RG, 09.11.1881 - I 45/81

Daten
Fall: 
Unerlaubte oder die Ehrbarkeit verletzende Handlung
Fundstellen: 
RGZ 6, 227
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
09.11.1881
Aktenzeichen: 
I 45/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stettin
  • OLG Stettin

Liegt darin für sich allein, daß ein mit seinen Gläubigern über den Erlaß eines gleichmäßigen Teiles ihrer Forderungen ein Privatabkommen treffender Schuldner mit einem scheinbar jenem Abkommen beitretenden Gläubiger vor und bei Abschluß jenes Abkommens verabredet, daß er demselben trotzdem dessen ganze ursprüngliche Forderung bezahlen wolle, eine unerlaubte oder die Ehrbarkeit verletzende Handlung?
Welches Rechtsgeschäft liegt vor, wenn nach Abschluß eines solchen Privatabkommens zwischen einem Gläubiger und dem Schuldner dahin kontrahiert wird, daß die ganze ursprüngliche Forderung dieses Gläubigers berichtigt werden solle?

Tatbestand

Der Beklagte, ein Kaufmann, geriet in Zahlungsverlegenheit, er wendete sich an seine Geschäftsgläubiger mit der Aufforderung, ihm gegen Berichtigung einer gleichmäßig bemessenen Quote ihrer Forderungen den Rest zu erlassen. Sämtliche Gläubiger unterzeichneten Reverse jener Aufforderung entsprechenden Inhaltes. Einer derselben klagte später den nach dem Inhalt des von ihm gezeichneten Reverses erlassenen Teil seiner Forderung ein, behauptend, daß vor und bei Unterzeichnung des Reverses zwischen ihm und dem Beklagten verabredet sei, daß ihm trotz jener Unterzeichnung seine ganze ursprüngliche Forderung bezahlt werden solle. Für den Fall, daß ihm der Beweis dieser Behauptung mißlinge, behauptete er, daß der Beklagte nach Unterzeichnung jenes Reverses mit ihm einen Vertrag dahin geschlossen habe, daß derselbe die ganze ursprüngliche Forderung zu zahlen sich verpflichte. Der Beklagte wendete in dem nach dem Allg. Landrechte und dem Handelsgesetzbuche zu beurteilenden Falle ein, daß, wenn die besondere Abmachung mit dem Kläger vor und bei dem Abschlüsse des Privatabkommens mit seinen Gläubigern getroffen sei, darin eine unerlaubte Handlung liege, und daß, wenn es nach dem Abschlusse des Privatabkommens gethätigt sei, darin eine wegen Formmangels unwirksame Schenkung zu finden sei. Diese Ausführungen des Beklagten wurden für verfehlt erachtet aus folgenden Gründen:

Gründe

"Bei dem Zwangsakkorde nach der preußischen Konkursordnung ist es allerdings für unerlaubt, ja sogar für kriminell strafbar erklärt, wenn ein Gläubiger sich besondere Vorteile dafür versprechen läßt, daß er bei der Beratung und Beschlußnahme der Gläubiger in einem gewissen Sinne stimme, und ist es ein Essentiale dieses Zwangsakkordes. daß eine ungleiche Bestimmung der Rechte einzelner Gläubiger nur mit ausdrücklicher Einwilligung der zurückgesetzten Gläubiger zulässig sei (§§. 186. 309. 341 a. a. O.).

Diese gesetzlichen Bestimmungen dürfen aber nicht analogisch ausgedehnt werden. Dieselben bilden lediglich das Gegengewicht zu dem Zwange, welcher bei jenem Akkorde im Konkurse gegen die in der Minorität befindlichen Gläubiger ausgeübt wird. Im Falle eines Privatabkommens zwischen einem in Zahlungsverlegenheit befindlichen Schuldner, welches darauf gerichtet ist, daß die Gläubiger nur mit einem Teile ihrer Forderung befriedigt werden, der Rest erlassen werden soll, liegt in einer Abrede des Schuldners mit einem oder einigen Gläubigern, daß sie trotz eines scheinbaren Erlasses desjenigen Teiles ihrer Forderung, welcher dem als zu erlassen in der allgemeinen oder gleichförmigen Offerte des Schuldners an seine Gläubiger bezeichneten Teile der Gläubigerforderungen entspricht, in Wirklichkeit den ganzen Betrag ihrer Forderung oder doch einen größeren Teil als andere Gläubiger erhalten sollen, für sich allein noch keineswegs der Thatbestand eines Betruges oder überhaupt einer unerlaubten Handlung im Sinne der §§. 35 Tit. 3 und 68 Tit. 5 oder einer die Ehrbarkeit beleidigenden Handlung im Sinne des §. 7 A. L. R. I. 4. Eine solche Qualifikation würde nur einem Verhalten beizumessen sein, in welchem sich ein solches Abkommen mit anderweiten Momenten so verknüpfte, daß in demselben ein arglistiges auf rechtswidrige Beschädigung der anderen Gläubiger gerichtetes Verhalten zu finden wäre, und auch dann würde niemals die Folge entstehen, daß der Schuldner dem mit ihm zum Nachteil der übrigen Gläubiger zusammenwirkenden Gläubiger gegenüber geltend machen dürfte, letzterer sei an den nur zum Schein erklärten Erlaß gebunden; vielmehr würden nur die arglistig beschädigten Gläubiger das geschlossene Abkommen unter Umständen anfechten bezw. Schadensersatz-Ansprüche erheben können, der Schuldner höchstens die Erfüllung solcher Verpflichtungen verweigern können, welche über die Grenze der ursprünglichen Forderungsrechte des jenes Abkommen abschließenden Gläubigers hinaus diesem Gläubiger lediglich als Lohn für sein den anderen Gläubigern gegenüber arglistiges Verhalten zugesichert worden waren.

Solche anderweiten Momente sind (wie der Appellationsrichter zutreffend klargelegt hat) in dem vorliegenden Streitfalle nicht behauptet worden.

Unrichtig ist es ferner, daß in einem Rechtsgeschäfte, welches (nach Abschluß eines Privatabkommens zwischen einem in Zahlungsverlegenheit befindlichen Schuldner überhaupt, namentlich aber eines Kaufmannes. mit seinen Gläubigern, daß er nur verpflichtet sein solle, einen Teil ihrer Forderungen zu bezahlen und daß ihm die Gläubiger, in Erwägung seiner traurigen Lage, den Rest ihrer Forderungen erlassen sollten, zwischen diesem Schuldner und einem jener Gläubiger dahin kontrahiert wird, daß der Schuldner den in jenem Privatabkommen als erlassen bezeichneten Teil der Forderungen dieses Gläubigers in bestimmten Raten abzahlen wolle, ein Schenkungsversprechen liege, welches im Geltungsgebiet des A. L. R.'s zur Klagbarkeit der gerichtlichen Form bedürfe. Es liegt in einem solchen Rechtsgeschäft vielmehr ein Anerkenntnisvertrag, ein Konstitut desjenigen Teiles der ursprünglichen Forderung, welcher nach dem früheren Privatabkommen allerdings nicht mehr als ein erzwingbares Recht geltend gemacht werden durfte, aber zu dessen Tilgung (mit Rücksicht auf die Voraussetzungen des früheren Abkommens) nach der Anschauung der guten Sitte überhaupt, namentlich aber bei einem Kaufmanns eine moralische Verbindlichkeit, eine Ehrenpflicht, bestand; sodaß der Konstituent das Rechtsgeschäft des Konstituts nach dem der Bestimmung des §.178 A. L. R. I. 16 zu Grunde liegenden allgemeinen Prinzip nicht als eine nicht begründete Leistung kondizieren darf.

Bezüglich eines solchen Konstitutes. wenn dasselbe (wie im vorliegenden Fall) von einem Kaufmann sogar gegenüber einem Kaufmanne in Bezug auf eine ursprüngliche Forderung aus einem Handelsgeschäfte abgeschlossen ist, ist die Rechtsverbindlichkeit desselben (auch bei einem mehr als fünfzig Thaler weiten Gegenstande, dem Abschlusse in dem Geltungsgebiete des A. L. R.'s und des H. G. B.'s, und der nur mündlichen Form der Erklärung) nach Art. 317 H. G. B. anzunehmen." Vgl. Dernburg, Preuß. Privatrecht Bd. 2 (2. Aufl.) §. 3 S. 7 und §. 63 S. 144; der abweichenden Ausführung in den Entsch. des R. O. H. G.'s Bd. 16 Nr. 52 S. 184 flg. war nicht beizupflichten.