RG, 09.06.1884 - I 35/84

Daten
Fall: 
Abhängiges Patent im Nichtigkeitsverfahren
Fundstellen: 
RGZ 12, 123
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.06.1884
Aktenzeichen: 
I 35/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Patentamt

Kann im Nichtigkeitsverfahren das als nichtig angefochtene Patent für abhängig von einem anderen Patente erklärt werden?

Tatbestand

1.

Kläger war mit dem Antrage, das dem Beklagten erteilte Patent Nr. 17041 für nichtig zu erklären, von dem Patentamte abgewiesen worden. In der Berufungsinstanz beantragte er, dasselbe von dem ihm selbst erteilten Patente Nr. 5403 abhängig zu erklären. Das Reichsgericht verwarf diesen Antrag als unzulässig.

Aus den Gründen

"Dem Antrage, das Patent Nr. 17041 von dem Patente Nr. 5403 abhängig zu erklären, konnte im Nichtigkeitsverfahren nicht entsprochen werden.

Durch diesen Antrag begehrt Kläger nicht einen Ausspruch dahin, daß ersteres Patent von dem letzteren in dem Sinne abhängig sei, daß seine Existenz durch die Existenz des letzteren bedingt und seine Dauer auf die Dauer des letzteren beschränkt sei. Von einer derartigen Abhängigkeit eines Patentes von einem anderen, welche das Patentgesetz nur bei Zusatzpatenten (§. 7 Abs. 2) kennt, ist hier nicht die Rede.

Kläger verlangt vielmehr einen Ausspruch dahin, daß das Recht des Beklagten, aus dem ihm erteilten Patente Nr. 17041 von der Berechtigung des Klägers aus dem ihm erteilten Patente Nr. 5403 dergestalt abhängig sei, daß Beklagter jenes Recht nicht ohne die Erlaubnis des Klägers zur Benutzung der im Patente Nr. 5403 beschriebenen Einrichtung ausüben dürfe, mithin die Ausübung jenes Rechtes ohne solche Erlaubnis des Klägers das Recht desselben aus dem Patente Nr. 5403 verletze.

Es steht aber dem in der Berufungsinstanz entscheidenden Reichsgerichte so wenig wie dem in erster Instanz entscheidenden Patentamte zu, hierüber in dem durch §§. 27 flg. des Patentgesetzes geordneten Nichtigkeitsverfahren zu erkennen. Vielmehr steht, wie bereits in der Entscheidung des Reichsgerichtes vom 16. April 1883 (Patentblatt von 1883 S. 217) ausgesprochen worden ist, das Erkenntnis hierüber lediglich den ordentlichen Gerichten zu, gleichviel ob wegen einer bereits stattgehabten Verletzung des Rechtes aus dem früheren Patente der Civil- oder Strafrechtsweg beschritten worden ist, oder ob der Streit über den Umfang des Rechtes aus dem früheren Patente und dessen Verhältnisse zu dem Rechte aus dem späteren Patente mittels einer Feststellungsklage (§. 231 C.P.O.) zum Austrage gebracht wird.

Allerdings können auch im Nichtigkeitsverfahren in erster oder zweiter Instanz Entscheidungen stattfinden, welche im Erfolge darauf hinauslaufen, daß das Recht aus dem im Nichtigkeitsverfahren aufrecht erhaltenen Patente nicht anders ausgeübt werden kann, als unter Erlaubnis des Inhabers eines anderen Patentes, nämlich wenn das aufrecht erhaltene Patent nur eine Neuerung an einer bereits bekannten und patentierten Erfindung zum Gegenstande hat. Bei einem s. g. Verbesserungspatente, d. h. einem solchen, welches nur bezüglich der Neuerung an einer schon vorher gemachten Erfindung erteilt ist, sodaß von der Neuerung ohne Benutzung der früheren Erfindung nicht Gebrauch gemacht werden kann, setzt die Benutzung des Verbesserungspatentes voraus, daß entweder die frühere Erfindung sich im freien Gebrauche befindet, oder daß, wenn sie patentiert ist, der Patentinhaber dazu seine Einwilligung erteilt (vgl. auch die im Patentblatte 1883 Seite 414 mitgeteilte Entscheidung des ersten Strafsenates des Reichsgerichtes vom 29. September 1883). Diese Beschränkung greift auch dann Platz, wenn im Nichtigkeitsverfahren ein in weiterem Umfange erteiltes Patent unter Nichtigerklärung im übrigen nur insoweit, als es eine Neuerung an einer bekannten und patentierten früheren Erfindung enthält, aufrechterhalten, oder wenn eine Nichtigkeitsklage deshalb abgewiesen wird, weil das angefochtene Patent nur eine Neuerung an einer bekannten und patentierten Erfindung enthalte und insoweit eine patentfähige Erfindung vorliege. Solche Entscheidungen, welche unzweifelhaft von dem Patentamte und dem in der Berufungsinstanz entscheidenden Reichsgerichte getroffen werden können, betreffen aber lediglich die Rechtsbeständigkeit oder Nichtigkeit des angefochtenen Patentes, nicht das Verhältnis dieses Patentes oder des daraus entspringenden Rechtes zu einem anderen Patente oder dem hieraus entspringenden Rechte. Dies ergiebt sich schon daraus, daß dieselbe Entscheidung auch dann zu treffen ist, wenn die frühere Erfindung bekannt, aber nicht patentiert war. Es ist daher unzutreffend und verwirrend, in einem solchen Falle von Abhängigkeitserklärung zu reden, welcher Ausdruck auch dem Patentgesetze fremd ist.

Das Patentamt hat in einer im Patentblatte 1883 Seite 405 veröffentlichten Entscheidung unter Hinweisung auf die daselbst Seite 172 und 217 abgedruckten reichsgerichtlichen Entscheidungen die Ansicht ausgesprochen, daß zwischen den Senaten des Reichsgerichtes bezüglich der Zulässigkeit einer Abhängigkeitserklärung im Nichtigkeitsverfahren eine Meinungsverschiedenheit bestehe. Ob, wenn dies richtig wäre, die Vorschrift des §. 137 G.V.G. Anwendung fände oder dessen Anwendung auf Patentstreitsachen durch §. 2 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze ausgeschlossen wäre, kann dahingestellt bleiben, weil die vermeintliche Meinungsverschiedenheit in der That nicht besteht. In den zur Anwendung gebrachten Rechtsgrundsätzen widersprechen die angeführten Entscheidungen des ersten und zweiten Civilsenates des Reichsgerichtes einander nicht. Nur in sprachlicher Hinsicht weichen sie voneinander ab, indem die Entscheidung des zweiten Civilsenates vom 20. März 1883 ein als nichtig angefochtenes Patent "nur in Abhängigkeit" von einem früher erteilten Patente aufrechterhält, während nach der im vorstehenden ausgeführten Ansicht des ersten Civilsenates die Aufrechterhaltung des angefochtenen Patentes, insoweit dasselbe eine Änderung an der früher patentierten Erfindung zum Gegenstande hat, unter Nichtigerklärung desselben im übrigen ein angemessenerer Ausdruck der Entscheidung gewesen sein würde.

In dem vorliegenden Falle ist es unmöglich, den Antrag auf Abhängigkeitserklärung als Antrag auf Teilnichtigkeitserklärung aufzufassen." ...

2.

In der zweiten Sache hatte das Patentamt gemäß dem An- trage der Klägerin das dem Beklagten erteilte Patent Nr. 25338 für abhängig von dem der Klägerin gehörigen Patente Nr. 12975 erklärt. Auf Berufung des Beklagten wurde der Antrag der Klägerin als vor das Patentamt nicht gehörig abgewiesen, unter Bezugnahme auf die Entscheidung unter Nr. 1 und unter Hinzufügung folgender, durch Gegenausführungen veranlaßter Entscheidungsgründe:

"Unerörtert muß bleiben, ob, wie Berufungsbeklagter ausführt, der Geist der Patentgesetzgebung und das Interesse des Patentwesens es wünschenswert erscheinen lasse, die Beurteilung der gedachten Frage dem Patentamte zuzuweisen, weil dasselbe zur Erkennung und Feststellung der Abhängigkeit eine geeignetere Behörde sei, als die ordentlichen Gerichte. Nicht auf diese vom gesetzgeberischen Standpunkte zu beurteilende Frage kommt es hier an, sondern lediglich darauf, was die bestehenden Rechtsnormen bestimmen. Entscheidend ist §.13 G.V.G., wonach die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vor die ordentlichen Gerichte gehören, wenn nicht für dieselben entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist, oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gehören auch die Streitigkeiten über die aus Patenten entspringenden Privatrechte, insbesondere auch Streitigkeiten darüber, ob die Benutzung eines später erteilten Patentes eine Verletzung des aus einem früher erteilten Patente entspringenden Rechtes enthalte. Hätten diese Streitigkeiten den ordentlichen Gerichten entzogen und vor das Patentamt gewiesen werden sollen, so hätte es einer diese Ausnahme festsetzenden gesetzlichen Bestimmung bedurft. Eine solche findet sich aber weder im Patentgesetze vom 25. Mai 1877 noch anderswo. Das Patentgesetz weist (§. 13) dem Patentamte nur die Erteilung, die Erklärung der Nichtigkeit und die Zurücknahme der Patente zu, nicht aber den Schutz der Rechte aus Patenten. In Patentsachen, welche vor die Gerichte gehören, ist das Patentamt (§. 18) verpflichtet, auf Ersuchen der Gerichte Gutachten abzugeben, nicht aber befugt, selbst zu entscheiden. Es liegt keinerlei Grund vor, anzunehmen, daß es sich anders verhalte, wenn zwischen den Inhabern eines älteren und eines jüngeren Patentes darüber gestritten wird, ob letzterer die Erlaubnis des ersteren bedürfe, weil sein Patent nur eine Neuerung bezüglich der dem ersteren patentierten Erfindung betreffe und ohne Benutzung derselben nicht benutzt werden könne. Die Verhandlungen im Reichstage bei der Beratung des Patentgesetzes, auf welche der Berufungsbeklagte hinweist, nämlich die Streichung des dem §. 11 Nr. 2 beigefügten Zusatzes:

"Daß die Erteilung der Erlaubnis im öffentlichen Interesse geboten sei, ist namentlich dann anzunehmen, wenn ein Patent für eine andere Erfindung erteilt ist, deren Benutzung von der Erteilung der Erlaubnis abhängt,"1

beweisen nur, daß die Benutzung eines sogenannten Verbesserungspatentes durch dessen Inhaber von der Erlaubnis des Inhabers des s. g. Hauptpatentes abhängig sein soll; dagegen ist bei diesen Verhandlungen die Frage unberührt geblieben, von welcher Behörde und in welchem Verfahren entschieden werden soll, ob und in welchem Umfange ein erteiltes Patent die Eigenschaft eines Verbesserungspatentes bezüglich eines früheren Patentes habe.

Das Patentamt glaubt daraus, daß ihm die Nichtigerklärung übertragen ist, den Schluß ziehen zu dürfen, daß ihm auch die Abhängigkeitserklärung zusteht. Es findet den Grund darin, daß die Abhängigkeitserklärung und die teilweise Nichtigkeitserklärung ihrem Wesen nach identisch seien, insofern beide eine - nach Umfang und Art allerdings verschiedene - Beschränkung der Befugnisse des Patentinhabers in sich schließen. Diese Ansicht muß als unrichtig bezeichnet werden. Die s. g. Abhängigkeitserklärung ist ihrem Wesen nach mit einer Teilnichtigkeitserklärung so wenig identisch, daß beide vielmehr einen Gegensatz bilden und sich gegenseitig ausschließen. Die Nichtigkeitserklärung verneint die Rechtsgültigkeit des erteilten Patentes; die Abhängigkeitserklärung hat die Rechtsgültigkeit desselben zur notwendigen Voraussetzung, da ein nicht zu Recht bestehendes Patent auch nicht von einem anderen abhängig sein kann. Demgemäß sind sowohl die Voraussetzungen als die Wirkungen bei der Abhängigkeitserklärung wesentlich andere, als bei der Nichtigkeitserklärung. Die erstere setzt ein früheres Patent voraus, zu welchem das spätere in einer gewissen, die Abhängigkeit begründenden Beziehung steht, während es für die Nichtigkeitserklärung gleichgültig ist, ob die frühere Erfindung, wegen deren Veröffentlichung oder offenkundigen Benutzung der patentierten späteren Erfindung die Neuheit abgesprochen wird, patentiert war oder nicht. Die Wirkung beider besteht freilich in einer Beschränkung der Befugnisse des Patentinhabers, aber Art und Umfang derselben ist, wie auch das Patentamt nicht verkennt, eine durchaus verschiedene. Während die Nichtigkeitserklärung, soweit sie sich erstreckt, das Patent und das daraus entspringende Recht völlig und mit Wirkung gegen jedermann beseitigt, läßt die Abhängigkeitserklärung, indem sie nur eine Beschränkung des Patentinhabers in der Ausübung des aus dem Patente entspringenden Rechtes gegenüber dem Inhaber des früheren Patentes als vorhanden anerkennt und feststellt, das für abhängig erklärte Patent und das daraus entspringende Recht in Bestand, sodaß letzteres gegenüber anderen Personen, als dem Inhaber des früheren Patentes und dessen Rechtsnachfolgern, geltend gemacht werden kann und durch das Erlöschen des früheren Patentes von jeder Beschränkung frei wird. Die Abhängigkeitserklärung verhält sich daher zur Nichtigkeitserklärung nicht so, daß erstere als das mindere in letzterer als dem mehr mitenthalten ist, sondern so, daß beide einen ganz verschiedenen Inhalt haben. Daher kann nicht angenommen werden, daß in der Übertragung der Befugnis zur Nichtigkeitserklärung die Übertragung der Befugnis zur Abhängigkeitserklärung mitenthalten sei.

Auf einem anderen Wege, als das Patentamt, versucht die Berufungsbeklagte die Befugnis desselben zur Abhängigkeitserklärung zu rechtfertigen, indem sie von den Pflichten ausgeht, welche dem Patentamte bei der Erteilung von Patenten obliegen. Das Patentamt, führt sie aus, habe die Verpflichtung, bestehende Patentrechte zu respektieren; daher dürfe es keine Patente erteilen, welche ein bestehendes Patentrecht verletzen; es sei daher befugt, das zu erteilende Patent von einem bestehenden früheren Patente abhängig zu erklären; hieraus folge, daß ihm auch nach Erteilung des Patentes im Nichtigkeitsverfahren dieselbe Befugnis zustehen müsse. An dieser Ausführung ist nur das richtig, daß die Prüfung, welche dem Patentamte im Nichtigkeitsverfahren obliegt, dieselbe ist, welche schon im Erteilungsverfahren stattzufinden hat. Dagegen mißkennt die Berufungsbeklagte den Umfang der im Erteilungsverfahren von dem Patentamte anzustellenden Prüfung. Diese erstreckt sich nach §§. 1-3 des Patentgesetzes nur darauf, ob eine patentfähige Erfindung vorliegt, und ob die angemeldete Erfindung nicht von einem Einspruch erhebenden Dritten ohne dessen Einwilligung entlehnt ist, keineswegs aber darauf, ob die angemeldete Erfindung bereits patentiert ist. In dieser Hinsicht dem Patentamte eine Pflicht aufzuerlegen und ihm die Befugnis zur Verfügung des angemeldeten Patentes wegen eines entgegenstehenden Patentrechtes beizulegen, lag keine Veranlassung vor. Wie in früherer Zeit, vor Einführung einer Patentgesetzgebung, Privilegien, durch welche ausschließlich Gewerbeberechtigungen verliehen wurden, auch ohne einen ausdrücklichen deshalbigen Vorbehalt als unbeschadet der bestehenden Rechte Anderer erteilt galten, so ist auch seit der gesetzlichen Regelung des Patentwesens bei den nunmehr auf Grund des Gesetzes erteilten Patenten ein solcher Vorbehalt selbstverständlich. Die Erteilung des Patentes, als Akt einer Verwaltungsbehörde, ist weder dazu bestimmt, noch imstande, bestehende Privatrechte aufzuheben oder zu beschränken. Kommt im Erteilungsverfahren zur Sprache, daß bezüglich des Gegenstandes der Patentanmeldung ein Patent bereits erteilt ist, so ist dieser Umstand nur bezüglich der Frage, ob die Erfindung als neu anzusehen sei, von Erheblichkeit; dagegen giebt, wenn die Neuheit im Sinne des §. 2 des Patentgesetzes anzunehmen ist, das Vorhandensein des früheren Patentes keinen Grund ab, das angemeldete Patent zu versagen oder auf den von dem früheren Patente nicht berührten Teil der Anmeldung zu beschränken oder die Benutzung des Patentes von der Erlaubnis des Inhabers des früheren Patentes abhängig zu erklären. Ebenso verhält es sich im Nichtigkeitsverfahren. Auch hier beschränkt sich die Prüfung nach §. 10 darauf, ob die Erfindung nicht patentfähig oder entlehnt war; der Umstand, daß sie früher schon patentiert war, ist nur insofern erheblich, als er bei der Frage der Neuheit der Erfindung in Betracht kommt. Liegen die Voraussetzungen des §. 10 Nr. 1 und 2 nicht vor, so kann weder das Patent deshalb, weil es ein bestehendes Patentrecht verletze, für nichtig erklärt,2 noch die Benutzung desselben durch eine Abängigkeitserklärung an die Erlaubnis des Inhabers des früheren Patentes gebunden werden. Vielmehr hat der letztere zum Schutze seines vermeintlich verletzten Rechtes vor den ordentlichen Gerichten den Rechtsweg zu betreten."

  • 1. vgl. Reichstagsverhandlungen von 1877 S. 931 - 938, Drucksachen Nr. 144 u. 179; Grothe, Das Patentgesetz 1877 S. 86 flg.
  • 2. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. vom 14. Februar 1880 im Patentbl. 1880 S. 64, vom 25. Januar 1881 daselbst 1831 S. 105, vom 28. April 1882 in Entsch. des RG.'s in Civils. Bd. 7 S. 62.