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BVerfG, 06.05.1958 - 2 BvL 37/56; 2 BvL 11/57

Daten
Fall: 
Lastenausgleich
Fundstellen: 
BVerfGE 8, 155; BB 1959, 28; DVBl 1959, 281; MDR 1959, 179; NJW 1959, 235; RLA 1959, 173
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
06.05.1958
Aktenzeichen: 
2 BvL 37/56; 2 BvL 11/57
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Instanzen: 
  • VGH Bayern, 26.07.1956 - 23 VI 55
  • VG Stuttgart, 28.11.1957 - 6/V 168/56

1. § 346 LAG enthält keine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen; er hat nur den Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Gegenstand.
2. Das Bundesverfassungsrecht enthält keinen allgemeinen ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt für die Regelung des Verfahrens und der Zuständigkeiten der Verwaltungsbehörden im Bereich derleistungsgewährenden Verwaltung. Diese Gegenstände können also durch Verwaltungsvorschriften geregelt werden, soweit nicht Gesetze oder Rechtsordnungen entgegenstehen.
3. Der Vorrang des Gesetzes hindert den Gesetzgeber nicht, die Subsidiarität einer gesetzlichen Regelung gegenüber allgemeinen Verwaltungsvorschriften anzuordnen.

Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Zweiten Senats vom 6. Mai 1958
- 2 BvL 37/56, 11/57 -
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung, ob § 346 Satz 1 des Gesetzes über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 (BGBl. I S. 446) mit dem Grundgesetz vereinbar ist - Vorlage des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs - VI. Senats - vom 26. Juli 1956 (23 VI 55); Vorlage des Verwaltungsgerichts Stuttgart - 6. Kammer - vom 28. November 1957 (6/V Nr. 168/56 G).
Entscheidungsformel:

§ 346 Satz 1 des Gesetzes über den Lastenausgleich vom 14. August 1952 (BGBl. I S. 446) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

Gründe

I.

1. Das Lastenausgleichsgesetz enthält in seinem Dritten Teil ("Ausgleichsleistungen") im Dreizehnten Abschnitt (§§ 325-348) eine Reihe von Bestimmungen über das Verfahren der Lastenausgleichsbehörden bei ihren Entscheidungen über die Gewährung oder Nichtgewährung von Ausgleichsleistungen. Nach einleitenden "Allgemeinen Vorschriften" (§§ 325-334) ist das Verfahren bei Ausgleichsleistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht (Hauptentschädigung, Kriegsschadenrente, Hausratsentschädigung) verhältnismäßig eingehend behandelt (§§ 335-344). Über das Verfahren bei Ausgleichsleistungen ohne Rechtsanspruch bestimmt § 345, daß der Leiter des Ausgleichsamts nach Anhörung des Ausgleichsausschusses zu entscheiden hat, und daß gegen seine Entscheidung der Beschwerdeausschuß angerufen werden kann. § 346 ordnet jedoch in Satz 1 an:

"Der Präsident des Bundesausgleichsamts kann nach Maßgabe des § 319 Abs. 2 Satz 1 das Verfahren abweichend von den Vorschriften des § 345 regeln."

und stellt gewisse Mindestanforderungen auf, denen eine solche Regelung genügen muß.
Der in § 346 genannte § 319 Abs. 2 Satz 1 lautet:

"Der Präsident des Bundesausgleichsamts bestimmt im Rahmen dieses Gesetzes, der dazu ergehenden Rechtsverordnungen sowie der Richtlinien der Bundesregierung Näheres über die Gewährung von Ausgleichsleistungen."

Die Fassung der §§ 345, 346 LAG ist inzwischen mehrfach geändert worden. Insbesondere wurden durch das Achte Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S. 809) die Entscheidungen über die Erfüllung (nicht über die Zuerkennung) von Ansprüchen auf Hauptentschädigung und Hausratsentschädigung der Regelung der §§ 345, 346 LAG unterstellt.

In ihrer jetzigen Fassung haben die §§ 345, 346 LAG folgenden Wortlaut:

"Dritter Titel
Verfahren bei Erfüllung von Ansprüchen auf Hauptentschädigung und Hausratsentschädigung sowie bei Eingliederungsdarlehen, Leistungen aus dem Härtefonds und auf Grund sonstiger Förderungsmaßnahmen.

§ 345
Grundsatzregelung
(1) Über die Erfüllung von Ansprüchen auf Hauptentschädigung (§ 252) und Hausratsentschädigung (§ 297) sowie über den Antrag auf Gewährung von Eingliederungsdarlehen (§§ 253 ff.), Leistungen aus dem Härtefonds (§§ 301, 301 a) und Leistungen auf Grund sonstiger Förderungsmaßnahmen (§ 302) entscheidet der Leiter des Ausgleichsamts durch Bescheid; bei der Erfüllung von Ansprüchen auf Hauptentschädigung sowie bei Anträgen auf Gewährung von Eingliederungsdarlehen, Leistungen aus dem Härtefonds und auf Grund sonstiger Förderungsmaßnahmen ist der Ausgleichsausschuß vor der Entscheidung zu hören. Der Bescheid kann auch dahin lauten daß dem Antrag zur Zeit mangels verfügbarer Mittel nicht entsprochen werden kann, der Antrag jedoch erneut geprüft werde, sobald hinreichende Mittel zur Verfügung stehen.
(2) Gegen den Bescheid können der Geschädigte und der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds binnen eines Monats nach Zustellung die Entscheidung des Beschwerdeausschusses anrufen, der durch Beschluß entscheidet. Gegen den Bescheid, daß zur Zeit einem Antrag mangels verfügbarer Mittel nicht entsprochen werden kann, kann der Antragsteller die Entscheidung des Beschwerdeausschusses nur zur Nachprüfung, ob ein Ermessensmißbrauch vorliegt, anrufen.
(3) Sind nach allgemeinen gesetzlichen Vorschriften die Voraussetzungen für eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses gegeben, so gelten die §§ 338 ff. entsprechend.

§ 346
Besondere Regelung
(1) Der Präsident des Bundesausgleichsamts kann nach Maßgabe des § 319 Abs. 2 Satz 1 das Verfahren abweichend von den Vorschriften des § 345 regeln. Dabei ist, soweit in § 345 die Anhörung des Ausgleichsausschusses vorgeschrieben ist, sicherzustellen, daß Vertreter der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten vor der Entscheidung gehört werden. Der Geschädigte muß eine Nachprüfung des Bescheids, sofern dieser nicht durch den Präsidenten des Bundesausgleichsamts ergangen ist, herbeiführen können; die Nachprüfung muß sich mindestens darauf beziehen, ob ein Ermessensmißbrauch vorliegt.
(2) Der Präsident des Bundesausgleichsamts kann nach Maßgabe des § 319 Abs. 2 Satz 1 ferner bestimmen, daß bei Erfüllung von Ansprüchen auf Hauptentschädigung (§ 252) von der Anhörung des Ausgleichsausschusses abgesehen wird, sofern die Entscheidung sich aus allgemein festgelegten objektiven Maßstäben ergibt."

2. Der Präsident des Bundesausgleichsamts hat von der in den §§ 319, 346 umschriebenen Befugnis Gebrauch gemacht, indem er "Weisungen" erlassen hat, die sich mit der Gewährung von Ausgleichsleistungen auf den einzelnen Sachgebieten befassen und Vorschriften über das Verfahren und die Zuständigkeiten der Lastenausgleichsbehörden enthalten. So bestimmt die am21. Oktober 1952 erlassene "Weisung über Aufbaudarlehen für die gewerbliche Wirtschaft und die freien Berufe" (BAnz. Nr. 211) u. a.:

"§ 10
Antragstellung
(1) Der Antrag ist bei dem für den ständigen Aufenthalt des Antragstellers zuständigen Ausgleichsamt einzubringen....
(2) ...
(3) Der Antrag ist auf vorgeschriebenem Formblatt einzubringen. ...

§ 11
Entscheidungsbefugnis
Nach Prüfung entscheidet über Anträge auf Gewährung von Aufbaudarlehen bis 10 000.- DM ... der Leiter des für den Betriebssitz zuständigen Ausgleichsamtes, über höhere Beträge und alle übergebietlichen Anträge der Leiter des für den Betriebssitz zuständigen Landesausgleichsamtes durch Bescheid.

§ 12
Prüfung durch das Ausgleichsamt
(1) Bei Anträgen bis 10 000.- DM ist vor der Entscheidung der Prüfungsausschuß des Ausgleichsamtes, der auf 2 Jahre bestellt wird, zu hören.
(2) Dem Prüfungsausschuß gehören als Mitglieder an: ...

§ 13
Prüfung durch das Landesausgleichsamt
(1) Anträge über 10 000.- DM und übergebietliche Anträge werden vom Ausgleichsamt des Betriebssitzes vorgeprüft und dann dem Landesausgleichsamt vorgelegt....

§ 14
Rechtsbehelfe
Gegen Entscheidungen des Leiters des Ausgleichsamtes sind die in § 345 Abs. 2 LAG vorgesehenen Rechtsbehelfe zulässig, gegen Entscheidungen des Leiters des Landesausgleichsamtes kann Einspruch mit dem Ziel einer nochmaligen Prüfung durch den Leiter des Landesausgleichsamtes eingelegt werden.

§ 16
Änderung der Zuständigkeiten
(1) Der Präsident des Bundesausgleichsamtes kann auf Antrag eines Landesausgleichsamtes durch abweichende Festsetzung des in § 11 dieser Weisung genannten Betrages die Zuständigkeit der Ausgleichs- und Landesausgleichsämter ändern.
(2) Der Leiter des Landesausgleichsamtes kann die ihm nach den §§ 11 und 12 Abs. 5 dieser Weisung zustehenden Befugnisse auf seine Außenstellen übertragen; ..."

Auch die erlassenen Weisungen sind im Laufe der Jahre mehrfach geändert und ergänzt worden. Diese Änderungen können hier jedoch außer Betracht bleiben.

II.

1. Im März 1953 beantragte die Heimatvertriebene Maria L. die Gewährung eines Aufbaudarlehens von 20 000.- DM für einen Galvanisierungsbetrieb, dessen Mitinhaberin sie seit dem Tode ihres 1951 verstorbenen Bruders ist. Der Antrag wurde vom Bayerischen Staatsministerium des Innern - Landesausgleichsamt - durch Bescheid vom 10. Mai 1954 abgelehnt mit der Begründung, daß der Betrieb auch im Falle einer solchen Darlehensgewährung nicht zu einer gesicherten Lebensgrundlage für die Antragstellerin werden könne, daß ferner die Aufbringung der Zins- und Tilgungsraten kaum möglich sein werde und daß keine ausreichende Sicherungsmöglichkeit für die Darlehensforderung bestehe. Die Antragstellerin erhob gegen diese Entscheidung Einspruch, dem aber aus den gleichen Gründen nicht stattgegeben wurde (Einspruchsbescheid des Bayerischen. Staatsministeriums des Innern - Landesausgleichsamt - vom 17. Dezember 1954).

Gegen den Bescheid vom 10. Mai 1954 und den Einspruchsbescheid erhob die Antragstellerin im Februar 1955 Anfechtungsklage vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.

2. Der ebenfalls heimatvertriebene Dipl.-Ing. Karl H. beantragte im Januar 1954 ein Aufbaudarlehen von 35 000.- DM (später ermäßigt auf 30 000.- DM) für ein Bauunternehmen, das er seit dem Jahre 1948 betreibt. Der Antrag wurde durch Bescheid des Ministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte Baden-Württemberg - Landesausgleichsamt - vom 5. Mai 1956 mit der Begründung abgelehnt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Vertreibung und dem jetzigen Darlehensbedarf nicht gegeben sei. Vielmehr erkläre sich der Darlehensbedarf daraus, daß die Entnahmen des Antragstellers aus seinem Geschäftsbetrieb in den Jahren 1951 bis 1954 um mindestens 30.000.- DM höher gewesen seien als die Erträge. Der von dem Antragsteller eingelegte Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsbescheid vom 5. Juli 1956). Der Antragsteller erhob deshalb im August 1956 eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart.

3. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und das Verwaltungsgericht Stuttgart sind zu der Auffassung gekommen, daß § 346 Satz 1 LAG mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig sei. Sie haben deshalb die anhängigen Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Gültigkeit des § 346 Satz 1 zur Entscheidung vorgelegt.

Beide vorlegenden Gerichte sind der Ansicht, daß § 346 Satz 1 eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen erteile. Die Weisungen, durch die der Präsident des Bundesausgleichsamts nach § 346 Satz 1 das Verfahren der Ausgleichsbehörden regeln könne, seien inhaltlich Gesetze im materiellen Sinn. Da diese Weisungen die in § 345 LAG getroffene Regelung abändern könnten, liege eine Ermächtigung zu gesetzändernden Rechtsverordnungen vor. Eine solche Ermächtigung sei mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. Außerdem verstoße die Ermächtigung gegen die Vorschrift des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG, wonach nur die Bundesregierung, ein Bundesminister oder eine Landesregierung unmittelbar zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden könnten. Eine Erweiterung dieses Kreises möglicher Ermächtigungsadressaten sei auch durch Art. 120 a GG nicht eingetreten. - Wie das Verwaltungsgericht Stuttgart weiter ausgeführt hat, ist seine Entscheidung von der Gültigkeit des § 346Satz 1 LAG abhängig. Denn der angefochtene Bescheid sei auf Grund der Zuständigkeitsregelung, die der Präsident des Bundesausgleichsamts abweichend von § 345 getroffen habe, durch das Landesausgleichsamt erlassen. Er müsse also aufgehoben werden, wenn die durch Weisungen geschaffene Zuständigkeitsordnung wegen der Ungültigkeit des § 346 ungültig sei. - Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Frage der Entscheidungserheblichkeit nicht ausdrücklich erwähnt. Aus dem Zusammenhang seines Vorlegungsbeschlusses kann jedoch entnommen werden, daß er insofern von dem gleichen Gedankengang ausgeht wie das Verwaltungsgericht Stuttgart.

4. Das Bundesverfassungsgericht hat in beiden Verfahren den Verfassungsorganen des Bundes, den Landesregierungen und den Beteiligten der Ausgangsverfahren Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Die oberen Bundesgerichte sind von den Vorlegungsbeschlüssen in Kenntnis gesetzt worden.

Geäußert haben sich zu dem Vorlegungsbeschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nur der Bundesfinanzminister namens der Bundesregierung und die Staatsanwaltschaft beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, zum Vorlegungsbeschluß des Verwaltungsgerichts Stuttgart nur der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds im Lande Baden-Württemberg. In allen drei Äußerungen wird die Ansicht vertreten, daß § 346 Satz 1 LAG nicht in Widerspruch zum Grundgesetz stehe.

Die Bundesregierung ist dem Verfahren über die Vorlage des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unter Verzicht auf mündliche Verhandlung beigetreten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat auf ein Urteil seines III. Senats vom 26. Oktober 1956 (BVerwGE 4, 135) hingewiesen, in dem die Vereinbarkeit des § 346 Satz 1 LAG mit dem Grundgesetz bejaht worden ist.

Durch Beschluß vom 16. April 1958 sind die durch die Vorlegungsbeschlüsse anhängig gewordenen beiden Verfahren zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

III.

Die Vorlagen sind zulässig.

Sie betreffen ein formelles, nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ergangenes Gesetz, bezüglich dessen die vorlegenden Gerichte die Überzeugung der Rechtsungültigkeit erlangt haben, und machen die Entscheidungserheblichkeit der in Frage gestellten Vorschrift ersichtlich. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG sind damit erfüllt.

Zur Entscheidung über die Vorlagen ist der Zweite Senat zuständig, da in den Vorlegungsbeschlüssen nicht überwiegend eine Unvereinbarkeit des § 346 Satz 1 mit Grundrechten oder Rechten aus Art. 33, 101, 103, 104 GG geltend gemacht ist (§ 14 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 13 Ziff. 11 BVerfGG).

Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen, denn die Bundesregierung, die allein dem Verfahren beigetreten ist, hat auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 25 BVerfGG, BVerfGE 2, 213 ff.).

IV.

Die gegen die Gültigkeit des § 346 Satz 1 LAG erhobenen Bedenken sind unbegründet.

1. § 346 Satz 1 enthält keine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen. Er behandelt die dem Präsidenten des Bundesausgleichsamts gemäß Art. 120 a GG, § 319 LAG zustehende Befugnis, das Verfahren und die funktionellen Zuständigkeiten der Lastenausgleichsbehörden durch allgemeine Verwaltungsvorschriften ("Weisungen") zu regeln. Die Gültigkeit des § 346 Satz 1 kann mithin nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß diese Vorschrift nicht der Bestimmung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG entspricht, wonach nur die Bundesregierung, ein Bundesminister oder eine Landesregierung, nicht aber der Leiter einer Bundesoberbehörde unmittelbar zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden kann.

Daß § 346 Satz 1 nur den Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Gegenstand hat, ergibt sich aus seinem Wortlaut, insbesondere aus der Verweisung auf § 319 Abs. 2 Satz 1 LAG, aus seiner Entstehungsgeschichte und aus dem Zusammenhang der Bestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes.

a) § 346 Satz 1 spricht nicht von einer Regelung durch Rechtsverordnung, während das Lastenausgleichsgesetz an zahlreichen anderen Stellen den Erlaß von Rechtsverordnungen ausdrücklich vorsieht (vgl. u. a. §§ 239 Abs. 3, 240 Abs. 2, 249 Abs. 5, 267 Abs. 3, 268 Abs. 2, 276 Abs. 6, 301 Abs. 4, 327 Abs. 2) und in § 367 Abs. 1 generell bestimmt:

"Die in diesem Gesetz vorgesehenen Rechtsverordnungen erläßt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats."

b) Mit der Bezugnahme auf § 319 Abs. 2 Satz 1 stellt § 346 klar, daß die Regelungen, die der Präsident des Bundesausgleichsamts treffen kann, sich "im Rahmen dieses Gesetzes, der dazu ergehenden Rechtsverordnungen sowie der Richtlinien der Bundesregierung" halten müssen. Die Regelung durch den Präsidenten des Bundesausgleichsamts wird hier also in einen deutlichen Gegensatz zu den daneben erwähnten Rechtsverordnungen gestellt.

c) Die Entstehung des § 346 im Gesetzgebungsgang ist zwar nicht in allen Einzelheiten aus den Materialien erkennbar. Aus den durch Kurzprotokolle festgehaltenen Verhandlungen im Lastenausgleichsausschuß des Bundestags (1. Legislaturperiode), in dem die vom Regierungsentwurf abweichende Regelung entstanden ist, geht jedoch hervor, daß der Ausschuß bei § 346 (damals § 372) eine Regelung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften im Auge hatte:

In der 105. Sitzung des Ausschusses am 26. Januar 1952 wurde die Frage aufgeworfen (Kurzprot. S. 3 f.), ob noch weitere Fälle, in denen nach der Regierungsvorlage eine Regelung durch Rechtsverordnung stattfinden solle, durch Weisungen des Präsidenten des Bundesausgleichsamts geregelt werden könnten, um eine größere Beweglichkeit der Verwaltung zu erreichen. Dazu wurde darauf hingewiesen, daß rechtlich die Möglichkeit hierzu in allenFällen bestehe, in denen individuelle Rechte der einzelnen Geschädigten nicht berührt würden. - Man unterschied also die Weisungen deutlich von den Rechtsverordnungen im Lastenausgleichsrecht. In der 115. Sitzung am 21. März 1952 wurden Bedenken in bezug auf § 346 (damals § 372) geäußert. Demgegenüber wurde betont, daß diese Vorschrift bei der Vielzahl der bestehenden Möglichkeiten verwaltungsmäßig erforderlich sei.

Der Ausschuß trat dieser Auffassung mit allen Stimmen bei einer Enthaltung bei, sah jedoch vor, daß die von § 345 abweichende Regelung durch den Präsidenten des Bundesausgleichsamts an die Zustimmung des Kontrollausschusses gebunden werden sollte. - Auch hier tritt wieder, wenn man die Funktionen des Kontrollausschusses in Betracht zieht (vgl. § 320 LAG) die Auffassung hervor, daß der Präsident die vorgesehenen Regelungen nicht auf Grund einer delegierten Rechtsetzungsgewalt, sondern im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit erlassen sollte.

2. Hat somit § 346 Satz 1 LAG nur den Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Gegenstand, so hängt seine Gültigkeit davon ab, ob die hier vorgesehenen Regelungen rechtswirksam durch allgemeine Verwaltungsvorschriften geschaffen werden können. Sollte das nicht der Fall sein, so würde § 346 gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen.

Eine Regelung durch Rechtsverordnung wäre nötig, wenn für die Regelung der Gegenstände, die hier in Frage stehen, die Form des Gesetzes ausdrücklich vorgeschrieben wäre, sich aus dem Allgemeinvorbehalt des Gesetzes oder aus dem Vorrang des Gesetzes ergeben würde.

Wie die nähere Prüfung ergibt, besteht jedoch kein Gesetzesvorbehalt für den hier interessierenden Bereich. Auch der Vorrang des § 345 führt nicht zum Ausschluß der Regelung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften.

a) Nach den Worten des § 346 Satz 1 kann der Präsident des Bundesausgleichsamts "das Verfahren ... regeln". Der Ausdruck "Verfahren" ist dabei offensichtlich in einem weiteren Sinne gebraucht, so daß er auch die Zuständigkeiten der einzelnen Lastenausgleichsbehörden und ihrer Einrichtungen umfaßt. Das ergibt sich einmal aus dem Zusammenhang des § 346 mit § 345.

Letzterer, von dem § 346 Abweichungen gestattet, enthält sowohl Zuständigkeits- als Verfahrensbestimmungen. Außerdem ergibt es sich aus § 346 Abs. 1 Satz 3:

"Der Geschädigte muß eine Nachprüfung des Bescheids, sofern dieser nicht durch den Präsidenten des Bundesausgleichsamts ergangen ist, herbeiführen können; ..."

In diesem Satz ist also schon die Möglichkeit in Betracht gezogen, einen Teil der Kompetenz, die in § 345 den Leitern der Ausgleichsämter gegeben ist, auf den Präsidenten des Bundesausgleichsamts selbst zu übertragen.

Die Frage, ob die allgemeinen Verwaltungsvorschriften nach § 346 ein Gebiet betreffen, das dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt, konkretisiert sich damit zu der Frage, ob Verfahren und Zuständigkeiten von Verwaltungsbehörden generell nur durch Gesetz geregelt werden können. Für die Entscheidung des vorliegenden Falles bedarf es jedoch keiner Beantwortung dieser Frage in vollem Umfang. Sie kann hier vielmehr beschränkt werden auf den Bereich der leistungsgewährenden Verwaltung.

Das Grundgesetz enthält im Gegensatz zu den meisten Landesverfassungen (Baden-Württemberg Art. 70, Bayern Art. 77, Berlin Art. 51, Hamburg Art. 57, Niedersachsen Art. 43, Nordrhein- Westfalen Art. 77, Schleswig-Holstein Art. 38) keine ausdrückliche Vorschrift, die eine Regelung des Verwaltungsaufbaues, der Behördenzuständigkeiten oder des Verwaltungsverfahrens durch Gesetz fordert. Nur für den Aufbau und das Verfahren der Bundesfinanzbehörden ist in Art. 108 Abs. 1 Satz 2 eine solche Anordnung getroffen. Die Notwendigkeit eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung für die Regelung der hier interessierenden Gegenstände könnte sich also nur aus dem Allgemeinvorbehalt des Gesetzes ergeben.

Der Inhalt dieses Allgemeinvorbehalts wird herkömmlich mitder Formel umschrieben, daß ein Gesetz dort erforderlich ist, wo "Eingriffe in Freiheit und Eigentum" in Frage stehen.

Ob diese Abgrenzungsformel (die sich durch die Gesetzesvorbehalte der Grundrechtsbestimmungen konkretisieren läßt) heute noch ausreichend ist, kann zweifelhaft erscheinen. Sie ist historisch auf die Staatsauffassung des liberalen Bürgertums zurückzuführen. Seither hat sich eine Hinwendung zu einer egalitärsozialstaatlichen Denkweise und damit eine wesentliche Veränderung der Auffassungen über die Stellung des Einzelnen zu der im Staat verkörperten Gesamtheit vollzogen. Diese Wandlung könnte auch die Grenzen des Gesetzesvorbehalts verschoben und diesen Vorbehalt auf neue Bereiche ausgedehnt haben.

Selbst wenn man eine Ausdehnung annimmt, gilt jedenfalls auch heute kein Gesetzesvorbehalt für die Zuständigkeiten und das Verfahren der leistungsgewährenden Verwaltung.

Dieses Gebiet liegt besonders weit von dem Bereich der Eingriffe in Freiheit und Eigentum entfernt. Erwägungen, die den Gesetzesvorbehalt für die Eingriffsverwaltung begründen, können also nicht herangezogen werden.

Aus der Tatsache, daß in den letzten Jahrzehnten die Organisation und das Verfahren der Verwaltungsbehörden in zunehmendem Umfang durch Gesetze oder Rechtsverordnungen geregelt worden sind, läßt sich nicht ableiten, daß eine solche Regelung verfassungsrechtlich ausnahmslos geboten sei. Die Tendenz zur Ausdehnung des Feldes der Gesetzgebung ist eine Erscheinung, die sich in den verschiedensten Bereichen bemerkbar macht. Sie besagt nichts darüber, wie der Kreis der Gegenstände abzugrenzen ist, die nur im Wege der Gesetzgebung geregelt werden können.

Auch der Gesichtspunkt des Rechtsschutzes für den Staatsbürger macht es nicht notwendig, einen Gesetzesvorbehalt für die hier behandelten Sachgebiete anzunehmen. Zwar hat das Grundgesetz den Rechtsschutz erheblich verstärkt. Das zeigt sich in der Ausgestaltung der Grundrechte ebenso wie in der umfassenden Eröffnung eines Rechtsweges durch Art. 19 Abs. 4 und in denVorschriften der Art. 101, 103, 104 GG. Daraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, daß auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungszuständigkeiten durchgehend eine gesetzliche Normierung bestehen müsse, um den Betroffenen die (etwaigen) größeren Sicherungen zu geben, die mit einer Normierung dieser Art im Vergleich zu einer Normierung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften verbunden sind. Da das Verwaltungshandeln durch die Vorschriften des Grundgesetzes und den Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit nunmehr in jedem Falle (von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen) einer gerichtlichen Nachprüfung, meist in mehreren Instanzen, unterstellt ist, haben die Rechtsschutzerwägungen, die früher für die justizförmige Ausgestaltung der Verwaltungsverfahrens- und Zuständigkeitsregelung angeführt werden konnten, heute an Bedeutung verloren. Eine bei der gerichtlichen Überprüfung etwa festgestellte Verletzung von allgemeinen Verwaltungsvorschriften hat in der Regel die gleiche Auswirkung wie eine festgestellte Verletzung von Rechtsnormen über diese Fragen.

Wenn die Verfassungen der Länder der Bundesrepublik in ihrer Mehrzahl Vorschriften über die gesetzliche Regelung des Verwaltungsaufbaus, in einigen Fällen auch der Verwaltungszuständigkeiten und des Verwaltungsverfahrens enthalten, so kann daraus nicht geschlossen werden, daß das Bundesverfassungsrecht einen ungeschriebenen, inhaltlich entsprechenden Gesetzesvorbehalt für diese Gebiete enthalten müsse.

Die Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts auf den Gesamtbereich der Verwaltungsorganisation einschließlich der Zuständigkeiten und des Verfahrens müßte die Schwerfälligkeit des Staatsapparates beträchtlich erhöhen. Der Gesetzgeber würde noch mehr belastet werden, zumal einem Gesetzesvorbehalt nur eine Verfahrensregelung genügen könnte, die verhältnismäßig weit ins einzelne geht. Die Beweglichkeit der Verwaltung würde weiter eingeschränkt. Tätig werden könnte die Verwaltung nur noch, soweit für diese Tätigkeit auch die Zuständigkeiten unddas Verfahren durch Gesetz oder - auf Grund einer ordnungsmäßigen, also dem Art. 80 GG entsprechenden Ermächtigung durch Rechtsverordnung festgelegt sind. Die Regelung von Verfahren und Zuständigkeiten der leistungsgewährenden Verwaltung unterliegt also keinem Gesetzesvorbehalt. Damit ist klargestellt, daß den in § 346 vorgesehenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften jedenfalls dann nichts im Wege stehen würde, wenn der Gesetzgeber den § 345 LAG nicht geschaffen hätte.

b) Die vorlegenden Gerichte (ebenso Külz, RLA 1957, 97 ff.) sind nun der Auffassung, daß die Existenz des § 345 eine abweichende Regelung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften ausschließe. Eine Regelung durch formelles Gesetz könne nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht durch allgemeine Verwaltungsvorschriften außer Kraft gesetzt oder abgeändert werden. Der Gesetzgeber könne nicht, ohne die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen, eine gesetzliche Regelung schaffen und zugleich ihre Abänderung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften zulassen.

Diese Bedenken lassen sich aber bei näherer Prüfung nicht aufrechterhalten.

Sicherlich gilt der Grundsatz, daß ein Gesetz nicht durch eine allgemeine Verwaltungsvorschrift außer Kraft gesetzt oder abgeändert werden kann, ebenso wie es nicht durch einen Verwaltungsakt durchbrochen und nicht durch eine Rechtsnorm, die im Vergleich zum Gesetz von niedrigerem Range ist, also eine Rechtsverordnung, eine Gemeindesatzung, verdrängt werden kann. Das ergibt sich unmittelbar aus dem "Vorrang des Gesetzes": "Der in der Form des Gesetzes geäußerte Staatswille geht rechtlich jeder anderen staatlichen Willensäußerung vor" (Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 3. Aufl. Bd. 1 S. 68).

Dieser Vorrang des Gesetzes - also die dem Gesetz kraft Verfassungsrechts innewohnende Eigenschaft, staatliche Willensäußerungen niedrigeren Ranges rechtlich zu hindern oder zu zerstören - kann sich aber naturgemäß nur auswirken, wo einWiderspruch zwischen dem Gesetz und der Willensäußerung niederen Ranges besteht. Es bedarf keiner Ausführung, daß eine staatliche Willensäußerung, die das Gesetz befolgt und in Einklang mit ihm steht, nicht am Vorrang des Gesetzes scheitern kann.

Gerade dieser letztere Fall ist hier gegeben. Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 346 erlassen werden, treten nicht in Gegensatz zu dem in Gesetzesform geäußerten Staatswillen, sondern entsprechen ihm. Denn der in §§ 345, 346 geäußerte Wille des Gesetzgebers geht dahin, daß durch allgemeine Verwaltungsvorschriften eine von den Bestimmungen des § 345 abweichende Regelung getroffen werden kann, und daß die Bestimmungen des § 345 nur anwendbar sein sollen, soweit und solange nicht eine abweichende Regelung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften ihre Stelle einnimmt.

Diese Sachlage würde noch deutlicher hervortreten, wenn der Gesetzgeber eine andere Ausdrucksweise gewählt, etwa den jetzigen § 346 - unter Weglassung des Wortes "abweichend" in Satz 1 - an die erste Stelle gesetzt und den jetzigen § 345 daran angeschlossen hätte mit den Einleitungsworten "Soweit eine solche Regelung nicht erfolgt, gelten die nachfolgenden Bestimmungen:". Daß der Gesetzgeber nicht diese, sondern die in §§ 345, 346 vorliegende Ausdrucksweise gewählt hat, ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung, denn bei beiden Formulierungen ist der sachliche Gehalt der gleiche. Dieser sachliche Gehalt besteht (in seinem hier interessierenden Kern) darin, daß der Gesetzgeber selbst die in § 345 gegebenen Bestimmungen mit einer Anwendungsbeschränkung versehen, nämlich ihre Subsidiarität gegenüber den in § 346 vorgesehenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften angeordnet hat.

Der Gesetzgeber bestimmt den Anwendungsbereich jeder gesetzlichen Vorschrift ebenso wie er ihren Inhalt bestimmt. Es steht ihm auch frei, die Anwendbarkeit einer Vorschrift dadurch zu beschränken, daß er ihr eine Subsidiarität gegenüber bestimmten staatlichen Willensäußerungen niedrigeren Ranges beilegt.

Durch den Vorrang des Gesetzes wird diese Befugnis nicht berührt. Der Gesetzgeber kann den Vorrang des Gesetzes als Prinzip nicht beseitigen. Aber er kann einer einzelnen Vorschrift oder auch einer Gruppe von Vorschriften einen subsidiären Charakter geben.

Von dieser gesetzgebungstechnischen Möglichkeit ist stets in großem Umfang Gebrauch gemacht worden. Gesetzliche Verbote mit dem Vorbehalt der Erlaubniserteilung durch Verwaltungsakt und Gebote mit entsprechendem Befreiungsvorbehalt sind Beispiele dafür. Gesetzliche Vorschriften, deren zeitweilige oder regionale Ersetzbarkeit durch eine abweichende Rechtsverordnung oder Gemeindesatzung im Gesetz vorgesehen ist, können ebenfalls in diesem Zusammenhang genannt werden.

Generelle Bedenken gegen die Verwendung dieser gesetzgebungstechnischen Formen der Anwendungsbeschränkung von Gesetzen bestehen nicht. Das Grundgesetz hat ihre Existenz und ihre Zulässigkeit vorausgesetzt.

Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die Verwendung dieser Formen unbeschränkt möglich ist. Die Grenze liegt dort, wo der Gesetzgeber Vorschriften von solcher Bedeutung und in solchem Umfang für subsidiär erklärt, daß sich dadurch innerhalb des Staatsgefüges eine Gewichtsverschiebung zwischen gesetzgebender Gewalt und Verwaltung ergibt.

Die in den §§ 345, 346 LAG angeordnete Subsidiarität hält sich in einem engen Rahmen. Es kann keine Rede davon sein, daß durch sie eine bedeutsame Veränderung des zwischen Gesetzgebung und Verwaltung bestehenden Gewichtsverhältnisses eintritt.

Auch andere Gründe, aus denen eine Nichtigkeit des § 346 Satz 1 LAG abgeleitet werden könnte, sind nicht vorhanden.

Die Grenzen sind eindeutig: Nur die in § 345 gegebenen Bestimmungen sollen gegenüber den allgemeinen Verwaltungsvorschriften des Präsidenten des Bundesausgleichsamts - und nur gegenüber diesen - subsidiär sein. Ein Verstoß gegen das Gebot gesetzgeberischer Klarheit liegt demnach nicht vor (vgl. BVerfGE 5, 25).

Daß die Subsidiarität der gesetzlichen Regelung hier gerade gegenüber allgemeinen Verwaltungsvorschriften besteht, berechtigt nicht zu dem Schluß, daß damit eine unzulässige Verlagerung gesetzgebender Gewalt auf die Verwaltung eintrete. Die Verwaltung wird nicht ermächtigt, Rechtsnormen zu setzen. Der Gesetzgeber erkennt nur ihre Befugnis an, verwaltungsbehördliche Verfahrens- und Zuständigkeitsfragen durch allgemeine Verwaltungsvorschriften zu regeln, eine Befugnis, die nach den Ausführungen zum Gesetzesvorbehalt auch dann bestehen würde, wenn der Gesetzgeber die §§ 345, 346 gar nicht in das Lastenausgleichsgesetz aufgenommen hätte. Der Erlaß der in § 346 Satz 1 vorgesehenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften löst das Zurücktreten der in § 345 gegebenen gesetzlichen Regelung aus, nicht weil der Verwaltung hier eine Macht zur Schaffung von Rechtsnormen verliehen ist, sondern weil der Gesetzgeber diese Wirkung angeordnet hat und die Befugnis besitzt, Rechtsnormen, die in solcher Weise zurücktreten, also subsidiär sind, zu schaffen.

Es kann auch nicht anerkannt werden, daß die Anordnung der Subsidiarität einer gesetzlichen Regelung gegenüber allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu einer mit dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit unverträglichen Beeinträchtigung der Rechtssicherheit führe. Die hier gewählte Form gibt ein höheres Maß an Rechtssicherheit, als wenn der Gesetzgeber auf die in den §§ 345, 346 enthaltene Regelung überhaupt verzichtet oder eine dem Inhalt des § 345 entsprechende Regelung in der Form von Sollvorschriften erlassen hätte. Beides wäre möglich gewesen und hätte keine verfassungsrechtlichen Bedenken auslösen können.

Anlaß für die gegen § 346 Satz 1 LAG erhobenen Bedenken dürfte vor allem der Umstand sein, daß eine gesetzliche Regelung, die sich eine Subsidiarität gegenüber allgemeinen Verwaltungsvorschriften beilegt, eine ungewohnte Erscheinung ist. Diese Ungewöhnlichkeit besteht aber mehr der Formulierung als der Sache nach. Eine Subsidiarität gesetzlicher Regelungen gegenüber allgemeinen Verwaltungsvorschriften ergibt sich praktischnämlich auch in den meisten Fällen, in denen der Gesetzgeber Verbote mit Erlaubnisvorbehalt oder Gebote mit Befreiungsvorbehalt schafft und dabei der Verwaltung einen Ermessensspielraum überläßt. Denn die Ermessensausübung der unteren oder mittleren Verwaltungsbehörden wird in solchen Fällen regelmäßig durch allgemeine Verwaltungsvorschriften gesteuert werden, die im Gesetz zwar nicht erwähnt, aber als selbstverständlich vorausgesetzt sind. Die Subsidiarität, die dem gesetzlichen Verbot oder Gebot seinem Wortlaut nach gegenüber dem Verwaltungsakt der Erlaubniserteilung oder Befreiung zukommt, besteht also im Grunde gegenüber den allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die diese Erlaubniserteilung oder Befreiung im einzelnen regeln.

In der Anerkennung der Gültigkeit des § 346 Satz 1 LAG liegt keine Abweichung von der Entscheidung des Ersten Senats vom 10. Juni 1953 (BVerfGE 2, 307 [313]). Dort war ausgesprochen worden:

"Dieser Vorbehalt (scil. des Gesetzes) besteht jedenfalls dann, wenn etwas - ungeachtet seines Inhalts - in Gesetzesform geregelt worden ist; dies kann dann nur in der gleichen Form oder auf Grund besonderer Ermächtigung durch Verordnung aufgehoben oder geändert werden."

Diese Formulierung des Ersten Senats umschreibt den Gesetzesvorbehalt, der sich aus dem Vorrang des Gesetzes ergibt. Der Zweite Senat stimmt mit dieser Ansicht überein. Die Bejahung der Gültigkeit des § 346 Satz 1 bedeutet keine Durchbrechung oder Beschränkung des Gesetzesvorrangs und des daraus fließenden Gesetzesvorbehalts. Sie beruht vielmehr auf der Anerkennung des - vom Gesetzesvorrang unberührten - Grundsatzes, daß dem Gesetzgeber die Befugnis zusteht, Rechtsnormen von subsidiärer Anwendbarkeit zu schaffen.