RG, 08.11.1918 - VII 223/18

Daten
Fall: 
Arzt als Unternehmer
Fundstellen: 
RGZ 94, 109
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.11.1918
Aktenzeichen: 
VII 223/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Wann ist ein Arzt als Unternehmer einer Privatkrankenanstalt "Gewerbetreibender"?

Tatbestand

Der Kläger ist der Unternehmer einer Privatkrankenanstalt. In dieser wird den Kranken ärztliche Behandlung, Unterkunft und Verpflegung gegen ein einheitliches Entgelt gewährt; außerdem erhalten sie gegen besondere Bezahlung Wein, Bier und Zigarren. Die zuständige Steuerbehörde hat den Kläger nach Maßgabe des Warenumsatzstempelgesetzes vom 26. Juni 1916 -- Tarifnr. 10 RStempG. -- zunächst zur Anmeldung über bezahlte Warenlieferungen, die im Betriebe der Krankenanstalt stattgefunden hatten, für das Jahr 1916 aufgefordert und später 180,50 M von ihm eingezogen; die Zahlung ist unter Vorbehalt erfolgt. Der Kläger begehrt die Feststellung, daß er nicht verpflichtet sei, einen Warenumsatzstempel zu entrichten, und Rückzahlung der gezahlten 180,50 M. Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Das Berufungsgericht hat angenommen, daß die Tarifnr. 10 des Reichsstempelgesetzes in der Fassung des Gesetzes über einen Warenumsatzstempel vom 26. Juni 1916, wonach Anmeldungen Gewerbetreibender über bezahlte Warenlieferungen einem Stempel von 1 vom Tausend unterliegen, auf die Verabfolgung von Nahrungs- und Genußmitteln im Anstaltsbetriebe des Klägers Anwendung findet.

Die Revision rügt Verkennung des Begriffs des Gewerbebetriebes. Der Vorderrichter habe nicht berücksichtigt, daß nach dem Vorbringen des Klägers die Absicht fernliege, aus der Beköstigung der Kranken Gewinn zu erzielen. Die Gewinnabsicht sei aber, ebenso wie nach der Gewerbeordnung, auch nach § 76 des Gesetzes vom 26. Juni 1916 wesentliches Erfordernis des "Gewerbebetriebes." Ferner sei der Betrieb der Anstalt für den Kläger nicht Selbstzweck, sondern nur ein unselbständiges Mittel zur Ausübung des ärztlichen Berufs. Die Beköstigung der Kranken bilde nur eine Nebenleistung gegenüber der ärztlichen Leistung des Klägers, als der Hauptleistung und sei deshalb steuerfrei. Der Revision war der Erfolg zu versagen.

Nach den auf das eigene Vorbringen des Klägers gestützten Feststellungen des Berufungsgerichts finden in der Anstalt des Klägers Kranke gegen Entgelt für eine gewisse Dauer Aufenthalt, Verpflegung und ärztliche Behandlung. Das Unternehmen ist ein einheitliches. Die ärztliche Behandlung und die Verpflegung bilden die Mittel zu seiner Durchführung und zur Erreichung des Zweckes, der Erzielung von Gewinn. Der Gewinn soll das Ergebnis des ganzen Unternehmens sein und ist es auch. Die Lieferung der Nahrungsmittel ist nach der Auffassung des Berufungsgerichts nicht nur eine Nebenleistung. Nun ist es anerkannten Rechtens, daß der Betrieb einer Privatkrankenanstalt einen Gewerbebetrieb im Sinne der Gewerbeordnung (§ 30) darstellt und daß auch ein Arzt, wenn er Unternehmer einer solchen Anstalt ist, als Gewerbetreibender anzusehen ist (vgl. u. a. Entsch. d. preuß. OVG. Bd.24 S. 322, Bd. 31 S. 284; RGSt. Bd. 32 S. 255; Weinbach, Warenumsatzsteuergesetz S.98; Kloß, dasselbe S. 36). Allerdings ist es erforderlich, wie der erkennende Senat im Urteile vom 17. Mai 1907 VII. 310/06 (Jur. Wochenschr. 1907 S. 401 Nr. 34) bereits ausgesprochen hat, daß die Anstalt vom Arzte als ein selbständiges Mittel zur Erzielung einer dauernden Einnahmequelle gehalten wird. Er wird nicht schon dadurch Gewerbetreibender, daß die auf Gewinnerzielung gerichtete ärztliche Tätigkeit, die an sich keinen Gewerbebetrieb im Sinne der Gewerbeordnung bildet (§ 6 das.), die Unterhaltung der Anstalt erforderlich macht, wie z. B. der Klinik eines Chirurgen, in welche die Kranken lediglich zum Zwecke der Durchführung operativer Eingriffe für eine gewisse Zeit aufgenommen werden. Damit stimmt auch das vom Revisionskläger in der Verhandlung in Bezug genommene Urteil des preuß. Oberverwaltungsgerichts vom 14. Januar 1914, betr. die Privat-Heil- und Pflegeanstalt Berolinum, überein. Aber hier liegt die Sache nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die einen prozeßrechtlichen Verstoß nicht erkennen lassen, so, daß das Unternehmen des Sanatoriums des Klägers ein selbständiges Mittel zur Erzielung einer dauernden Einnahmequelle bildet, daß die Anstalt nicht nur der Ausübung des ärztlichen Berufs des Klägers dient, sondern Selbstzweck zur Gewinnerzielung ist. Die einzelnen Leistungen des Klägers: ärztliche Behandlung, Gewährung von Unterkunft, Beköstigung nebst Lieferung von Getränken und Zigarren, sind gleichwertige Leistungen innerhalb des auf Gewinnerzielung gerichteten Gesamtunternehmens. Es braucht daher hier nicht zu der Frage Stellung genommen zu werden, ob nach § 76 des Warenumsatzstempelgesetzes der Begriff des Gewerbebetriebes weitergreift, als nach der Gewerbeordnung, ob nämlich auch nach § 76 die Absicht der Gewinnerzielung erfordert wird.

Da, wie erwähnt, die einzelnen Leistungen des Klägers gleichwertig nebeneinanderstellen und die Beköstigung der Kranken zu den anderen Leistungen, insbesondere zur ärztlichen Behandlung, nichts im Verhältnis der Nebenleistung zur Hauptleistung steht, so kann auch keine Rede davon sein, daß gemäß Nr. V der Grundsätze zur Auslegung des Warenumsatzstempelgesetzes -- Bekanntm. des Reichskanzlers vom 23. Oktober 1916 -- die Beköstigung als Nebenleistung steuerfrei wäre." ...