RG, 19.03.1884 - I 33/84

Daten
Fall: 
Präklusivfrist
Fundstellen: 
RGZ 11, 142
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
19.03.1884
Aktenzeichen: 
I 33/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG I Berlin
  • KG Berlin

Ist die vierwöchentliche Präklusivfrist der Berliner Schlußscheinbedingungen für Fondsgeschäfte bei vereinbarter Geltung eines Kreditverhältnisses für die Ansprüche aus den einzelnen Abschlüssen anwendbar?

Tatbestand

Klägerin beanspruchte vom Beklagten aus zwei mit ihm nach Berliner Schlußscheinbedingungen abgeschlossenen Verkäufen vom 22. und 25. August 1881 per Kassa über jedesmal 10000 M Ölheimer Petroleumgesellschaftsaktien unter Anerbieten der Aktien den Kaufpreis. Beklagter wandte Erlöschen des Anspruchs durch Ablauf der vierwöchentlichen Präklusivfrist des §. 8 der Schlußscheinbedingungen1 seit den Fälligkeitstagen, bevor die Klage erhoben worden, ein und forderte widerklagend die Herausgabe der der Klägerin als Depot gegebenen 14 Stück russischen Eisenbahnaktien, Klägerin erachtete die Bestimmung des §. 8 a. a. O. nach der Art des gepflogenen Geschäftsverkehres für unanwendbar. Es hatte nämlich Beklagter vor den beiden in Betracht kommenden Geschäften der Klägerin die gedachten 14 Stück russische Eisenbahnaktien zu dem ausdrücklich vereinbarten Zwecke übergeben, um auf Grund eines ihm von der Klägerin hieraufhin zu gewährenden - der Dauer nach nicht näher bestimmten - Kredits Spekulationsgeschäfte zu machen. Hierauf hatte zunächst der Abschluß des ersten Kaufes vom 22. August 1881 stattgefunden, auf Grund dessen Klägerin dem Beklagten noch an demselben Tage eine schriftliche Abrechnung erteilt hatte, inhalts deren sie ihm den Kaufpreis vom gedachten Tage debitierte, dagegen die gekauften Stücke auf Stückekonto gutschrieb. Das gleiche war bei dem zweiten Kauf vom 25. August 1882 geschehen. Im November 1882 hatte Klägerin den Beklagten um Zahlung des Kaufpreises gegen Annahme der Aktien ersucht und sodann im Februar 1883 Klage erhoben. Das Berufungsgericht erachtete den Einwand der Präklusion trotz der geschilderten Verhältnisse für durchgreifend. Das R.G. hob das Berufungsurteil auf und verwarf den Einwand.

Gründe

"Offenbar erfolgten die beiden Kaufabschlüsse auf Grund der vorher geschehenen Bestellung des Depots als Abschlüsse des mit dieser Hingabe und den dabei getroffenen Verabredungen bezweckten Geschäftsverkehres. Dies erkennt Beklagter selbst dadurch an, daß er, weil aus diesen Abschlüssen keine Verbindlichkeiten für ihn entstanden seien, widerklagend die 14 Stück russische Eisenbahnaktien zurückfordert. Die in den beiden Abrechnungen gemeldete Debitierung der Kaufpreise und Gutschrift der Stücke auf Stückekonto geschah daher nicht auf Grund reinen Beliebens der Klägerin. Sie war nicht eine willkürlich von dieser an Stelle der Effektivauslieferung gegen Preisforderung an den Erfüllungstagen gesetzte Offerte auf eine anderweitige Behandlung der Geschäfte, welche vielleicht bei der mangelnden ausdrücklichen Zustimmung des Beklagten die wirkliche Rechtslage nicht hätte verändern können. Sie war vielmehr nur die natürliche Folge der auf das Depot hin für zu schließende Spekulationsgeschäfte zugesagten Kreditgewährung. Derselben entsprach es auch, daß Klägerin dem Beklagten am 27. August 1881 schrieb, er möge dafür Sorge tragen, daß die Abnahme der beiden gekauften Posten Aktien in nicht zu ferner Zeit erfolge.

Es handelte sich nun um die Frage, ob auf die Ansprüche der Klägerin aus diesem in gedachter Weise qualifizierten Verhältnisse die vierwöchentliche Präklusivfrist des §. 8 der Schlußscheinbedingungen Anwendung fände. ...

Die in Rede stehenden Geschäfte waren beide im Sinne der Schlußscheinbedingungen Kassageschäfte. Es waren Geschäfte, für welche der Erfüllungstag sowohl in betreff der Lieferung der Effekten wie in betreff der Zahlung des Kaufpreises, da nicht "per morgen" oder "per einige Tage" geschlossen war, der Tag des Abschlusses war. Es war aber von den Parteien ein Kreditvertrag geschlossen, wonach in bezug auf die Geschäfte, die Beklagter schließen wollte, Klägerin auf eine unbestimmte, billigem Ermessen entsprechende, von ausreichender Deckung durch das Depot und die anzuschaffenden Effekten abhängige Zeit für die dem Beklagten obliegenden Leistungen in Vorschuß gehen, dafür aber auch die dem Beklagten zustehenden Effekten in Depot erhalten sollte. Der Lieferungs- und Zahlungstermin der einzelnen Kaufgeschäfte blieb danach der ihrem Inhalte entsprechende. Aber die Lieferung wurde dadurch bewirkt, daß Klägerin die Effekten, die sie als Verkäuferin zu liefern hatte, für den Käufer entsprechend dem Kreditvertrage in Depot nahm. Die Zahlung erfolgte in der Weise, daß der Preis entsprechend dem Kreditvertrage dem Käufer vom gedachten Tage debitiert wurde. Daraus ergiebt sich natürlich, daß von diesem Tage ab der Preis zu verzinsen war. Die Frage aber, ob auf Kassageschäfte, welche mit einem solchen Kreditverhältnisse verknüpft, bezw. von einem solchen beherrscht sind, die Präklusivfrist des §. 8 der Bedingungen anwendbar ist, mußte verneint werden. Der Ablauf der Frist von den den Kassageschäften als solchen inhalierenden Fälligkeitstagen ab kann nicht in Betracht kommen, denn der Beklagte kann sich nicht darüber beschweren, daß die Gegenseite das vereinbarte Kreditverhältnis aufrecht erhält. Solange sie es aber aufrecht erhält, ist keine Leistung des Beklagten einzuklagen. Das Berufungsgericht sagt ganz allgemein, unter Hervorhebung des Bedürfnisses des Handelsverkehres nach rascher Erledigung der Verhältnisse, es habe sich der Kontrahent um eine schriftliche oder mündliche Anerkennung zu bemühen und, wenn er diese nicht erlangen könne, erübrige nur die Ausübung des Klagrechts innerhalb der Frist. Daß der Sinn des §. 8 der Bedingungen wäre, es habe der Kontrahent, wenn innerhalb der vier Wochen keine andere Leistung zu fordern sei, innerhalb der Frist auf Anerkennung zu klagen, sagt das Berufungsgericht nicht. In der That würde auch solche Auslegung des §. 8 jedes Anhalts entbehren. Ob es sich aber rechtfertigen ließe, mit Ablauf des Kredits, bezw. seiner Kündigung, einen Lauf der Präklusivfrist beginnen zu lassen, während doch das Kreditverhältnis, welches die Geschäfte beherrscht, nicht unter dem §. 8 der Schlußscheinbedingungen steht, braucht nicht entschieden zu werden, weil die im §. 8 unter b statuierte Ausnahme - das Herstammen der Ansprüche aus einer fortlaufenden Geschäftsverbindung - vorliegt. Unter der "fortlaufenden Geschäftsverbindung" im Sinne des §. 8 ist aber etwas Anderes, als bloß Kontokurrent oder laufende Rechnung zu verstehen. Es liegt weder in den Worten noch in der Tendenz der Ausnahme ein Grund, den Begriff nicht anzuwenden, wenn nach den getroffenen Vereinbarungen die Beziehungen der Kontrahenten aus einem Geschäfte nicht an seinem bestimmten Erfüllungstage endgültig erledigt werden sollen, dasselbe vielmehr in ein auf unbestimmte Dauer berechnetes Kreditverhältnis übergehen soll. Es bedarf dazu gar nicht des Vorhandenseins mehrerer einzelner Geschäfte und, wenn solche vorhanden sind, genügt für die Gemeinsamkeit die Beherrschung durch ein und dasselbe Kreditverhältnis. Aus den Worten: "aus einer fortlaufenden Geschäftsverbindung herstammen" läßt sich nicht folgern, daß der Rechtsgrund gerade auf der Verbindung mehrerer Geschäfte zu einem die einzelnen Geschäfte konsumierenden Ergebnisse beruhen müsse. Der gedachte Begriff ist mehr tatsächlich-geschäftlich als juristisch aufzufassen und der für den ganzen Unterschied vom Kontokurrent hauptsächlich wesentliche Umstand, welchen Charakter Zahlungen des Korrespondenten haben, steht der Tendenz der Präklusion und ihrer Ausnahmen fern. Das vom Berufungsgerichte wiederholt betonte Bedürfnis rascher Abwickelung kann nicht in Betracht kommen, wenn es sich um Verhältnisse handelt, die eben nach den Vereinbarungen auf Dauer eingegangen sind. Mindestens ebensolche Beachtung verdient der Grundsatz von Treue und Glauben, nach welchem nicht Ansprüche durch Nichterhebung verloren gehen sollen, durch deren Nichterhebung der Berechtigte mit Grund einer dem Verpflichteten zugesicherten Nachsicht zu entsprechen glaubt."

  • 1. Der §. 8 der in Betracht kommenden Bedingungen für den Abschluß von Geschäften an der Berliner Fondsbörse - vgl. Zeitschr. für Handelsrecht Bd. 24 S. 540, Bd. 27 S. 281 - bestimmt: "Streitigkeiten aus einem Geschäfte, welche die Lieferbarkeit der Werte oder die Auslegung oder Anwendung der gegenwärtigen Bedingungen und bestehenden Usancen betroffen, werden von einer Deputation der Sachverständigenkommission der Fondsbörse endgültig und unter Ausschluß jedes Rechtsmittels entschieden. Für alle übrigen Streitigkeiten ist, insofern sie nicht vor die gedachte Deputation gehören, neben dem ordentlichen Gerichte nach Wahl des Klägers die schiedsrichterliche Kommission der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin zuständig, die Klagen müssen innerhalb einer Ausschlußfrist von 4 Wochen nach dem Fälligkeitstage zur Terminsbestimmung eingereicht sein, widrigenfalls das Klagrecht aus dem betreffenden Geschäfte erloschen ist, etc. Die vierwöchentliche Ausschlußfrist findet keine Anwendung auf Ansprüche, welche a) ihrer Höhe nach schriftlich oder mündlich anerkannt sind, b) aus einer fortlaufenden Geschäftsverbindung herstammen, c) sich auf gesetzliche Regreßansprüche aus abgewickelten Geschäften beziehen." Im §. 10 heißt es: "Bei Kassageschäften ist der Tag des Vertragsabschlusses der Fälligkeitstag."