RG, 11.07.1918 - II 90/18

Daten
Fall: 
Einwand des Verkäufers auf Besicht
Fundstellen: 
RGZ 93, 254
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.07.1918
Aktenzeichen: 
II 90/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Ist beim Kauf auf Besicht der Einwand des Verkäufers zulässig, die Ware sei so schlecht gewesen, daß sie nicht die Billigung des Käufers gefunden haben würde?

Tatbestand

Der Kläger behauptete, am 6. August 1915 von dem damals in Brasso sich aufhaltenden Beklagten, vertreten durch den Kaufmann H. in Hamburg, gekauft zu haben "4 Waggons bulgarisches Schweinefett auf Brasso rollend, in Blechdosen von 18/19 kg zu 1,75 M per kg waggonfrei Brasso, Kasse nach Besicht der Ware." Da die Erfüllung des Vertrags verweigert wurde, begehrte er Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Durch Zwischenurteil des Landgerichts wurde die Klage dem Grunde nach für berechtigt erklärt; Berufung und Revision wurden zurückgewiesen.

Gründe

(Es wird ausgeführt, daß der behauptete Kaufvertrag wirksam zustande gekommen und nicht wegen Irrtums anfechtbar ist).

... "Endlich rügt die Revision Verletzung des § 286 ZPO. Das Berufungsgericht habe den Einwand des Beklagten nicht berücksichtigt, daß das Fett sich nach Ankunft in Brasso als verdorben herausgestellt habe und deshalb von ihm nicht gekauft worden sei. Der Beklagte hatte dabei auf sein Telegramm vom 23. August 1913 an H. Bezug genommen, wo es genauer heißt: "Zwei Waggons Schmalz heute eingetroffen; habe refüsiert, weil vollständig verdorben, so daß Rücktritt unbedingt sicher gewesen."

Diesen Einwand hat das Landgericht für unerheblich erachtet, da bei einem Kauf auf Besicht dem Verkäufer nicht die Verteidigung gestattet sei, er habe die Ware nicht zum Besicht vorgeführt, weil sie so schlecht gewesen sei, daß sie nicht die Billigung des Käufers gefunden haben würde. Der Beklagte hat den Einwand, in der Berufungsinstanz wiederholt, wenn auch nur mit der ihm aus dem landgerichtlichen Urteil als Auffassung des Gerichts bekannt gewordenen einschränkenden Behauptung, daß zwei Wagen vollständig verdorbene Ware enthalten haben. So vorgebracht aber war der Einwand unerheblich ...

Auszugehen ist davon, daß ein Kauf auf Besicht im Sinne des § 495 BGB. vorliegt. Dann hing allerdings die Entstehung der Verbindlichkeiten eines Verkäufers auf seiten des Beklagten von der im Belieben des Klägers stehenden Billigung der Ware ab. Im vorliegenden Falle hat aber der Beklagte in Verletzung der ihm nach § 495 Abs. 2 obliegenden Verpflichtung die Besichtigung der Ware seitens des Käufers und damit dessen Billigung vereitelt. Er muß es sich daher gefallen lassen, daß sich der Kläger bei der Geltendmachung seiner Rechte auf den Standpunkt stellt, wie wenn er die ja in seinem Belieben stehende Billigung erteilt hatte.

Nach Inhalt des Kaufvertrags sind auch nicht, wie die Revision meint, vier bestimmte Wagen Schweinefett auf Brasso rollend auf Besicht verkauft worden, so daß der Beklagte seiner Verpflichtung selbst dann genügt hätte, wenn diese Wagen vollständig verdorbene Ware, deren Billigung ausgeschlossen war, enthalten hätten. Vielmehr war die auf Besicht verkaufte Ware nur der Gattung nach näher bestimmt. Der Beklagte mußte deshalb Ware dieser Gattung von mittlerer Art und Güte (§243 BGB.) zur Besichtigung des Klägers stellen, von dessen Belieben es dann noch abhing, ob er die Ware billigte und dadurch den Kaufvertrag vollwirksam machte. Muß demnach der Beklagte sich so behandeln lassen, als ob er seiner Verpflichtung gemäß dem Kläger Ware mittlerer Art zur Besichtigung gestellt und als ob der Kläger diese Ware gebilligt hätte, so ergibt sich (auch abgesehen davon, daß nur zwei von den vier seitens des Beklagten zur Erfüllung bestimmten Wagen verdorbene Ware enthalten haben sollen), daß der eingeklagte Schadensersatzanspruch dem Grunde nach berechtigt ist." ...