet des Beharrens des Beklagten auf dem Antrage, die Berufung zurückzuweisen, statt dessen den Klaganspruch in der Hauptsache bloß deshalb für erledigt erklärte, weil der Kläger hierauf angetragen hatte, hat es zwar nicht, wie der Beklagte in der Revisionsverhandlung geltend gemacht hat, gegen die Bestimmung des §. 476 Abs. 1 C.P.O. verstoßen, wonach die Berufung nach dem Beginne der mündlichen Verhandlung nicht mehr ohne Einwilligung des Berufungsbeklagten zurückgenommen werden kann; denn eine Zurücknahme der Berufung stand gar nicht in Frage, da ja der Kläger gerade dabei blieb, eine Abänderung des ersten Urteiles zu verlangen, wenn auch eine andere, als er anfänglich beantragt hatte. Wohl aber ist gegen §. 243 Abs. 1 C.P.O. verstoßen. Indem der Kläger seinen Klaganspruch für erledigt zu erachten bat, nachdem er sich durch das Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt hatte, daß der Beklagte die klageweise verlangten Bemühungen schon vor der Klagerhebung vergeblich angewandt habe, erklärte er der Sache nach seine Klage zurückzunehmen, weil er sie für unbegründet erkannt hatte, und eben auf Grund dieser Zurücknahme verlangte er Abänderung des ersten Urteiles in dem erwähnten Sinne; der Beklagte aber verweigerte seine Einwilligung, indem er auf Zurückweisung der Berufung bestand. Deshalb hätte nun ohne Rücksicht auf die neue Erklärung des Klägers über Grund oder Ungrund der Berufung erkannt werden müssen, und die Entscheidung, daß der Klaganspruch erledigt sei, war falsch. Dies mußte zur Aufhebung des angefochtenen Urteiles führen, und da die Sache zur Endentscheidung reif war, zu weiterem Erkenntnisse in der Sache selbst. Das Oberlandesgericht hat nämlich ohne Rechtsirrtum thatsächlich festgestellt, daß der Beweis, daß der Beklagte die von ihm verlangten Bemühungen schon früher angewandt habe, durch das Zeugnis der Frau H. erbracht sei. Es war also auf Grund der Einrede der Erfüllung jedenfalls die Klage abzuweisen, und es mußte daher beim Urteile der ersten Instanz verbleiben.

Was die Prozeßkosten anlangt, so hat das Oberlandesgericht von seinem eigenen Standpunkte aus dadurch gegen §. 243 Abs. 3 C.P.O. verstoßen, daß es dieselben nicht einfach dem seine Klage zurücknehmenden Kläger auferlegte. Jetzt hat für die Kostenentscheidung §. 92 Abs. 1, bezw. §. 87 Abs. 1 C.P.O. zur Anwendung zu kommen. Der vom Oberlandesgerichte auferlegte Eid war auf alle Fälle unerheblich. Denn nach §. 89 C.P.O. sind zwar nur unter der Voraussetzung, daß der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat, dem Kläger die Prozeßkosten dann zur Last zu bringen, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt; nicht aber findet diese Bestimmung Anwendung, wenn der Beklagte die Klage durch den Beweis einer Erfüllungseinrede zurückschlägt, wo vielmehr den Kläger die Kostenlast unbedingt trifft."