RG, 29.03.1884 - I 50/84

Daten
Fall: 
Unfall mit dem Eisenbahnbetriebe
Fundstellen: 
RGZ 11, 146
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.03.1884
Aktenzeichen: 
I 50/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a.M.
  • OLG Frankfurt a.M.

Ursächlicher Zusammenhang des Unfalles mit dem Eisenbahnbetriebe. Höhere Gewalt.

Gründe

"Kläger fordert von dem Beklagten Schadensersatz für seine verminderte Erwerbsfähigkeit, weil ihm am 25. Juli 1880, als er als Hilfsweichensteller auf dem Ostbahnhofe zu Hanau beim Rangieren eines Waggons beschäftigt war, aus einer vorüberfahrenden Lokomotive Kohlenstaub in sein linkes Auge geflogen sei und dieser eine Entzündung dieses Auges hervorgerufen habe, welche seine Erblindung auf diesem Auge zur Folge hatte.

Dieser Anspruch ist begründet. Die eingetretene Verletzung entbehrt nicht des Zusammenhanges mit den besonderen Gefahren des Eisenbahnbetriebes, da die Verletzung durch Einwirkung der aus der fahrenden Lokomotive ausströmenden Kohlenstaubmengen stattgefunden hat, das Ausströmen solcher Mengen mit besonderer Gewalt und in geringer Höhe vom Erdboden aber dem Eisenbahnbetriebe eigentümlich ist. Daß die betreffende gefährdende Betriebsäußerung dem Eisenbahnbetriebe ausschließlich eigen sein müßte, sodaß die Haftung ausgeschlossen wäre, wenn eine gleiche Gefahr auch bei anderen Betrieben vorhanden wäre, fordert das Gesetz nicht.1

Das Berufungsgericht hat ferner mit Recht angenommen, daß, auch wenn, wie der Beklagte behauptet, es technisch undurchführbar sei, auch nur die Bediensteten der Eisenbahn gegen die Einwirkung dieser Kohlenstaubausströmungen zu schützen, doch deshalb der Unfall nicht als auf höherer Gewalt beruhend angesehen werden könne. Gleichviel wie weit oder eng man im allgemeinen die Grenzen für den Begriff der höheren Gewalt zu stecken hat, immer muß derselbe bei der Haftung eines Eisenbahnbetriebsunternehmers dann ausgeschlossen bleiben, wenn der Unfall die unmittelbare Folge des regelmäßigen Betriebes gewesen ist. Der Beklagte sagt in Wahrheit nichts Anderes, als daß solche Ausstoßung starker Kohlenstaubmengen eine natürliche Wirkung des Eisenbahnbetriebes sei. Deshalb muß er auch für deren schädigende Folgen, sofern der Verletzte nicht durch eigenes Verschulden dieselben zur Entstehung gebracht hat, aufkommen, Wollte man die Wirkung der gefährdenden Natur des Unternehmens selbst als einen vom Schadensersatze befreienden Zufall ansehen, so würde man gegen die Grundtendenz des im §. 1 des Gesetzes vom 7. Juni 1871 enthaltenen Haftungsprinzipes verstoßen.2

Daß solche Kohlenstaubteile nicht immer in edle Organe der in der Nähe der Lokomotive beschäftigten Bediensteten eindringen, nur ausnahmsweise dieselben in solcher Weise verletzen, wie es im vorliegenden Falle geschehen ist, daß man es daher einen unglücklichen Zufall nennen kann, wenn solche Verletzung, wie hier, stattgefunden hat, qualifiziert die Ursache der Verletzung nicht als höhere Gewalt. Diese ausnahmsweise Wirkung einer Betriebsäußerung, welche in der großen Mehrzahl der Fälle unschädlich bleibt, während sie schädigend wirken kann und im Einzelfalle ohne Hinzutreten eines ferneren nicht vorherzusehenden Ereignisses schädigend wirkt, liegt im Wesen der Gefahr, welche der Betriebsunternehmer zu tragen hat."3

  • 1. Vgl. Entsch. d. R.G.'s in Civils. Bd. 6 S. 38.
  • 2. Vgl. auch den Schlußsatz des §. 25 des preußischen Eisenbahngesetzes vom 3. November 1838.
  • 3. Vgl. auch Entsch. d. R.G.'s in Civils. Bd. 1 S. 253. 254.