RG, 20.12.1881 - III 481/81

Daten
Fall: 
Beglaubigung eines zuzustellenden Schriftstückes durch den Anwalt
Fundstellen: 
RGZ 6, 361
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.12.1881
Aktenzeichen: 
III 481/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Gießen
  • OLG Darmstadt

Inwiefern ist im Anwaltsprozesse die Beglaubigung eines zuzustellenden Schriftstückes durch den Anwalt ein wesentliches Erfordernis des Zustellungsaktes?

Tatbestand

Der Revisionsbeklagte bestritt vor dem Eintreten in die mündliche Verhandlung zur Hauptsache, daß das Rechtsmittel der Revision ordnungsmäßig eingelegt sei; er machte insbesondere geltend, daß die dem Anwalte zweiter Instanz zugestellte Abschrift der Revisionsschrift entgegen der Vorschrift des §. 156 Abf. 2 C. P. O. nicht von dem für die dritte Instanz bestellten Anwalte der Revisionskläger beglaubigt worden sei. Der letztere hielt dagegen die Förmlichkeiten des Rechtsmittels für gewahrt, da der §. 156 C. P. O. die Beglaubigung der zuzustellenden Abschriften durch den Anwalt nicht unter Androhung der Nichtigkeit des Aktes der Zustellung fordere, überdies im vorliegenden Falle die vorgeschriebene Beglaubigung mindestens notdürftig dadurch gewahrt erscheine, daß das zugestellte Schriftstück am oberen linken Rande der ersten Seite den durch Druck hergestellten Namen des Anwaltes trage und zugleich mit dem Stempel des Gerichtsvollziehers "Eingegangen 4. Juni 1881" versehen sei. Wenn daher auch am Schlusse der Revisionsschrift die Beglaubigung durch den zustellenden Anwalt fehle, so könne doch an der Identität der fraglichen Abschrift und deren Übereinstimmung mit dem Originale ein begründeter Zweifel nicht obwalten.

Die zugestellte Abschrift der Revisionsschrift wurde vorgelegt und ergab die Richtigkeit der thatsächlichen Behauptung des Vertreters der Revisionskläger hinsichtlich der Übereinstimmung der der Gegenpartei zugestellten Abschrift der Revision mit der bei dem Reichsgerichte unterm 4. Juni 1881 eingegangenen, übrigens ebenfalls nicht beglaubigten "Abschrift für den Gerichtshof". Diese Übereinstimmung wurde auch von dem Revisionsbeklagten anerkannt.

Das Reichsgericht wies die eingelegte Revision als unzulässig zurück.

Aus den Gründen

"Die Revisionsschrift konnte nach §§. 156. 515 C. P. O. nicht für ordnungsmäßig zugestellt angesehen werden.

Der Akt der Zustellung an den Gegner im Prozesse besteht, wenn eine Abschrift zugestellt werden soll, gemäß §§. 156. 173 C. P. O. in der Beglaubigung des zuzustellenden Schriftstückes. in dessen Übergabe an den Empfänger und in der Beurkundung dieses Vorganges durch den Zustellungsbeamten, bezw. den Anwalt der betreibenden Partei. Jene Beglaubigung ist somit ein integrierender Bestandteil des Zustellungsaktes selber, und ihr Mangel macht den letzteren unwirksam. Zwar ist eine bestimmte Form der Beglaubigung, namentlich beider Zustellung eines Schriftstückes durch den Anwalt, nicht vorgeschrieben. Da jedoch deren Zweck darin besteht, die Übereinstimmung der von der Partei selbst gefertigten und dem Gegner zuzustellenden Abschrift mit der in der Hand der Partei zurückbleibenden Urschrift in formeller Weise festzustellen, so muß sie sich notwendig auf den ganzen Inhalt des Schriftstückes erstrecken und kann durch kein anderes Beweismittel für die Übereinstimmung, insbesondere auch nicht durch ein etwaiges Zugeständnis des ordnungswidrig geladenen Gegners ersetzt werden.

Im vorliegenden Falle ist sowohl die dem Gerichte zum Zwecke der Terminsbestimmung überreichte, als auch die dem Prozeßbevollmächtigten des Revisionsbeklagten behändigte Abschrift der Revisionsschrift ein durch Druck hergestelltes. an den offen gelassenen Stellen handschriftlich ausgefülltes Formular, das am oberen linken Rande der ersten Seite und am Schlusse auf der zweiten Seite den (gedruckten) Namen des Anwaltes der Revisionskläger enthält. Dies ist weder für sich allein, noch in Verbindung damit, daß die für den Gerichtshof und die für den Gegner bestimmte Abschrift des Schriftsatzes den Stempel des Gerichtes. bezw. des Gerichtsvollziehers über den Tag des Einganges der Abschriften bei dem Reichsgerichte (4. Juni 1881) trägt, für eine Beglaubigung des zuzustellenden Schriftsatzes im Sinne des Gesetzes zu betrachten. Denn hierdurch wurde dem Zustellungsempfänger keine Garantie dafür geboten, daß eine wirkliche Übereinstimmung der zugestellten Revisionsschrift ihrem gesamten Inhalte nach mit dem Originale bestehe.

Wenn, wie der Vertreter der Revisionskläger hervorhebt, das Reichsgericht bereits in einem früheren Falle1 eine notdürftige Beglaubigung der zugestellten Kopie der Revisionsschrift in einem derselben aufgedrückten Anwaltsstempel gefunden hat, so lag jener Fall von dem gegenwärtigen verschieden. Dort war die dem Gerichte überreichte Abschrift von dem betreibenden Anwalte durch Namensunterschrift beglaubigt, und es ergab sich aus den Umstanden, daß der Anwalt durch Beifügung seines Trockenstempels auf dem zuzustellenden Schriftstücke auch dessen Beglaubigung bezweckte, während hier der Name des zustellenden Anwaltes offenbar im voraus beigedruckt ist und überdies die am Schlüsse des Schriftsatzes befindlichen Worte: "Für die Abschrift" durchstrichen sind, sodaß einerseits der aufgedruckte Name des Anwaltes nicht den ganzen Inhalt des zugestellten Schriftstückes deckt, andererseits aber auch erhellt, daß der zustellende Anwalt überhaupt nicht die Absicht hatte, eine Beglaubigung vorzunehmen.

Mit Unrecht behauptet der Vertreter der Revisionskläger, es lasse sich aus §. 156 C. P. O. nicht herleiten, daß der Zustellungsakt bei dem Mangel der Beglaubigung des zugestellten Schriftstückes nichtig sei. Der Zustellungsempfänger hat ein Recht darauf, daß er ordnungsmäßig, in der gesetzlich vorgeschriebenen Form, geladen wird, er begiebt sich seines Rügerechtes nur durch ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht, in Gemäßheit der in §. 267 C. P. O. enthaltenen, nach §. 520 auch für die Revisionsinstanz geltenden Vorschriften, nicht aber auch dadurch, daß er der ordnungswidrigen Ladung Folge leistet, sobald er nur, ohne in die Verhandlung der Sache selbst einzutreten, die Unzulässigkeit des Rechtsmittels geltend macht."

  • 1. Urt. des I. Civilsenats v. 14. Juli 1881 i. S. St. zu H. (Bekl.) w. S. (Kl.) Rep. I. 556/81 D. E.