RG, 30.04.1884 - I 458/83

Daten
Fall: 
Konsul als gesetzlicher Vertreter im Prozess
Fundstellen: 
RGZ 14, 430
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.04.1884
Aktenzeichen: 
I 458/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

1. Kann ein Konsul jemals als gesetzlicher Vertreter seines Heimatsstaates im Prozesse angesehen, oder ohne besondere Vollmacht immer nur als vorläufiger Prozeßvertreter zugelassen werden?
2. Worin besteht die gesetzliche Folge der Versäumung einer nach Maßgabe von §. 54 Abs. 2 oder von §. 85 Abs. 1 C.P.O. bestimmten Frist?
3. Prüfung der Legitimation eines mit der Vertretung eines Staates in privatrechtlichen Beziehungen beauftragten Beamten, bezw. seines Substituten.
4. Hat die Aussetzung des Verfahrens auf Antrag des Gegners nach §. 223 C.P.O. nur im Falle des Todes der Partei selbst, oder auch im Falle des Todes ihres gesetzlichen Vertreters zu geschehen?

Tatbestand

Die Kläger hatten durch Beschluß des Landgerichtes zu Hamburg einen dinglichen Arrest gegen die Republik Peru erlangt; V., peruanischer Generalkonsul zu Hamburg, hatte im Namen seines Heimatstaates Widerspruch dagegen erhoben, und darauf hatte das Landgericht durch Endurteil den Arrest wieder aufgehoben, weil die Anordnung eines solchen gegen einen fremden Staat überhaupt unzulässig sei; die von den Klägern bestrittene Legitimation des V. zur Vertretung seines Heimatsstaates war dabei vom Landgerichte anerkannt worden, nachdem dasselbe eine Frist für die Beibringung einer gehörigen Vollmacht bestimmt hatte, und sodann in der nächsten mündlichen Verhandlung nach Ablauf der Frist von beklagtischer Seite zu diesem Zwecke die in den unten folgenden Entscheidungsgründen erwähnten Urkunden vorgelegt waren. Die Berufung der Kläger wurde vom Oberlandesgerichte deshalb zurückgewiesen, weil aus gewissen prozessualischen Gründen der Arrest doch hinfällig geworden sei. Nebenbei verwarf das Oberlandesgericht in dem Endurteile einen von den Klägern gestellten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens, der darauf gestützt war, daß der peruanische Vertreter in Paris, T. S., als dessen Substitut V. aufgetreten war, inzwischen verstorben sei; das Oberlandesgericht leitete die Legitimation des V. ohne weiteres aus seiner Eigenschaft als peruanischen Generalkonsuls in Hamburg ab. Dieses Urteil wurde vom Reichsgerichte, nachdem die Kläger in der Revisionsverhandlung abermals die Legitimation des V. angefochten und dabei als Beweismittel ein Schreiben des Kaiserlich deutschen Ministerresidenten zu Lima vorgelegt hatten, aufgehoben, und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Auf die Beurteilung der Sache selbst konnte noch gar nicht eingegangen werden, da derjenigen Entscheidung des Oberlandesgerichtes, durch welche der Generalkonsul V., von dem die beklagtischen Prozeßbevollmächtigten erster Instanz bei Erhebung des Widerspruches gegen den Arrest ihre Vollmacht abgeleitet haben, für zur Vertretung der beklagten Republik legitimiert erklärt ist, nicht beizutreten war. Es ist dabei zu bemerken, daß keine Veranlassung gegeben war, diesen Legitimationspunkt in Ansehung der gegenwärtigen Instanz vorweg besonders zu erledigen; vielmehr erschien es sachgemäß, es formell bei der Nachprüfung vom Standpunkte der vorigen Instanz aus bewenden zu lassen und die Sache zum Behufe der Beseitigung der hierbei sich noch ergebenden thatsächlichen Lücken in dieselbe zurückzuverweisen. Damit würde sich dann eventuell der Punkt auch für diese Instanz von selbst erledigen. Schon deshalb war die von den Klägern allererst hier beigebrachte neue Urkunde ganz beiseite zu lassen.

Das Berufungsgericht hat den Generalkonsul V. deswegen ohne weiteres als zur Vertretung seines Heimatsstaates für diesen Arrestprozeß legitimiert angesehen, weil es sich hier nur um eine Nothilfe zum Schutze eines Vermögensstückes dieses Staates handele, nun aber die Ergreifung sichernder Maßnahmen, wie für die einzelnen Landsleute, so auch für den Heimatsstaat selbst, soweit dieselben wegen der räumlichen Entfernung nicht sofort selbst einzugreifen imstande seien, recht eigentlich innerhalb der Amtsbefugnisse eines Konsuls gelegen sei. Hiervon ist nun soviel unbedenklich zuzugeben, daß ein Konsul in Fällen der vorbezeichneten Art zu vorläufigen konservatorischen Maßregeln befugt ist1 und daß kein Grund vorliegt, diese Befugnis auf die Interessen einzelner Angehöriger des Heimatsstaates zu beschränken und nicht auch aus diejenigen dieses Staates selbst zu erstrecken. Zunächst handelt es sich dabei übrigens um die Befugnis, und daher auch um die Pflicht des Konsuls dem Heimatsstaate und dessen Angehörigen gegenüber; es wird indessen nicht zu bezweifeln sein, daß die Legitimation Dritten, insbesondere auswärtigen Behörden, gegenüber ebensoweit reichen muß. Aber mit dieser Betrachtung ist für den vorliegenden Fall nichts gewonnen. Denn sie führt nur zu dem Ergebnisse, daß der Konsul für solche Fälle vorläufig als genügend legitimierter Vertreter der heimatlichen Partei anzusehen ist; es ist kein Grund erfindlich, weshalb man auch nur in betreff der Bestellung des eigentlichen Prozeßbevollmächtigten soweit gehen sollte, dem Konsul die Befugnis zu einer solchen im Namen der Partei gleich für den ganzen Arrestprozeß zuzuschreiben. Nach Verlauf einer angemessenen Frist, die für die Einholung der eigenen Willensmeinung der Partei ausreicht, wird man doch immer eine von der letzteren selbst erteilte Vollmacht verlangen müssen. Die deutsche Civilprozeßordnung nun giebt es in §. 85 Abs. 1 im allgemeinen schon dem richterlichen Ermessen anheim, einen Geschäftsführer ohne Auftrag oder einen angeblichen Bevollmächtigten selbst ohne Sicherheitsleistung einstweilen zur Prozeßführung zuzulassen. Aus der besonderen Stellung des Konsuls würde sich für die Anwendung dieser Bestimmung in Fällen der soeben besprochenen Art nur noch das ergeben, daß es richtig sei, von derselben in Beziehung auf die Person des Konsuls, bezw. in Anwaltsprozessen auf die Person desjenigen Anwaltes, der sich vorläufig wenigstens auf eine ihm vom Konsul erteilte Vollmacht berufen kann, Gebrauch zu machen. Das aber ist ja im vorliegenden Falle auch jedenfalls geschehen. Ganz richtig hatte das Landgericht daneben eine Frist zur Beibringung eines vollständigen Legitimationsnachweises gesetzt. Es würde an sich genügt haben, wenn die als Prozeßbevollmächtigte aufgetretenen Rechtsanwälte nur eine Vollmacht von irgend einem zugleich als solchem nachgewiesenen gesetzlichen Vertreter der beklagten Republik beigebracht hätten. Daß das Landgericht seine Auflage gerade auf Erbringung des Nachweises einer dem Generalkonsul V. erteilten Ermächtigung zur vorliegenden Prozeßführung richtete, war dadurch gerechtfertigt, daß die Anwälte überhaupt gerade nur von ihm unmittelbar ihre Legitimation herleiten wollten, während andererseits die Thatsache, daß V. sie bevollmächtigt habe, von den Klägern nicht bestritten war (vgl. §. 84 Abs. 2 C.P.O.).

Das Oberlandesgericht hat also, indem es den Legitimationspunkt schon auf Grund der allgemeinen Befugnisse des V. als Konsuls für geordnet annahm, gegen den §. 83 Abs. 1 C.P.O., bezw. gegen die die Stellung der Konsuln regelnden Sätze des internationalen Rechtes verstoßen, sodaß das angefochtene Urteil der Aufhebung unterlag, da sich die Entscheidung auch nicht etwa aus anderen Gründen aufrecht halten ließ.

In dieser Beziehung kam es noch auf die Beurteilung der von V. in der ersten Instanz vorgelegten Urkunden an, auf welche das Oberlandesgericht einzugehen von seinem Standpunkte aus keinen Anlaß hatte. Zunächst lag kein Bedenken vor, den V. mit diesen Urkunden überhaupt noch zuzulassen, obgleich er sie erst im Termine vom 17. Mai 1883 vorgelegt hatte, während die vom Landgerichte im Beschlusse vom 18. Dezember 1882 gesetzte Frist schon mit dem 18. April 1883 abgelaufen war. Denn ganz ohne Grund haben sich die Kläger hiergegen auf den §. 209 Abs. 1 C.P.O. berufen, wonach die gesetzlichen Folgen einer Versäumung regelmäßig von selbst eintreten. Es ist eben nirgends im Gesetze vorgeschrieben, daß die gesetzliche Folge der Versäumung einer nach Maßgabe von §. 54 Abs. 2 oder von §. 85 Abs. 1 C.P.O. bestimmten Frist in der Ausschließung mit der betreffenden Legitimation bestehe. In Wirklichkeit hat eine solche Frist nur die Bedeutung, daß demjenigen, dem die Beschaffung der Legitimation auferlegt ist, kein Recht darauf zusteht, daß nach Ablauf der Frist noch länger abgewartet werde, ob er die Legitimation werde beschaffen können oder nicht.

Die Legitimation des Generalkonsuls V. hat hergestellt werden sollen durch eine am 31. Dezember 1879 von dem damaligen "obersten Chef" der peruanischen Republik, Nicolas de Pierola, unter Gegenzeichnung seines Ministers der auswärtigen Angelegenheiten dem damaligen peruanischen Gesandten für Frankreich und England, T. S., erteilte Bestallung oder Vollmacht, durch welche demselben die Vertretung des Staates Peru für ganz Europa in allen Guano, Salpeter und Kredit betreffenden Angelegenheiten übertragen wird, in Verbindung mit einer von S. dem V. zugesandten Urkunde vom 12. Februar 1881, worin er den letzteren für Hamburg zu seinem "Vertreter und Repräsentanten" in den eben erwähnten Angelegenheiten der peruanischen Republik ernennt, insbesondere auch mit der Befugnis, das Interesse derselben vor Gericht wahrzunehmen. Die Echtheit dieser Urkunden, die sich als öffentliche darstellen, ist nicht bestritten.

Daß Pierola zur Zeit der Aufstellung der ersteren Urkunde thatsächlich Inhaber der Staatsgewalt von Peru und daher völkerrechtlichen Grundsätzen gemäß nach außen hin die Republik zu vertreten befugt gewesen sei, ist an sich in der Berufungsinstanz von den Klägern nicht ferner bestritten worden. ... Daß aber jene Thatsache nicht etwa nachträglich dadurch ihre Bedeutung verlieren kann, daß Pierola seitdem "vollständig beseitigt" ist, versteht sich von selbst.

Es war ferner in Übereinstimmung mit jenem Urteile des Oberlandesgerichtes anzunehmen, daß dem S. durch die erwähnte Urkunde ein Amt übertragen worden sei, und daß er innerhalb seiner Amtsbefugnisse handelnd einen Teil dieser letzteren dem V. delegiert habe. Warum er, bei der sehr allgemeinen und weitreichenden Fassung der ihm erteilten Bestallungsurkunde, hierzu nicht berechtigt gewesen sein sollte, ist nicht abzusehen. Auch daraus, daß S. in der von ihm dem V. gegebenen Urkunde diesen an seine, des S., Instruktionen bindet, war kein Bedenken gegen die unbedingte Vertretungsbefugnis des V. herzunehmen; denn abgesehen davon, daß die Anweisung auf die Instruktionen nur das innere Verhältnis zwischen S. und V. betrifft, findet sich dieselbe überhaupt nicht bei der Bevollmächtigung zu gerichtlicher Vertretung, sondern nur bei der Erteilung der Befugnis zur Prüfung von Rechnungen, zum Abschlusse von Verträgen und zur Ernennung von Substituten, welche hier nicht in Frage steht. Endlich konnte auch nicht bezweifelt werden, daß die vorliegende Angelegenheit zur Kategorie derjenigen gehöre, auf welche die dem S. übertragene Machtbefugnis sich erstrecken sollte. Sie betrifft nämlich Guano, wenn nicht schon um deswillen, weil die klägerischen Ansprüche erhoben werden aus Frachtverträgen, welche über den Transport von Guano abgeschlossen wurden, so doch jedenfalls deshalb, weil ... diejenige Forderung der Beklagten, welche den Gegenstand des Arrestes bildet, und welche V. von dem letzteren durch den erhobenen Widerspruch befreien will, aus den Guanogeschäften der peruanischen Regierung entsprungen ist.

Nichtsdestoweniger konnte die Vertretungsbefugnis des V. für den gegenwärtigen Prozeß auf Grund der besprochenen beiden Urkunden noch nicht als feststehend angesehen werden, da von den Klägern Thatsachen behauptet waren, welche der dem V. erteilten Vollmacht möglicherweise nachträglich die Rechtswirkung entzogen haben würden. In diesem Sinne haben sich nämlich die Kläger berufen auf den inzwischen erfolgten Tod des S. und darauf, daß spätere thatsächliche Regierungen der Republik Peru angeblich alle Regierungshandlungen Pierolas für ungesetzlich - was doch wohl zugleich bedeuten soll: ungültig - erklärt haben. Keinem Zweifel ist es allerdings unterworfen, daß hier nur solche Gründe für die Aufhebung der Vollmacht des V. in Betracht kommen können, durch welche dieselbe vor dem Zeitpunkte bewirkt sein möchte, wo V. den für die Beklagte aufgetretenen Anwälten Prozeßvollmacht erteilt hat; denn nach §. 82 C.P.O. wird die Prozeßvollmacht durch eine Veränderung in betreff der gesetzlichen Vertretung der Partei nicht aufgehoben. In dieser Beziehung sind die betreffenden Behauptungen der Kläger nach dem Thatbestande des Berufungsurteiles noch nicht präzis genug gewesen; indessen sind die Zeitpunkte doch wenigstens soweit angegeben worden, daß danach eine Aufhebung der Vertretungsbefugnis des V. vor Erteilung der Prozeßvollmacht an die Anwälte nicht als ausgeschlossen erscheinen würde. Die nähere Ermittelung in dieser Beziehung mußte selbstverständlich einer abermaligen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorbehalten bleiben, welche eventuell dann auch zu thatsächlichen Feststellungen in betreff der von beklagtischer Seite bestrittenen Behauptungen führen müßte. In rechtlicher Hinsicht aber mußte anerkannt werden, daß eine nachträgliche Kassierung sämtlicher Regierungshandlungen des Pierola auch dem S. das ihm übertragene Amt wieder genommen haben würde, und daß, wenn die fragliche Amtsstellung des S. hierdurch oder auch durch seinen Tod aufgehört haben sollte, damit auch V. seine Vertretungsbefugnis für die Republik Peru, die er nur als Delegierter des S. und unter dessen Auktorität ausüben konnte, wieder verloren haben würde.

Schließlich ist noch zu bemerken, daß die Entscheidung des Oberlandesgerichtes, daß in dem Tode des S. kein Grund liege, das Verfahren auf Antrag der Kläger auszusetzen, zu einer Aufhebung des vorigen Urteiles nicht hätte führen können. Da nach §. 229 C.P.O. gegen eine solche Entscheidung die sofortige Beschwerde stattfindet, so könnte man sogar bezweifeln, ob nicht nach §. 510 C.P.O. dieser Punkt von der Nachprüfung des Revisionsgerichtes ausgeschlossen sei. Aber auch wenn man annehmen möchte, daß, weil der §. 510 C.P.O. nur solche Entscheidungen dieser Art, welche dem Endurteile vorausgegangen sind, der Beurteilung des Revisionsgerichtes entzieht, doch diese formell in dem Endurteile selbst enthaltene Entscheidung nicht zu den ausgenommenen gehöre, so wäre doch dem Berufungsgerichte darin beizutreten, daß in §. 223 Abs. 1 C.P.O. die Worte "im Falle des Todes" nur den Tod der Partei selbst im Auge haben, nicht auch den Tod des gesetzlichen Vertreters. Hierfür sprechen sowohl innere Gründe, als auch der Umstand, daß auch zu Anfang dieses Abs. 1 das Wort "Tod" zweifellos nur den Tod der Partei selbst bedeutet, während der Tod des gesetzlichen Vertreters dort mit dem Aufhören der Vertretungsbefugnis desselben unter die Bezeichnung "Wegfall des gesetzlichen Vertreters" zusammengefaßt ist."

  • 1. vgl. auch de Cussy, Réglements consulaires S. 20,