RG, 29.10.1918 - III 163/18

Daten
Fall: 
Begriffe der rechtsgeschäftlichen Verfügungen
Fundstellen: 
RGZ 94, 82
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.10.1918
Aktenzeichen: 
III 163/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Zum Begriffe der rechtsgeschäftlichen Verfügungen nach § 4 Abs. 2 der Bekanntmachung des Reichskanzlers über die Beschlagnahme von Fässern vom 28. Juni 1917 (RGBl. S. 577). Sind früher abgeschlossene Lieferungsverträge mit dem Inkrafttreten dieser Bekanntmachung nichtig geworden?

Tatbestand

Die Beklagte verkaufte am 12. Dezember 1918 der Klägerin 1000 helle Russenfässer mit 20% dunklen Fässern zum Preise von 13 M für das Stück. Als am 30. Juni 1917 die Beschlagnahme von Fässern nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 28. Juni 1917 in Kraft trat, waren 608 Fässer noch nicht geliefert. Die Klägerin verlangte ihre Lieferung. Die Beklagte machte geltend, der Kaufvertrag sei infolge der Beschlagnahme nichtig, seine Ausführung unmöglich geworden. Die erste Instanz wies die Klage ab, das Berufungsgericht gab ihr statt. Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

... "Die auf Grund der Bundesratsverordnung über den Verkehr mit Fässern vom 6. Juni 1917 (RGBl. S.473) erlassene Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 28. Juni 1917 erklärte mit den in den §§ 5, 6 vorgesehenen Ausnahmen alle innerhalb des Deutschen Reichs vorhandenen Fässer, Kübel, Bottiche und ähnlichen Gebinde der im § 2 bezeichneten Art für beschlagnahmt. Im § 4 Abs. 2 heißt es: "Rechtsgeschäftliche Verfügungen über beschlagnahmte Fässer, Kübel, Bottiche und ähnliche Gebinde sind nichtig. Den rechtsgeschäftlichen Verfügungen stehen Verfügungen gleich, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung erfolgen." Das Berufungsgericht versteht entsprechend dem Sprachgebrauche des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl. § 135) unter rechtsgeschäftlichen Verfügungen nur solche Rechtsgeschäfte, durch die unmittelbar ein Recht übertragen, verändert oder aufgehoben wird, nicht auch schuldrechtliche Lieferungsverträge, die ihrerseits nur die Verpflichtung zu einer solchen Rechtsänderung begründen sollen. Diese Rechtsauffassung ist nicht zu beanstanden. Sie steht im Einklange mit der Auslegung, die der gleiche, in zahlreichen Beschlagnahmeanordnungen wiederkehrende Begriff bei der Anwendung des § 4 der BRVO. vom 24. Juni 1915 über die Sicherstellung des Kriegsbedarfs im Urteile des I. Zivilsenats vom 15. Dezember 1917 (RGZ. Bd. 92 S. 34) gefunden hat und wird auch durch den Zweck der hier fraglichen Beschlagnahme nicht ausgeschlossen. Der I. Zivilsenat legt bezüglich der Beschlagnahme von Gegenständen des Kriegsbedarfs Gewicht auf die Feststellung, daß es sich um einen Eingriff in die Verfügungsmacht des Eigentümers im höheren Interesse der Gesamtheit handle. Um einen solchen Eingriff handelt es sich auch hier. Der Zweck dieses Eingriffs fordert eine Beschränkung der Rechtswirksamkeit von Lieferungsverträgen, die nach der Beschlagnahme abgeschlossen werden, nur dann, wenn sie entgegen der in der Beschlagnahme liegenden Beschränkung zur Ausführung gebracht werden sollen, nicht dagegen, wenn mit einer Freigabe gerechnet wird, und im ersteren Falle läßt sich die Nichtigkeit, wenn nicht aus § 134, so doch aus §§ 306 flg. BGB. ableiten. Gegenüber älteren Verträgen ist der Zweck der Beschlagnahme durch das Verbot der Verfügung über die beschlagnahmten Gegenstände und die Nichtigkeit solcher Verfügungen hinreichend gesichert. Daß solche Verträge mit dem Inkrafttreten der Beschlagnahme am 30. Juni 1917 nichtig geworden seien, kann daher mangels einer dahingehenden ausdrücklichen Vorschrift nicht angenommen werden.

Eine solche Vorschrift ist auch in der Bekanntmachung des Reichskommissars für Faßbewirtschaftung vom 1. August 1917 (Reichsanzeiger Nr. 199) nicht zu finden. Zwar heißt es dort unter IV. 2: "Rechtsgeschäftliche Verfügungen über beschlagnahmte Fässer usw. sind nichtig. Diese Nichtigkeit umfaßt nicht nur alle im Zeitpunkte des Inkrafttretens der Bekanntmachung noch nicht abgewickelten, auf beschlagnahmte Fässer usw. bezüglichen, sondern auch alle nach dem Inkrafttreten der Bekanntmachung abgeschlossenen Rechtsgeschäfte." ... Es kann unterstellt werden, daß der Reichskommissar für Faßbewirtschaftung, auf den nach § 4 der BRVO. vom 6. Juni 1917 in Verbindung mit der Bekanntmachung des Reichskanzlers über die Einrichtung einer Reichsstelle für Faßbewirtschaftung (Reichsfaßstelle) vom 28. Juni 1917 (RGBl. S.575) die in jener Bundesratsverordnung dem Reichskanzler erteilten Befugnisse übergegangen sind, berechtigt war, von der Beschlagnahmebekanntmachung des Reichskanzlers abweichend zu bestimmen, daß nicht nur rechtsgeschäftliche Verfügungen im oben dargelegten Sinne, sondern auch Rechtsgeschäfte, die nur die Verpflichtung zu solchen Verfügungen begründen sollten, gleichviel, ob sie vor oder nach dem Inkrafttreten der Beschlagnahme abgeschlossen worden, nichtig sein sollten. Es fehlt aber an einem genügenden Anhaltspunkte dafür, daß eine solche abweichende Bestimmung getroffen werden sollte. Die Fassung der oben wiedergegebenen Bestimmung zwingt nicht zur Annahme, daß eine solche abweichende Regelung beabsichtigt war, und der Anlaß, Zweck und Inhalt der ganzen Bekanntmachung des Reichskommissars sprechen dagegen. Nach § 1 Abs. 2 der Beschlagnahmebekanntmachung sollte der Reichskommissar für Faßbewirtschaftung nähere Anordnungen über die Anmeldung von Fässern erlassen und nach § 8 sollte er für die Durchführung der Bekanntmachung sorgen. Dieser Aufgabe entsprach er in der Bekanntmachung vom 1. August 1917, die ausdrücklich als Bekanntmachung zur Ausführung der Bekanntmachung über die Beschlagnahme von Fässern vom 28. Juni 1917 bezeichnet ist und im Eingang auf § 1 Abs. 2 und § 8 dieser Bekanntmachung als die Grundlage der folgenden Bestimmungen Bezug nimmt. Ist danach schon an sich zu vermuten, daß es sich nur um die Durchführung der Beschlagnahmebekanntmachung, nicht um abweichende Anordnungen grundsätzlicher Art handelte, so ergibt auch der Inhalt im einzelnen, daß etwas anderes nicht gewollt war. Das gilt auch von den Bestimmungen, die sich unter der Überschrift "Bewegung und Gebrauch der beschlagnahmten Fässer" in Nr. IV der Bekanntmachung vom 1. August 1917 finden. Nr. IV 1 entspricht dem § 4 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 der Beschlagnahmebekanntmachung. In Nr. IV 2 wird zunächst dem § 4 Abs. 2 a. O. entsprechend wiederholt, daß rechtsgeschäftliche Verfügungen über beschlagnahmte Fässer usw. nichtig seien (Satz 1). Die dazu im Satz 2 gegebene Erläuterung läßt sich ohne Zwang dahin verstehen, daß diese Nichtigkeit, d. h. die Nichtigkeit rechtsgeschäftlicher Verfügungen im Sinne der Beschlagnahmebekanntmachung, Platz greife nicht nur bei früher abgeschlossenen, noch nicht abgewickelten Rechtsgeschäften, sondern auch bei solchen, deren Abschluß nach dem Inkrafttreten der Beschlagnahme liege. Sollte mit der fraglichen Bestimmung etwas anderes angeordnet werden, dann hätte dies einen klaren, unzweideutigen Ausdruck finden müssen und sicherlich auch gefunden. Mangels eines solchen Ausdrucks muß davon ausgegangen werden, daß die Bekanntmachung vom 1. August 1917 weder an dem Begriffe der rechtsgeschäftlichen Verfügungen im Sinne der Beschlagnahmebekanntmachung etwas ändern noch darüber hinausgehend eine Nichtigkeit von Rechtsgeschäften, die nur die Verpflichtung zur Vornahme solcher Verfügungen begründen, anordnen sollte. Daß die Reichsfaßstelle in einem in der jetzt streitigen Angelegenheit an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 23. August 1917 die Ansicht aussprach, daß durch die Beschlagnahme die am 30. Juni 1917 noch nicht abgewickelten Kaufverträge nichtig geworden seien und daß es deshalb im Falle einer Freigabe eines neuen Vertrags bedürfe, kann an dem Ergebnis nichts ändern. Die Bekanntmachung vom 1. August 1917 ist aus sich selbst auszulegen und nicht nach Äußerungen zu beurteilen, die in einer einzelnen Angelegenheit von der Behörde gemacht worden sind (vgl. RGZ. Bd. 93 S. 316). Dazu kommt im vorliegenden Falle, daß das Schreiben vom 23. August 1917 nicht vom Reichskommissar für Faßbewirtschaftung, sondern von einer Abteilung der Reichsfaßstelle ausgegangen ist, daher schon an sich zuverlässige Schlüsse darauf nicht zuläßt, was der Reichskommissar selbst bei Erlassung der Bekanntmachung vom 1. August 1917 gedacht und gewollt hat.

Ist aber der Kaufvertrag vom 12. Dezember 1916 mit dem Inkrafttreten der Beschlagnahme nicht nichtig geworden, so ließe sich die Auflösung des Vertragsverhältnisses nur aus einer durch die Beschlagnahme begründeten dauernden Unmöglichkeit der der Beklagten obliegenden Leistung ableiten (§§ 275, 323 BGB.). Von einer solchen dauernden Unmöglichkeit kann aber nach dem feststehenden Sachverhalt keine Rede sein" ... (wird, namentlich in Rücksicht auf die Freigabe der Fässer, ausgeführt).