RG, 24.09.1918 - III 140/18

Daten
Fall: 
Hinterbliebene im Kriege gefallener Militärpersonen
Fundstellen: 
RGZ 93, 308
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.09.1918
Aktenzeichen: 
III 140/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Ist der Tod im Felde und die Kriegsdienstbeschädigung im allgemeinen eine Dienstbeschädigung im Sinne des § 12 des Militärhinterbliebenengesetzes vom 17. Mai 18077
2. Finden die §§ 12 flg., insbesondere § 15 Abs. 1 MHG. auch auf die Hinterbliebenen solcher im Kriege gefallener Militärpersonen der Unterklassen Anwendung, welche nicht Kapitulanten waren?
3. Kann die allgemeine Versorgung nach § 15 MHG. auch mit der Wirkung gekürzt werden, daß dadurch der Gesamtbetrag der der Witwe und den einzelnen Kindern zu zahlenden allgemeinen und Kriegsversorgung unter den Betrag sinkt, der ihnen nach § 20 b, § 21 b zustehen würde, wenn sie nur die Kriegsversorgung zu beanspruchen hätten?

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater ihrer mitklagenden 7 Kinder war als Gefreiter der Landwehr im Kriege gefallen. Die Hinterbliebenenversorgung wurde festgesetzt auf 225 M Witwengeld und 45 M Waisengeld für jedes Kind der allgemeinen Versorgung, ferner 100 M Kriegswitwengeld und 108 M Kriegswaisengeld für jedes Kind, zusammen 540 M der allgemeinen und 856 M der Kriegsversorgung. Die Kläger forderten anstatt dieser 1396 M jährlicher Hinterbliebenenrente eine solche in Höhe derjenigen Beträge, die sie an Kriegswitwen- und Waisengeld zu erhalten hätten, wenn ihnen die allgemeine Versorgung nicht zustände, also 400 M Witwengeld und für jedes Kind 168 M Waisengeld.

Während das Landgericht das Reich antragsgemäß verurteilte, wies das Berufungsgericht die Klage ab. Auf die Revision wurde das erste Urteil wiederhergestellt.

Gründe

"Die Militärverwaltungsbehörde ist bei der Festsetzung der Versorgungsgebührnisse der Kläger davon ausgegangen, daß ihnen die allgemeine Versorgung nach §§ 12 flg. MHG. und daneben das Kriegswitwen- und Waisengeld nach den Sätzen des § 20 a, § 21 a, d. h. nach denjenigen Sätzen gebühre, die zu zahlen sind, wenn die allgemeine Versorgung zusteht. Bei der Bemessung der allgemeinen Versorgung sind die Sätze des Witwen- und Waisengeldes, die den Klägern nach §§ 13, 14 an sich zustehen würden, nämlich von 300 M Witwengeld und von 60 M Waisengeld für jedes der 7 Kinder, gemäß § 15 des Gesetzes auf die Beträge von 225 M Witwengeld und von 45 M Waisengeld für jedes Kind verkürzt, so daß der Gesamtbetrag der allgemeinen Versorgung der Kläger dem Betrage von 540 M gleichkommt, der dem gefallenen Ehemann und Vater der Kläger bei völliger Erwerbsunfähigkeit nach § 9 des Mannschaftsversorgungsgesetzes als Vollrente zugestanden haben würde. Durch diese Verkürzung werden die Kläger schlechter gestellt, als wenn ihnen eine allgemeine Versorgung überhaupt nicht zustünde, da sie alsdann die höheren Sätze der Kriegsversorgung nach § 20b, § 21b zu beanspruchen hätten, die gleich der Summe der unverkürzten allgemeinen Versorgungsgebührnisse und der niederen Sätze der Kriegsversorgung nach § 20a, § 21a sind.

Dieses Ergebnis, zu dem die vom Berufungsgerichte gebilligte Auffassung der Militärverwaltungsbehörde führt, ist nicht nur unbillig, sondern widerspricht dem aus Entstehungsgeschichte und Fassung des Gesetzes klar erkennbaren Zwecke des Gesetzes.

Allerdings kann der Meinung der Kläger und des Landgerichts, daß für die Hinterbliebenen des im Kriege gefallenen gemeinen Soldaten die Vorschriften des Gesetzes über die allgemeine Versorgung überhaupt nicht anwendbar seien, nicht beigetreten werden. Der Tod im Felde ist ebenso wie die Kriegsdienstbeschädigung im allgemeinen, jedenfalls regelmäßig zugleich eine Dienstbeschädigung im Sinne des § 12 MHG.; das ergibt die Begriffsbestimmung der Dienstbeschädigung in § 5 des Offizierspensionsgesetzes und § 3 MVG., ferner die Berücksichtigung der "durch den Krieg erlittenen Dienstbeschädigung" in § 12 OPG. und § 14 MVG. sowie der "durch den Krieg herbeigeführten Dienstbeschädigung" in § 36 Abs. 1 unter Nr. 1 MHG. Ob in besonderen Ausnahmefällen der Tod im Kriege als eine Dienstbeschädigung im Sinne des § 12 MHG. nicht gelten kann, mag dahingestellt bleiben.

Das Gesetz unterscheidet auch in den §§ 12 Abs. 1 und 29 Nr. 4 nicht zwischen den Kapitulanten und den sonstigen Militärpersonen der Unterklassen. Auch den letzteren sind also die allgemeinen Versorgungsgebührnisse neben den Kriegsversorgungsgebührnissen zu gewähren. Dies hat freilich im allgemeinen keinen Einfluß auf die Gesamthöhe der ihnen zu gewährenden Gebührnisse, weil, wie erwähnt, die Summe der unverkürzten allgemeinen Versorgungsgebührnisse und der niederen Sätze der Kriegs-, Witwen- und Waisenrente den höheren Sätzen dieser Rente gleich ist, und zwar bei den Hinterbliebenen aller Grade der Militärpersonen der Unterklassen. Eine praktische Bedeutung hat diese Nebeneinandergewährung zweier Arten der Versorgung dagegen, soweit die Unterklassen in Frage kommen, für die Hinterbliebenen der Kapitulanten, deren Gesamtgebührnisse zufolge der Bestimmung des § 13 Abs. 2 bis 5 einen höheren Betrag als den der höheren Sätze der Kriegs-, Witwen- und Waisenrente erreichen können.

Sind sonach auf die Hinterbliebenen eines im Felde gefallenen Soldaten die Bestimmungen der §§ 12 flg. und damit grundsätzlich auch die des § 15 Abs. 1, daß Witwen- und Waisengeld der allgemeinen Versorgung weder einzeln noch zusammen den Betrag der für den betreffenden Dienstgrad festgesetzten Vollrente übersteigen dürfen, anwendbar, so findet die Anwendung dieses Grundsatzes des § 15 Abs. 1 doch ihre Schranke in dem zwar nicht ausdrücklich ausgesprochenen, aber dem Sinne und Zwecke des Gesetzes mit Bestimmtheit zu entnehmenden und eigentlich selbstverständlichen Rechtssatze, daß den Hinterbliebenen der im Felde gefallenen Soldaten an allgemeinen und Kriegsversorgungsgebührnissen mindestens das verbleiben muß, was ihnen zustünde, wenn sie nur die Kriegsversorgung zu beanspruchen hätten.

Die Nebeneinandergewährung von allgemeiner und Kriegsversorgung ist als eine Vergünstigung gedacht, die vor dem Militärhinterbliebenengesetze nur den Hinterbliebenen der Offiziere zustand (vgl. einerseits § 14 des Ges., betr. die Fürsorge für die Witwen und Waisen von Angehörigen des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine, vom 17. Juni 1887 in Verb. mit §§ 41, 42 des Militärpensionsgesetzes vom 27. Juni 1871, anderseits § 14 des Ges., betr. die Fürsorge für die Witwen und Waisen der Personen des Soldatenstandes des Reichsheeres und der Kaiserlichen Marine vom Feldwebel abwärts, vom 13. Juni 1895), nun aber auch den Hinterbliebenen der Militärpersonen der Unterklassen zuteil werden sollte (vgl. die Begründung zu § 19 des Entw. des MHG.). Diese Nebeneinandergewährung gereicht auch in der Tat den in § 13 Abs. 2 flg. bezeichneten Hinterbliebenen zum Vorteil. Um dieser Personen willen ist die Bestimmung getroffen, die im übrigen nur Schwierigkeiten für das Verständnis des Gesetzes wie für das Rechnungswesen bietet. Ein Grund, diejenigen Hinterbliebenen, welche außer dem Anspruch auf die Kriegsversorgung noch den auf die allgemeine Versorgung haben, schlechter zu stellen als die, welche den letzteren Anspruch nicht haben, ist nicht erfindlich. Eine solche Schlechterstellung wäre geradezu unvernünftig; sie kann vom Gesetze nicht gewollt sein, am wenigsten für die große Menge der Hinterbliebenen der Nichtkapitulanten, die von der Nebeneinandergewährung von allgemeiner und Kriegsversorgung einen Vorteil überhaupt nicht haben können.

Daß eine solche Schlechterstellung aber auch tatsächlich nicht gewollt ist, ergibt die Entstehungsgeschichte. Die höheren Sätze der Kriegswitwen- und Waisenrente der § 20 b, § 21 b stimmen für die Hinterbliebenen der Feldwebel, der Unteroffiziere und Gemeinen überall überein mit den Sätzen der Witwen- und Erziehungsbeihilfen des Gesetzes, betr. Versorgung der Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebenen, vom 31. Mai 1901. Von einer Erhöhung der Sätze dieses letzteren Gesetzes wurde in dem Entwurfe des Militärhinterbliebenengesetzes Abstand genommen mit der Begründung (zu § 20), daß es über das Bedürfnis hinausgehen würde, "die erst im Jahre 1901, wie allgemein anerkannt ist, ausreichend geregelte Versorgung der Hinterbliebenen von Kriegsinvaliden jetzt schon wieder zu erhöhen". Der Gedanke aber, diese Sätze in irgendeiner Hinsicht herabzusetzen, eine Verkürzung der Kriegsversorgung insbesondere für die Hinterbliebenen der gefallenen gemeinen Soldaten eintreten zu lassen, war völlig ausgeschlossen. Denn die Aufbesserung der Hinterbliebenenbezüge, welche das Gesetz von 1901 geschaffen hatte, war nur in einer Höhe erfolgt, welche nach den Worten der Begründung zu § 13 des Entwurfs (Stenogr. Ber. des Reichstags 1900/1902, Anl. Bd. 2 Nr. 211 S. 190) es ermöglichen sollte, daß die Witwen bei Verwertung ihrer eigenen Erwerbsfähigkeit eine gesicherte Lebenshaltung führen und die Kinder angemessen erzogen werden. An diesem Mindestmaße der Versorgung der Hinterbliebenen von Kriegsbeschädigten mußte und wollte man unbedingt festhalten.

Dies beweist auch die genaue Gleichstellung der Summe der normalen allgemeinen Versorgung und der niedrigeren Kriegsversorgung mit den Sätzen der höheren Kriegsversorgung in den §§ 13, 20, 21 MHG. Eine Herabsetzung der Hinterbliebenenbezüge auf den Betrag, den der Verstorbene an Gebührnissen erhalten hätte, war nach dem Gesetze von 1901 ausgeschlossen; § 14 Abs. 4 des Entwurfs dieses Gesetzes, der eine solche Kürzung vorgesehen hatte, wurde in der Kommissionsberatung gestrichen und in das Gesetz nicht aufgenommen. Auch das Militärhinterbliebenengesetz von 1907 läßt eine solche Kürzung der Kriegsversorgung nicht eintreten.

Danach kann auch die Kürzung der allgemeinen Versorgung nach § 15 MHG. insoweit nicht erfolgen, als dadurch der Gesamtbetrag der der Witwe und den einzelnen Kindern des Gefallenen zu zahlenden allgemeinen und Kriegsversorgung unter den Betrag der Sätze sinken würde, die ihnen nach § 20 b, § 21 b zustehen würden, wenn sie nur die Kriegsversorgung zu beanspruchen hätten. Die Entscheidung des Landgerichts ist daher im Ergebnis richtig."