RG, 12.02.1884 - II 471/83

Daten
Fall: 
Urteiles nach §. 293 C.P.O.
Fundstellen: 
RGZ 11, 384
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.02.1884
Aktenzeichen: 
II 471/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Eichstädt
  • OLG Augsburg

Umfang der Rechtswirkung eines Urteiles nach §. 293 C.P.O.

Tatbestand

Die Wechselregreßklage der Bayer. Notenbank gegen H. wurde durch Urteil des Landgerichtes Eichstädt vom 30. März 1881 wegen angeblicher Nichtigkeit des Wechsels abgewiesen. Bei diesem Urteile beruhigte sich die Klägerin und erhob neue Klage gegen H., worin sie, sich auf die Behauptung stützend, daß H. ihr statt eines Wechsels ein wertloses Papier verkauft habe, Rückgabe des Preises verlangte. In zweiter Instanz wurde jene Behauptung als durch das Urteil vom 30. März 1881 bereits rechtskräftig festgestellt erachtet und demgemäß nach dem Klagantrage erkannt. Vom Reichsgerichte wurde das bezügliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen aus folgenden, die Frage der Rechtskraft betreffenden Gründen:

Gründe

..."Das bezeichnete auf Klage im Wechselprozesse gegen H. und mehrere andere Wechselverpflichtete ergangene Urteil des Landgerichtes Eichstädt vom 30. März 1881 weist die Klage allen Beklagten gegenüber auf Grund von §. 560 Abs. 2 C.P.O. als in der gewählten Prozeßart unstatthaft ab. Dieser Spruch wird auf die Erwägung gegründet, daß der auf eine Firma G. & H. gezogene, von ihr acceptierte und bei ihr protestierte Wechsel, nichtig und wertlos sei, weil die Baugesellschaft G. & H. keine Handelsgesellschaft sei, also eine Firma nicht führen dürfe. Betreffs der Wechselregreßklage gegen H. ist noch die weitere Erwägung beigefügt, daß auch der Protest ungültig sei. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob nicht schon der Umstand, daß die Wechselklage nur in der gewählten Prozeßart abgewiesen wurde, genüge, die Ansicht des Oberlandesgerichtes als unbegründet erscheinen zu lassen; denn unterstellt man auch, es sei jene Klage, wie es nach den Urteilsgründen hätte geschehen sollen, als unbegründet abgewiesen worden, so kann dennoch nicht angenommen werden, daß hiermit die Frage der Gültigkeit des Wechsels für den vorliegenden Rechtsstreit rechtskräftig entschieden sei.

Nach der Fassung des §. 298 C.P.O., nach den bezüglichen Motiven des Entwurfes und nach den Verhandlungen der Reichstagskommission, kann nicht der geringste Zweifel bestehen, daß man die im gemeinen Prozesse herrschende Theorie von Savigny, nach welcher auch die Elemente der Entscheidung der Rechtskraft fähig waren, verlassen und die Theorie, welche Unger und Wetzell für den gemeinen Prozeß und das preußische Obertribunal in seinem Urteile vom 16. Oktober 1848 (Entsch. Bd. 1 S. 452) für den preußischen Prozeß vertreten haben, annehmen wollte, zufolge deren sich die Rechtskraft der Entscheidung nur auf den Anspruch, welcher Gegenstand der Klage oder Widerklage bildet, nicht aber auf Feststellungen von Thatsachen oder Rechtsverhältnissen, die zwecks der Begründung der Entscheidung über diesen Anspruch erfolgen, erstreckt.

Das Gesetz geht dabei von der Erwägung aus, daß vom Richter nur die Entscheidung über einen bestimmten Anspruch verlangt wird, daß alles, was die Parteien zur Begründung oder zur Bekämpfung dieses Anspruches vorbringen, zunächst nur mit Bezug auf diesen Anspruch geltend gemacht wird, und im Zweifel nicht zu vermuten ist, daß die Parteien betreffs der bezüglichen Vorfragen und Zwischenfragen eine selbständige, über den, den Gegenstand des Rechtsstreites bildenden Anspruch hinausgreifende Entscheidung herbeizuführen gewillt waren. Trifft letztere Voraussetzung nicht zu, wollen also die Parteien in der That eine über den streitigen Anspruch hinauswirkende Entscheidung über solche Vorfragen herbeiführen, so giebt ihnen §. 253 C.P.O. das Mittel dazu, indem er gestattet, eine bezügliche Zwischenfeststellungsklage zu erheben.

Gerade der Umstand, daß das Gesetz diesen Ausweg bietet, um den Mißständen, welche das Prinzip des §. 293 a. a. O. unter Umständen zur Folge haben könnte, zu begegnen, läßt um so klarer seinen Willen erkennen, daß im übrigen jenes Prinzip streng durchgeführt werde. Was nun den vorliegenden Fall betrifft, so hatte die Klage, auf welche das Urteil vom 30. März 1881 erging, nur den Wechselregreßanspruch der jetzigen Klägerin zum Gegenstande; die Frage, ob der jetzt geltend gemachte civilrechtliche Anspruch bestehe, lag ihr fern.

Die beiden in Frage stehenden Ansprüche sind, sowohl was den Klagegrund, als was den Klagegegenstand betrifft, völlig verschieden. Die erste Klage gründete sich auf einen rechtsgültigen Wechsel und rechtsgültigen Protest und begehrte Zuspruch der Wechselregreßsumme, während die zweite Klage sich umgekehrt auf die völlige Wertlosigkeit des Wechsels gründet, vom Proteste ganz absteht und Rückgabe dessen verlangt, was der Beklagte ohne Rechtsgrund empfangen habe.

Es kann hiernach keinen Zweifel erleiden, daß die Ansicht, welche das Landgericht Eichstadt in jenem Vorprozesse betreffs der Gültigkeit des in Frage stehenden Wechsels kundgegeben hat, für den vorliegenden Rechtsstreit ohne jede Bedeutung ist.

Gerade in der vorliegenden Sache treffen die Gründe, welche den Gesetzgeber bestimmten, die Rechtskraft auf den streitigen Anspruch zu beschränken, in vollem Maße zu.

Der Beklagte H. hatte im Wechselprozesse den Einwand, daß der Wechsel nichtig sei, gar nicht erhoben, hatte sogar ausdrücklich erklärt, daß er gegen die Wechselregreßansprüche an sich nichts einzuwenden habe; er konnte also nicht ahnen, daß das Landgericht dazu kommen würde, die Nichtigkeit des Wechsels anzunehmen, und für die Unterstellung, daß es sein Wille gewesen sei, eine selbständige Entscheidung über diese Vorfrage herbeizuführen, ist auch nicht der entfernteste Anhaltspunkt gegeben. Sollte nun dennoch die Frage der Gültigkeit des Wechsels durch das Urteil vom 30. März 1881 rechtskräftig entschieden sein, so würde dieses Urteil, obgleich es den klägerischen Anspruch abweist, eine Entscheidung zum Nachteile des Beklagten enthalten, ohne daß dieser in der Lage gewesen wäre, sich zu verteidigen, und ohne daß ihm ein Rechtsmittel gewährt sein würde, diese Entscheidung zu beseitigen. Offenbar nämlich wäre der Beklagte nicht befugt gewesen jenes die Klage abweisende Urteil mittels einer sich bloß gegen die Entscheidungsgründe richtenden Berufung anzufechten und zu verlangen, daß von den zwei Entscheidungsgründen des Urteiles der erste (welcher sich auf die Nichtigkeit des Wechsels stützt) beseitigt und nur der zweite (welcher sich auf Ungültigkeit des Protestes stützt) belassen werde. Hieraus aber erhellt sofort, daß jener erste Entscheidungsgrund nicht in Rechtskraft erwachsen konnte.

Allerdings ist es mißlich, daß infolge dieser Vorgänge die Klägerin jetzt in die Lage kommt, einen begründeten Regreßanspruch zu verlieren, allein diese Lage hat sie selbst dadurch verschuldet, daß sie sich bei dem Urteile vom 30. März 1881, seines auffälligen Inhaltes ungeachtet, beruhigte." ...