RG, 20.12.1918 - II 204/18

Daten
Fall: 
Ungerechtfertigte Bereicherung im Falle der Nichtigkeit
Fundstellen: 
RGZ 94, 253
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.12.1918
Aktenzeichen: 
II 204/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Was ist im Falle der Nichtigkeit eines beiderseits erfüllten Kaufvertrags als ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben?

Tatbestand

Am 13. April 1916 bot der Beklagte der Klägerin bis zu 9000 Pfund dänischen Goudakäse für 2,28 M das Pfund zum Kauf an. Die Klägerin erklärte telegraphisch die Annahme des Angebots und bestellte dem Beklagten, nachdem dieser ihr durch Brief vom 14. April 1916 das Zustandekommen des Geschäfts bestätigt hatte, vereinbarungsgemäß bei ihrer Bank in Hamburg einen Kredit in Höhe des Kaufpreises. Der Beklagte sandte die Ware, und zwar 7960 Pfund, an die Klägerin ab und erhielt von der Bank gegen Aushändigung des Duplikatfrachtbriefes den Betrag von 18148,80 M ausbezahlt. Am 3. und 4. Mai 1916 zeigte die Klägerin dem Beklagten an, daß etwa 30 Zentner der Ware verdorben seien. Da der Beklagte die Zurücknahme ablehnte, ließ sie am 14. August 1916 die ganze Sendung durch einen Gerichtsvollzieher öffentlich versteigern und forderte sodann von dem Beklagten die Zurückzahlung des Kaufpreises abzüglich des erzielten Versteigerungserlöses von rein 3396,55 M. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage, weil die Bemängelung der Ware ungerechtfertigt sei, er wurde aber vom Landgerichte zur Zurückzahlung der geforderten 14752,25 M verurteilt. In der Berufungsinstanz machte er geltend, daß der Kaufvertrag mangels der durch § 88 Nr. 7 Abs. 2 der Landgemeindeordnung vom 3. Juli 1891 vorgeschriebenen Form nichtig und der von der Klägerin erhobene Wandelungsanspruch aus diesem Grunde hinfällig sei. Die Klägerin entgegnete, ihr Vertreter, der Gemeindeschöffe K., sei durch Gemeindebeschluß mit der Bearbeitung der Verpflegungsangelegenheiten und daher auch mit der Bearbeitung der hier in Rede stehenden Angelegenheit beauftragt gewesen; sollte er aber trotzdem keine Vertretungsmacht gehabt haben und der mit dem Beklagten geschlossene Vertrag nichtig sein, so sei ihr Anspruch nach § 812 BGB. berechtigt. Das Kammergericht billigte letzteres und wies die Berufung des Beklagten zurück. Die Revision blieb erfolglos.

Gründe

... "Es unterliegt keinem Bedenken, daß der im April 1916 zwischen den Parteien abgeschlossene Kaufvertrag wegen Nichtbeobachtung der Form des § 88 Nr. 7 Abs. 2 der Landgemeindeordnung vom 3. Juli 1891 (GS. S. 233) nichtig ist. Denn wenn auch der Gemeindeschöffe K. als Vorsitzender der Nahrungsmittelversorgungskommission der Klägerin deren Ernährungsangelegenheiten und damit die hier in Rede stehende Angelegenheit zu bearbeiten hatte, so kann doch nicht davon die Rede sein, daß ein Geschäft, wie der Ankauf von etwa 80 Zentner Käse, das die Klägerin zur Zahlung eines Kaufpreises von mehr als 18000 M verpflichten sollte, zu den keines Gemeindebeschlusses bedürftigen und deshalb von der Form des § 88 a. a. O. befreiten Geschäften der laufenden Verwaltung gehört hätte (RGZ. Bd. 64 S. 408, Bd. 73 S. 205, Warneyer 1912 Nr. 143. 474).

Aus der Nichtigkeit des Kaufvertrags ergab sich nun zwar nicht, wie das Berufungsgericht meint, für jede Partei gegen die andere ein völlig selbständiger Bereicherungsanspruch, so daß es Sache des Beklagten gewesen wäre, gegenüber dem von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Rückzahlung des aus ihrem Vermögen an ihn gelangten Kaufpreisbetrags seinen eigenen Bereicherungsanspruch durch Widerklage, Zurückbehaltung oder Aufrechnung geltend zu machen. Eine solche Auffassung findet in dem vom Berufungsgericht angeführten, lediglich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts betreffenden Urteile des erkennenden Senats vom 25. Oktober 1901 (RGZ. Bd. 49 S. 421) keine Stütze (vgl. Warneyer 1910 Nr. 406). Vielmehr geht die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts dahin:

Im Falle der Nichtigkeit eines beiderseits erfüllten Kaufvertrags hat gemäß §§ 812, 818 Abs. 1 BGB. jeder Teil in erster Linie einen Anspruch auf Rückgabe der von ihm gemachten Leistung in Natur. Können aber die beiderseitigen Leistungen nicht mehr in Natur zurückgegeben werden, so ist es nicht angängig, für die Frage, inwieweit eine Partei bereichert ist, bloß die von ihr empfangenen Leistungen in Betracht zu ziehen. Es entspricht vielmehr dem natürlichen Rechtsgefühl und der Billigkeit, daß die durch Leistung und Gegenleistung erwachsenen Vorteile und Nachteile gegeneinander abgewogen, sonach alle Nachteile, die mit dem die Grundlage des Bereicherungsanspruchs bildenden Tatbestand in einem ursächlichen Zusammenhange stehen, als Vermögensminderung berücksichtigt werden. Nur der so sich ergebende Überschuß stellt sich als ungerechtfertigte Bereicherung dar. Zurückbehaltungs- und Aufrechnungsgrundsätze kommen dabei nicht zur Anwendung. Der Wegfall der Bereicherung braucht nicht einredeweise geltend gemacht zu werden, er ist zu berücksichtigen, wenn er sich aus dem Sachverhältnis ergibt. Der Werterstattungsanspruch ist in sich beschränkt (vgl. RGZ. Bd. 54 S. 137, Bd. 72 S. 1, Bd. 86 S.343; Gruchot Bd. 55 S. 963, Bd. 62 S. 239).

Diese Sätze, an denen der Senat festhält, führen aber nicht zu dem von der Revision gezogenen Schlusse, daß der Beklagte nur um den Überschuß des empfangenen Kaufpreises über den Wert der Ware zur Zeit der Lieferung ungerechtfertigt bereichert wäre. Solange die Rückgabe in Natur möglich war, hatte jeder Teil dem anderen lediglich das als Leistung Empfangene herauszugeben. Der Beklagte hätte also gegen Rückempfang der Ware den vollen Kaufpreis zurückzahlen müssen, auch wenn die Ware sich inzwischen erheblich verschlechtert und dadurch den Wert verloren hatte. Denn nach Bereicherungsgrundsätzen traf die Gefahr der Wertverringerung nicht die Klägerin, sondern den Beklagten. Es erscheint deshalb nicht zulässig, jetzt, nachdem die Rückgabe der Ware in Natur unmöglich geworden ist, als das, was der Beklagte gegen Empfang des Kaufpreises aus seinem Vermögen aufgeopfert hat, den Wert anzusehen, den die Ware zur Zeit der Lieferung hatte. Vielmehr entspricht es den Bestimmungen des § 818 Abs. 2, 3, im Verhältnis der Parteien zueinander nur das als vom Beklagten aufgeopfert gelten zu lassen, was von dem Werte der Ware noch im Vermögen der Klägerin vorhanden ist. Das ist nach dem feststehenden Sachverhalte der Betrag des bei der Versteigerung der Ware erzielten Reinerlöses, so daß die grundlose Bereicherung des Beklagten in dem Überschusse des empfangenen Kaufpreises über diesen Betrag besteht, der Beklagte also mit Recht zur Zahlung der 14752,25 M verurteilt worden ist." ...