RG, 24.10.1883 - I 338/83

Daten
Fall: 
Fallenlassen des Klageantrages auf Verurteilung zur Vertragserfüllung
Fundstellen: 
RGZ 10, 418
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.10.1883
Aktenzeichen: 
I 338/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a.M.
  • OLG Frankfurt a.M.

Ist es prozessualisch zulässig, den auf Verurteilung zur Vertragserfüllung gerichteten prinzipalen Klagantrag im Laufe der Verhandlung fallen zu lassen und nur den eventuellen Antrag auf Verurteilung zur Leistung des Interesse aufrecht zu erhalten, ohne zugleich das Interesse näher zu liquidieren und zu beziffern?

Tatbestand

Dem Kläger ist durch den Dr. med. H. als Bevollmächtigten der Beklagten in dem von ihm in dieser Eigenschaft mit dem Kläger abgeschlossenen Mietvertrage ein Vorkaufsrecht in betreff des vermieteten Grundstückes eingeräumt, die Beklagten haben dann aber dieses Grundstück an die Gebrüder R. für 23 500 M verkauft. Mit Rücksicht darauf, daß das Grundstück diesen Käufern von den Beklagten auch bereits übergeben ist, hat Kläger, indem er behauptet, rechtzeitig erklärt zu haben, daß er von seinem Vorkaufsrechte Gebrauch machen wolle, seinen ursprünglichen Klagantrag, welcher auf Verurteilung der Beklagten zum Vollzuge des Kaufvertrages und nur eventuell auf Schadensersatz gerichtet war, bei der Verhandlung in erster Instanz in der Weise modifiziert, daß er sich darauf beschränkte, nur die Verurteilung der Beklagten zum Ersatze seines Interesse - praevia liquidatione - daran zu beantragen, daß sie nicht den Kaufvertrag zum Preise von 23 500 M mit ihm vollzogen haben. Diesem Antrage gemäß ist in beiden Vorinstanzen erkannt worden.

Der (erst in der Berufungsinstanz erhobene) Einwand der Beklagten, daß, da Kläger seinen prinzipalen auf Vertragserfüllung gerichteten Klagantrag haben fallen lassen und allein den Antrag auf Interesseleistung, vorbehaltlich der Liquidation, aufrechterhalte, nur noch eine Feststellungsklage vorliege, welche aber unstatthaft sei, da sie in Ermangelung der Darlegung eines rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung den Erfordernissen des §. 231 C.P.O. nicht entspreche, ist vom Berufungsrichter verworfen.

Gegen die desfallsige Ausführung richtet sich der einzige Revisionsangriff der Beklagten, welche geltend machen, für die Frage, wie die Klage zu beurteilen sei, komme lediglich der schließlich allein aufrecht erhaltene und zur Entscheidung gestellte Klagantrag im Zusammenhange mit der Klagbegründung in Betracht; an dem Charakter der Klage vermöge es nichts zu ändern, daß ursprünglich principaliter auf Vertragserfüllung geklagt war, und daß der Kläger mit dem aufrecht erhaltenen eventuellen Antrage denselben Zweck verfolgt (was vielmehr nur für die Frage der Zulässigkeit der Klagänderung erheblich sei), und ebensowenig mache es für die Frage nach der Zulässigkeit der abgesonderten Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses einen Unterschied, ob dem Rechtsverhältnisse ein Vertrag zum Grunde liege oder nicht. Die Revision ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Ob der - den Beklagten günstigen - Annahme des Berufungsrichters beizutreten ist, daß die Klage in Ermangelung der Darlegung eines Interesses des Klägers an der alsbaldigen Feststellung unzulässig gewesen wäre, wenn der Kläger von vornherein lediglich auf Schadensersatz vorbehaltlich der Liquidation geklagt hätte, kann dahingestellt bleiben1 Im vorliegenden Falle handelt es sich lediglich um die Frage, ob diese Annahme auch dann zutrifft, wenn nach Zurücknahme eines ursprünglich auf die Erfüllung eines Vertrages gerichteten Klagantrages nur noch der anfangs nur eventuell erhobene Klagantrag auf Verurteilung der Beklagten zum Ersatze des Interesses wegen Nichterfüllung des Vertrages aufrecht erhalten ist, und diese Frage ist vom Berufungsrichter mit Recht verneint worden.

Nach der zutreffenden Ausführung des Berufungsrichters hatte der Kläger zum prinzipalen Gegenstande des Rechtsstreites die Erfüllung der Verbindlichkeit der Beklagten aus dem von ihnen dem Kläger vertragsmäßig eingeräumten Vorkaufsrechte gemacht, und würde er selbst dann berechtigt gewesen sein, die Vertragserfüllung zu fordern, wenn ihm schon bei Anstellung der Klage der Verkauf und die Übergabe des Grundstückes an die Gebrüder R. bekannt gewesen sein sollte, da hierdurch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen war, daß die Beklagten sich das Grundstück wieder verschafften und auf diese Weise zur Erfüllung des Vertrages in den Stand setzten, und da der Kläger, wenn er von vornherein nur auf Ersatz des Interesses geklagt hätte, der Einrede der Beklagten ausgesetzt gewesen sein würde, daß er lediglich die Erfüllung des Vertrages verlangen könne. Ferner nimmt der Berufungsrichter ganz richtig an, daß Kläger auch berechtigt gewesen sein würde, allein auf Vertragserfüllung zu klagen, da eine gesetzliche Vorschrift, mit einer solchen Klage für den Fall der Nichterfüllung eine Klage auf Leistung des Interesses zu verbinden, nicht existiert. Hätte nun Kläger allein seinen prinzipalen Klagantrag gestellt und wäre er bei demselben verblieben, so würde die Verurteilung der Beklagten in Gemäßheit desselben zur Vertragserfüllung haben ausgesprochen werden müssen. Da dieses Urteil aber infolge der durch den Verkauf und die Übergabe des Grundstückes an Gebrüder R. herbeigeführten Sachlage mit Erfolg nicht vollstreckt werden konnte (vgl. §§. 690. 712. 713. 745. 747. 771 flg. C.P.O.), so würde dem Kläger nichts Anderes übriggeblieben sein, als nach §. 778 C.P.O. demnächst seinen Anspruch auf Leistung des Interesses, in welchen sich der Anspruch auf Vertragserfüllung durch die von dem Schuldner rechtswidrig herbeigeführte Unmöglichkeit der Leistung selbst verwandelt, im Wege einer neuen Klage geltend zu machen. Genau dasselbe Resultat wird nun aber dadurch herbeigeführt, daß der Kläger - wozu er infolge des Verhaltens der Beklagten berechtigt war - schon im Laufe des ersten Rechtsstreites seinen prinzipalen Klagantrag fallen ließ und statt dessen schon jetzt die Verurteilung der Beklagten zum Schadensersatze beantragte. Dadurch, daß der Kläger den ihm zu ersetzenden Schaden (sein Interesse) nicht zugleich quantifiziert, sondern sich dessen Liquidation (in einem zweiten Rechtsstreite) vorbehalten hat, ist daher, wie der Berufungsrichter mit Recht geltend macht, den Beklagten keinerlei Nachteil erwachsen, und der Berufungsrichter weist mit Recht darauf hin, daß das der Beschränkung der Klage auf Feststellung durch das aufgestellte Erfordernis eines rechtlichen Interesses des Klägers daran, daß das betreffende Rechtsverhältnis alsbald festgestellt wird (§. 231 C.P.O.), zu Grunde liegende Motiv, es dürfe nicht in der Willkür des Klägers stehen, dem Hauptprozeß einen Vorprozeß zur Feststellung der Grundlagen des streitigen Rechtsverhältnisses vorausgehen zu lassen und unnötig aus einem Prozesse zwei solche zumachen, bei Fällen der vorliegenden Art nicht zutrifft. Dies allein würde nun freilich nicht ausreichen, wenn dennoch anzunehmen wäre, daß auch diese Fälle unter den §. 231 C.P.O. zu subsumieren seien, weil durch den allein aufrechterhaltenen Klagantrag lediglich eine Vorentscheidung über den Grund der Klage verlangt werde, und der Kläger im Falle des Obsieges vermittelst der Zwangsvollstreckung nur etwas erreichen könne, nachdem er in einem zweiten Prozesse über den Betrag seines Anspruches durchgedrungen ist. Diese Annahme trifft jedoch nicht zu. Denn der §. 231 C.P.O. will nur die Voraussetzungen bestimmen, unter welchen auf bloße Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (im Gegensatze zu einem aus demselben abgeleiteten kondemnatorischen Anspruche) eine Klage "erhoben" werden kann, was nach Abs. 1 des vorausgehenden §. 230, an welchen er sich anschließt und mit welchem er in einem nicht zu verkennenden Zusammenhange steht, durch die Zustellung der Klageschrift geschieht. Daraus folgt, daß der §. 231 C.P.O. lediglich den bei Erhebung der Klage zu stellenden Antrag vor Augen hat. Ist dieser Antrag aber, wie im vorliegenden Falle, auf die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung gerichtet, so wird eine solche kondemnatorische Klage nicht schon dadurch in eine Feststellungsklage im Sinne des §. 231 C.P.O. verwandelt, daß der Kläger im Laufe der Verhandlung statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen veränderter Sachlage Ersatz des Interesses fordert, ohne das Interesse zugleich zu substantiieren und zu quantifizieren, sondern vielmehr unter Vorbehalt einer, solchen Liquidation. Denn der Kläger erhält seinen ursprünglichen Antrag auf Verurteilung der Beklagten auch in diesem Falle aufrecht, indem er seinem kondemnatorischen Anspruche, ohne - wie auch in §. 240 Ziff. 3 C.P.O. anerkannt ist - eine Änderung der Klage vorzunehmen, lediglich eine andere Richtung giebt. Der Kläger beantragt mithin in einem solchen Falle nicht bloß die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, sondern er erhebt zugleich einen, sich als Konsequenz aus demselben ergebenden Anspruch. Die Verurteilung der Beklagten in Gemäßheit dieses Anspruches hat allerdings mit der Verurteilung auf eine Feststellungsklage das gemein, daß eine wirksame Zwangsvollstreckung erst durch einen zweiten Rechtsstreit über den Betrag des zu ersetzenden Interesse herbeigeführt werden kann. Dies ist aber nicht das Charakteristische der Klage auf Feststellung, da auch dann, wenn ein nicht nur in quali, sondern auch in quanto ganz bestimmter Anspruch klagend erhoben und der Beklagte demgemäß verurteilt wird, in manchen Fällen die zwangsweise Realisierung dieses Anspruches noch einen zweiten Prozeß erfordert, weil die Leistung des geschuldeten Gegenstandes in natura unerreichbar ist.

Es kann sich daher nur fragen, ob es dem in §. 230 Ziff. 2 C.P.O. aufgestellten Erfordernisse eines " bestimmten" Antrages entspricht, wenn in einem Falle der vorliegenden Art der allein aufrechterhaltene Antrag auf Verurteilung zum Ersatze des Interesses nicht zugleich quantifiziert wird. Diese Frage ist aber unbedenklich zu bejahen, wenn - wie es hier der Fall ist - der prinzipale Antrag auf wirkliche Vertragserfüllung vollständig erkennbar machte, was Kläger von dem Beklagten verlangt. Denn der Beklagte, welcher weiß, wodurch er den Kläger klaglos zu stellen vermag, kann, wenn er die schuldige Vertragserfüllung dem Kläger auch im Prozesse verweigert und durch sein Verschulden dem Kläger Veranlassung giebt, von seinem Rechte, zur Forderung des Interesses anstatt der eigentlichen Vertragserfüllung überzugehen Gebrauch zu machen, unmöglich verlangen dürfen, daß der Kläger dieses Interesse nunmehr auch sofort speziell darlege und beziffere, da einesteils der Kläger hierzu möglicherweise augenblicklich noch gar nicht imstande ist und doch vernünftigerweise mit seiner materiell völlig begründeten Klage deshalb allein nicht abgewiesen werden darf, und da es anderenteils für den Beklagten unerheblich ist, ob Kläger den, in Ermangelung einer gütlichen Vereinigung der Parteien in beiden Fällen noch erforderlichen zweiten Rechtsstreit durch die Aufrechterhaltung seines prinzipalen Antrages auf wirkliche Vertragserfüllung oder durch die Beschränkung seines Anspruches auf den Ersatz des Interesses vorhältlich der Liquidation des letzteren, herbeiführt. Durch letzteres wird der Beklagte in keiner Weise benachteiligt, und im vorliegenden Falle gereicht die durch das Berufungsgericht erfolgte Bestätigung des demgemäß ergangenen Urteiles erster Instanz den Beklagten um so weniger zur Beschwerde, als sie nach dem Thatbestande des landgerichtlichen Urteiles dem vom Kläger allein aufrechterhaltenen Antrage überhaupt nicht widersprochen hatten." ...

  • 1. S. oben Nr. 108 S. 353. D. R.