BGH, 27.10.1970 - 1 StR 423/70

Daten
Fall: 
Maßregel und Strafe
Fundstellen: 
BGHSt 24, 132; MDR 1971, 146; NJW 1971, 61
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
27.10.1970
Aktenzeichen: 
1 StR 423/70
Entscheidungstyp: 
Urteil
Richter: 
Pfeiffer, Loesdau, Woesner, Meise, Strickert
Instanzen: 
  • LG Heilbronn, 13.02.1970

Die Anordnung einer Maßregel darf nicht zur Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen.

Tenor

I. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 13. Februar 1970
1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der Unzucht zwischen Männern schuldig ist;
2. im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen fortgesetzten Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit einem Minderjährigen als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher zu einem Jahr und neun Monaten Zuchthaus verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des Angeklagten und die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft mit den Rügen der Verletzung sachlichen Rechts.

I.

Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.

1. Der Schuldspruch lädt bei Zugrundelegung das Rechtszustandes, der zur Zeit seiner Verkündung bestand, keinen Rechtsfehler erkennen. Nunmehr sind jedoch die weiteren Neuerungen des Ersten Strafrechtsreformgesetzes zu berücksichtigen. Dar Tatbestand das § 175 Abs. 1 Nr. 1 n.F. StGB, der nach den Feststellungen des Landgerichts erfüllt ist, stellt ein Vergehen der. Nach ersatzlosem Wegfall das § 20 a a.F. StGB (Art. 1 Nr. 6 das 1. StrRG) ist die Tat auch unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr als Verbrechen einzuordnen. Dia Bezeichnung "Verbrechen" muß deshalb im Urteilssatz entfallen. Aus Zweckmäßigkeitsgründen ist der Schuldspruch neu gefaßt.

2. Die in der Streichung des § 20 a a.F. StGB liegende Beschränkung des Schuldvorwurfs zwingt zu neuer Überprüfung des Strafausspruchs einschließlich der Verhängung der Maßregel. Der Strafausspruch ist deshalb aufzuheben. Die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung sind in § 42 e n.P. StGB und Art. 93 des 1. StrRG neu geregelt. Zu ihnen gehört eine Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren.

Im übrigen ist die Revision des Angeklagten offensichtlich unbegründet.

II.

Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat insoweit auch in vollem Umfang Erfolg.

Die Strafkammer hat die Strafe ersichtlich niedriger bemessen, weil sie zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet hat. Sie hält den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt "mehr für einen Verwahrungsfall, in welchem der Strafhöhe mindere Bedeutung zukam" (UA S. 24). Das bedeutet einen Verzicht auf einen gerechten Schuldausgleich aus der Erwägung, daß der Sicherungszweck der Maßregel im Vordergrund stehe. Die Jugendkammer glaubt, einen Teil der an sich verwirkten Strafe durch die gleichzeitig verhängte Sicherungsverwahrung ersetzen zu können. Eine derartige Trennung der Strafe vom Schuldmaß ist jedoch nach früherem wie nach gegenwärtigem Rechtszustand unstatthaft.

Der Bundesgerichtshof hat in der Zeit vor Inkrafttreten des Ersten Strafrechtsreformgesetzes zum Ausdruck gebracht, Grundlage der Strafzumessung bildeten die Bedeutung der Tat für die Rechtsordnung und der Grad der persönlichen Schuld des Täters (BGHSt 3, 179 [BGH 30.09.1952 - 2 StR 675/51]; 7, 214, 216) [BGH 25.01.1955 - 3 StR 552/54]. Innerhalb des Spielraums der schuldangemessenen Strafe konnte der Richter auch andere Strafzwecke berücksichtigen. Diese durften aber nicht dazu führen, daß der Rahmen der gerechten Strafe überschritten wird (BGHSt 20, 264, 267) [BGH 04.08.1965 - 2 StR 282/65]. Insbesondere war es unzulässig, dem Sicherungsgedanken eine derartige Bedeutung beizumessen, daß die notwendige Schuldangemessenheit der Strafe nicht mehr beachtet wird (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1962 - 1 StR 364/62). Die bisherige Rechtsprechung ist somit davon ausgegangen, daß eine Abweichung der Strafe vom schuldangemessenen Rahmen nicht zulässig ist.

Das Erste Strafrechtsreformgesetz hält an dem System der Zweispurigkeit von Strafe und Maßregel fest. Der Schuldgrundsats, nunmehr ausdrücklich im Gesetz verankert (§ 13 Abs. 1 Satz 1 StGB), gebietet, klar zwischen den Aufgaben der Strafe und der Maßregel zu unterscheiden. Grundlage für die Zumessung der Strafe unter Berücksichtigung ihrer verschiedenen Punktionen ist die Schuld des Täters, Von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich darf sich die Strafe weder nach oben noch nach unten inhaltlich lösen (vgl. Sitzungsniederschriften des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform 5. Wahlperiode S. 2795; Erster schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT.-Drucks. V 4094 S. 5). Soweit eine besondere Gefährlichkeit das Erfordernis begründet, den Täter über die Zeitspanne der schuldangemessenen Dauer hinaus festzuhalten, bedarf es dazu einer freiheitsentziehenden Maßregel, insbesondere der Sicherungsverwahrung. Strafe und Maßregel haben verschiedene sachliche Anknüpfungspunkte. Die Anordnung einer Maßregel darf deshalb bei der Strafbemessung auch nicht im Sinne einer Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe berücksichtigt werden.