RG, 16.11.1881 - I 303/81

Daten
Fall: 
Verschweigung eines unter deutscher Flagge fahrenden ausländischen Schiffes
Fundstellen: 
RGZ 7, 14
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.11.1881
Aktenzeichen: 
I 303/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Rostock

Macht die Verschweigung des Umstandes, daß die zu versichernden Parten eines unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes Ausländern gehören, die Versicherung für den Versicherer unverbindlich?

Aus den Gründen

... "Den Einwand der Beklagten, daß die Versicherung für sie unverbindlich sei wegen Verschweigung des Umstandes, daß die versicherten Parten des unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes "H. B." angeblich einem englischen Handlungshause, also Ausländern, gehörten, haben die vorigen Richter mit Unrecht für unerheblich erachtet. Zunächst ist ihnen zwar beizustimmen, wenn sie den Umstand, daß einer der Teilhaber der klagenden Handelsgesellschaft - E. B. - die deutsche Reichsangehörigkeit besitzen soll, für unwesentlich erachten, da die versicherten Parten nach der eigenen Darstellung der Kläger einen Bestandteil des Gesellschaftsvermögens bilden und die Gesellschafter wenigstens zum Teil Ausländer sind, auch die Gesellschaft selbst ihr Domizil im Auslande hat. Hiernach ist mit den vorigen Richtern als den Klägern gegenüber feststehend anzusehen, daß das Schiff "H. B." sich beim Abschlusse der Versicherung nicht im ausschließlichen Eigentume von Personen befunden hat, denen das deutsche Reichsindigenat zustand, und daß es daher nach §. 2 des Bundesgesetzes vom 23. Oktober 1867, betreffend die Nationalität der Kauffahrteischiffe u. s. w., zur Führung der deutschen Reichsflagge nicht befugt war, wiewohl es diese auf Grund eines ihm nach §. 16 des gedachten Gesetzes vom deutschen Konsul in Liverpool erteilten interimistischen Certifikates thatsächlich führte und dann später am 22. Oktober 1874 (nach seinem angeblich bereits am 13. Oktober 1874 erfolgten Untergange) auch in das Rostocker Schiffsregister eingetragen worden ist. Wenn aber gleichwohl die vorigen Richter den Einwand für unbegründet erachten, weil beklagtischerseits nicht behauptet sei, daß der Versicherungsnehmer beim Abschlusse des Vertrages positive Angaben über die Flagge des Schiffes und das Recht zur Führung derselben gemacht habe und weil weder im Handelsgesetzbuche noch in den der Polize zum Grunde gelegten Allgemeinen Seeversicherungsbedingungen von 1867 dem Versicherungsnehmer die Pflicht zu solchen Angaben auferlegt sei, so sind die desfallsigen Ausführungen als zutreffend nicht anzuerkennen.

Allerdings ist beklagtischerseits nicht behauptet, daß der Versicherungsnehmer S. B. dem Agenten H. beim Abschlusse des Vertrages angezeigt habe, die zu versichernden 11/20 Parten des Schiffes "H. B." seien Eigentum deutscher Reichsangehöriger. Vielmehr ist dieser Punkt - wie es wenigstens nach der beiderseitigen Sachdarstellung den Anschein hat - beim Abschlusse des Vertrages gar nicht zur Sprache gekommen, wie denn auch in der Polize die Nationalität und Flagge des Schiffes nicht erwähnt sind. Es handelt sich daher nicht um den Vorwurf einer unrichtigen Anzeige (Art. 813 H.G.B. und §. 32 der Bedingungen), sondern vielmehr nur um den Einwand der von den Klägern zugestandenen Unterlassung einer Anzeige, mithin um die Frage, ob nach Art. 810 H.G.B, und §. 29 der Bedingungen B. zu der Anzeige verpflichtet gewesen wäre, daß die fraglichen Schiffsparten Eigentum eines englischen Handlungshauses seien. Eine solche Verpflichtung lag aber vor, wenn dieser - wie Kläger nicht bestreiten - dem S. B. bekannte Umstand wegen seiner Erheblichkeit für die Beurteilung der zu tragenden Gefahr geeignet war, auf den Entschluß des Versicherers, dieselbe überhaupt oder unter denselben Bestimmungen zu übernehmen, Einfluß zu üben.

Nun wird, obwohl die Polize hierüber nichts enthält, nach den beiderseitigen Parteivorträgen anzunehmen sein, daß der beklagtische Agent H. beim Abschlusse des Vertrages davon ausging und ausgehen durfte, der "H. B." sei ein von Rostock aus gerhedertes deutsches Schiff. Jedenfalls aber durfte und mußte H., wie die Beklagte mit Recht geltend macht, es als selbstverständlich ansehen, daß das Schiff, um dessen Versicherung es sich handelte, die Flagge irgend einer seefahrenden Nation führe, und zwar nicht bloß thatsächlich, sondern auf Grund einer ihm dieserhalb zustehenden Berechtigung, da nur die zur Führung einer Nationalflagge berechtigten Schiffe unter völkerrechtlichem Schutze stehen, die Vorteile der betreffenden Handels- und Schiffahrtsverträge genießen und daher - was bei jeder Seeversicherung auf Kauffahrteischiffe als stillschweigende Voraussetzung angenommen werden muß - zum Erwerbe durch die Seefahrt geeignet sind. Formell lag diese Voraussetzung nun allerdings vor, indem der "H. B." durch das interimistische Konsulatscertifikat die Befugnis zur Führung der deutschen Flagge erhalten hatte. Allein dies kann als genügend nicht angesehen werden. Vielmehr darf der Versicherer voraussetzen, daß diese formelle Befugnis mindestens insofern auch materiell begründet ist, als sie nicht durch falsche Angaben über die gesetzlichen Erfordernisse für die Führung der betreffenden Flagge und durch die dadurch herbeigeführte Täuschung der Behörde erschlichen sein darf. Denn in diesem Falle ist das Schiff in jedem Augenblicke der Gefahr ausgesetzt, daß ihm nicht nur die Flagge entzogen, sondern daß es auch durch andere Verfügungen von hoher Hand, welche nach Art. 824 Nr. 2 H.G.B. und §. 69 Nr. 2 der Allgemeinen Bedingungen an sich der Versicherer zu tragen haben würde, geschädigt und in seiner Bestimmung gestört, mithin auch in seinem - für die Rheder wie für den Versicherer erheblichen - Werte beeinträchtigt wird, wie denn ein solches Schiff nach §.13 des oben erwähnten Bundesgesetzes sogar der Konfiskation ausgesetzt ist. Daß aber in concreto das Schiff "H. B.", wenn die Angaben der Kläger über die Eigentumsverhältnisse richtig sind, sich in dieser Lage befand, ist unbestritten. Die Thatsache, daß der Eigentümer der zu versichernden Parten des unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes ein englisches Handlungshaus sei, hätte daher als ein für das Eingehen auf den Vertrag erheblicher Umstand dem H. von dem Versicherungsnehmer angezeigt werden müssen, und zwar um so mehr, als - wie die Beklagte mit Recht hervorhebt - Schiffe, deren Nationalität rechtlich zu beanstanden ist, auch keine Aussicht auf lohnende Frachten haben werden und als schon die Erschleichung der Nationalität für ein Schiff durch desfallsige falsche Angaben geeignet war, bei dem Versicherer den Verdacht zu erregen, daß dabei Verhältnisse zum Grunde liegen möchten, welche das Licht zu scheuen haben, und welche also auch die Übernahme des Risiko von vornherein bedenklich machen mußten. Die Bestimmung des mehrgedachten Bundesgesetzes, nach welcher nur solche Schiffe, welche sich im ausschließlichen Eigentume von Inländern befinden, zur Führung der deutschen Flagge berechtigt sind, enthält auch nicht etwa eine Anomalie. Denn, nach den §§. 41 flg. des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuche vom 28. Dezember 1863 war dies im Prinzip auch schon vorher in Mecklenburg anerkannt. Dasselbe Prinzip ist auch bei der Mehrzahl der seefahrenden Nationen in Geltung, insbesondere auch in England und Nordamerika.1

Daß das betreffende Schiff materiell zur Führung seiner Flagge berechtigt sei, wird nach der bei Parsons angeführten Entscheidung eines amerikanischen Gerichtes sogar als eine dem Versicherer zu leistende warranty angesehen.

Wenn die vorigen Richter hiernach auf die bestehende formelle Berechtigung des "H. B." zur Führung der deutschen Flagge mit Unrecht Gewicht gelegt haben, so läßt sich die Unerheblichkeit des hier fraglichen Umstandes auch nicht etwa aus der Bestimmung des §. 56 der Versicherungsbedingungen folgern, nach welcher, wenn bei einer Versicherungsnahme in Kriegszeiten die Flagge des Schiffes nicht richtig angegeben wird, die Versicherung für den Versicherer nicht schlechterdings unverbindlich ist, sondern nur als eine mit der Klausel "frei von Kriegsmolest", geschlossene und mit der sich hieraus nach §. 100 der Bedingungen (und Art. 852 H.G.B.) ergebenden gegenständlichen und zeitlichen Beschränkung der von dem Versicherer zu tragenden Gefahr gilt. Denn hieraus ist nur zu folgern, daß es bei der Eingehung von Versicherungsverträgen an und für sich selbst in Kriegszeiten für unerheblich erachtet wird, welche Flagge das Schiff, auf das sich die Versicherung bezieht, führt. Im vorliegenden Falle handelt es sich aber darum, daß das Schiff die von ihm geführte Flagge mit Unrecht führte und auch zur Führung einer anderen Flagge nicht berechtigt war. Da dies letztere auch in Friedenszeiten, wie oben gezeigt, für den Versicherer erheblich sein mußte oder doch sein konnte, so ist der Schluß von einem majus auf ein minus hier nicht zutreffend. Wenn die vorigen Richter ferner die Behauptung und Darlegung vermissen, daß und aus welchen Gründen gerade in diesem konkreten Falle durch die unbefugte Flaggenführung eine Gefahr, speziell diejenige einer Verfügung von hoher Hand, herbeigeführt sei, so ist dies dem Vorstehendem zufolge ebenfalls unzutreffend, da auch noch aus anderen Gründen die betreffende Mitteilung für den Versicherer von Interesse war und da es außerdem Sache der Kläger gewesen sein würde, ihrerseits darzulegen, weshalb jene an sich in jedem derartigen Falle drohende Gefahr gerade in diesem speziellen Falle nicht vorgelegen habe. Ebenso erscheint es, so lange dies nicht geschehen ist, als gleichgültig, daß die Führung der deutschen Flagge sich durch eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse (d. h. also durch die Übertragung des angeblichen Eigentumes der Kläger an den hier fraglichen Parten des Schiffes auf einen Angehörigen des Deutschen Reiches) in eine materiell berechtigte hätte umwandeln lassen. Ob der Erwerb von Parten eines deutschen Schiffes von seiten eines Ausländers, wie die vorigen Richter annehmen, an und für sich nicht ungültig ist, kommt für die Frage der Erheblichkeit der Anzeige nicht in Betracht.2

Endlich kommt es nach Art. 810 H.G.B. und §. 29 der Bedingungen auch nicht darauf an, ob gerade der Agent der Beklagten das ihm angetragene Risiko als ein größeres betrachtet haben würde, wenn ihm von dem Sachverhalt Anzeige gemacht wäre, sondern vielmehr nur darauf, daß nach vernünftigem Ermessen eine solche Anzeige geeignet war, auf den Entschluß eines umsichtigen Versicherers, die Gefahr zu übernehmen oder nicht, einzuwirken." ...

  • 1. Vgl. Merchant-Shipping-Act von 1854 Sectio 18 und 38, Maude and Pollock, a compendium of the law of merchant shipping, 3. edit. S. 3 flg. und Parsons, a treatise of the law of marine insurance, tom. I S.342.
  • 2. Vgl. übrigens Entsch. d. R.O.H.G.'s Bd. 24 Nr. 11 S. 44 flg.