BGH, 30.04.1974 - 4 StR 67/74

Daten
Fall: 
Verkehrskontrolle
Fundstellen: 
BGHSt 25, 313; NJW 1974, 1776; NJW 1974, 1254; JR 1975, 118; JuS 1974, 669; MDR 1974, 679
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
30.04.1974
Aktenzeichen: 
4 StR 67/74
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Meyer, Mayr, Spiegel, Hürxthal, Buddenberg
Instanzen: 
  • LG Bochum, 03.10.1973

Ein Polizeibeamter, der einen Verkehrsteilnehmer bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle anhält, nimmt eine Vollstreckungshandlung im Sinne von § 113 StGB vor.

Inhaltsverzeichnis 

1. Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. Oktober 1973 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

2. Gründe

Der Angeklagte wollte am 7. Februar 1973 gegen 2.00 Uhr nach dem Besuch einer Gaststätte mit seinem Personenkraftwagen nach Hause fahren, obwohl er mehr als 1,3 0/00 Alkohol im Blut hatte. Unterwegs forderte ihn ein Polizeibeamter in Uniform, der mit zwei anderen Beamten eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführte, durch Zeichen mit einem beleuchteten Anhaltestab zum Halten auf. Der Angeklagte sah das Zeichen. Da er sich aber bewußt wurde, daß er fahruntüchtig sein, sich eine Bestrafung wegen Trunkenheit am Steuer zuziehen und seinen Führerschein verlieren könnte, beschloß er, sich der Kontrolle zu entziehen. Er beschleunigte sein Fahrzeug, fuhr direkt auf den in seiner Fahrspur stehenden Polizeibeamten zu und zwang diesen dadurch, zur Seite zu springen und den Weg freizugeben. Die Polizeibeamten konnten ihn nach kurzer Verfolgungsfahrt stellen.

Auf Grund dieser Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand und mit Trunkenheit am Steuer zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von zwei Jahren entzogen. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.

Der Angeklagte rügt mit der Revision allgemein Verletzung des sachlichen Rechts. Im besonderen beanstandet er die Verurteilung wegen Widerstands und das Strafmaß. Die Revision ist unbegründet.

Der Senat hat stets, wenn auch bisher ohne ausführlichere Begründung, die Ansicht vertreten, daß sich ein Kraftfahrer, der so wie der Angeklagte auf einen Halt gebietenden Polizeibeamten zufährt, um diesen zur Freigabe der Fahrbahn zu zwingen und sich der von dem Beamten beabsichtigten Kontrolle zu entziehen, auch des Widerstands nach § 113 StGB schuldig macht (NJW 1955, 1328; VRS 19, 188 und zahlreiche nicht veröffentlichte Entscheidungen; zuletzt VRS 46, 106, 107). Er hat diese Rechtsauffassung, die auch von Oberlandesgerichten geteilt wird und in der Literatur Zustimmung gefunden hat (OLG Hamm DAR 1958, 330; KG VRS 11, 198; OLG Köln VRS 27, 103; 35, 344, 345 f; OLG Celle NJW 1973, 2214; Dreher 34. Aufl. § 113 StGB Anm. 1 A b; LK 9. Aufl. § 113 StGB Rdn. 10), nicht nur in solchen Fällen vertreten, in welchen die Polizeibeamten einen Kraftfahrer aus besonderem Anlaß anhielten, sondern auch in Fällen, in denen sie die Weisung zum Anhalten im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle gaben (Urteile vom 21. Juni 1968 – 4 StR 202/68 – und vom 15. Oktober 1969 – 4 StR 260/69 –). Er hält hieran fest.

Nach allgemeiner und zutreffender Auffassung gehört es zum Tatbestand des Widerstands, daß einer bereits begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden bestimmten (konkreten) Vollstreckungshandlung eines dazu berufenen Beamten oder Soldaten oder einer diesen nach § 114 StGB gleichstehenden Person Gewalt oder Drohung mit Gewalt entgegengesetzt wird, um den Beamten zur Unterlassung der Vollstreckungshandlung zu nötigen. Vollstreckungshandlung in diesem Sinne ist jede Handlung einer dazu berufenen Person, welche die Verwirklichung des (die Regelung eines bestimmten Falles anstrebenden,) nach Umfang und Inhalt durch das Gesetz oder die in § 113 StGB bezeichneten Staatsorgane bestimmten und begrenzten, notfalls zwangsweise durchsetzbaren Staatswillens bezweckt (RGSt 41, 82, 88). Die Neufassung des § 113 StGB durch das Dritte Gesetz zur Reform des Strafrechts hat hieran nichts geändert. Mit Recht sind daher Streifenfahrten (OLG Hamm JMBlNW 1965, 44), Beschuldigtenvernehmungen (BayObLG JR 1963, 67), Befragungen von Straßenpassanten (OLG Zweibrücken NJW 1966, 1086) und andere bloße Ermittlungstätigkeiten von Polizeibeamten nicht als Vollstreckungshandlungen im Sinne des § 113 StGB angesehen worden. Wenn jedoch ein Polizeibeamter bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle einen Verkehrsteilnehmer zum Anhalten auffordert, um ihn oder sein Fahrzeug zu kontrollieren, so ist das bereits der Beginn einer bestimmten Vollstreckungshandlung. Wie das Reichsgericht in RGSt 41, 82 eingehend dargelegt hat, ergibt der Wortlaut der Vorschrift, daß auch die unmittelbare Vollstreckung des in einem Gesetz zum Ausdruck gekommenen Staatswillens ohne vorausgehende gerichtliche oder behördliche Anordnung den Schutz des § 113 StGB genießen soll. § 36 Abs. 5 StVO ermächtigt die Polizeibeamten, Verkehrsteilnehmer zur Verkehrskontrolle anzuhalten. Nach dem im Gesetz verkörperten Staatswillen sollen demnach allgemeine Verkehrskontrollen möglich sein. Der Vollstreckung dieses Staatswillens im Einzelfall dient das Haltegebot, das nach § 36 Abs. 1 StVO von jedem Verkehrsteilnehmer zu befolgen ist. Die Polizeibeamten, die eine allgemeine Verkehrskontrolle durchführen, handeln auf Grund eigener, selbständiger Entschließung zur unmittelbaren Verwirklichung des Gesetzeswillens (RGSt aaO S. 85). Sie können ihr Haltegebot notfalls mit unmittelbarem Zwang durchsetzen, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur für die Frage, welche Zwangsmittel zulässig sind, eine Rolle spielt.

Die Revision beruft sich für ihre abweichende Rechtsansicht zu Unrecht auf das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in NJW 1973, 1806. Diesem kann nicht die Auffassung entnommen werden, es sei keine Vollstreckungshandlung, wenn ein Polizeibeamter einen Kraftfahrer bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle zum Anhalten auffordert. Im übrigen braucht zu dieser Entscheidung nicht Stellung genommen zu werden, weil sie einen anderen Fall betrifft.

Das Urteil des Landgerichts enthält auch sonst keine Rechtsfehler. Dies gilt auch für den Strafausspruch. Die Revision kann insoweit insbesondere nicht mit einem Vergleich mit Strafen gerechtfertigt werden, die in anderen ähnlichen Fällen ausgesprochen worden sind (BGHSt 12, 148, 151).